Ukraine: Menschen leiden unter Strommangel und Minusgraden
Francesca Sabatinelli, Paolo Ondarza und Christine Seuss – Vatikanstadt
Die Ukraine riskiert einen totalen Stromausfall und bereitet sich darauf vor, in den kommenden Monaten den härtesten Winter der jüngeren Geschichte zu erleben. Nach dem gleichzeitigen Abschuss von rund 70 Marschflugkörpern durch Russland in mehreren Gebieten des gepeinigten Landes an diesem Mittwoch fiel auch in der Hauptstadt Kyiv mit ihren drei Millionen Einwohnern der Strom aus, die Wasserversorgung war unterbrochen. Nach Angaben der Militärverwaltung starben bei dem Angriff vier Menschen; mehr als 25 wurden verletzt.
Wichtige Infrastruktur betroffen
Die Attacke scheint die russische Absicht zu bestätigen, wichtige Energieinfrastrukturen zu zerstören. Durch den Beschuss sei auch ein Objekt der „kritischen Infrastruktur“ beschädigt worden, schrieb der Bürgermeister der Hauptstadt, Vitali Klitschko, auf Telgram, ohne nähere Details zu nennen. Drei Kernkraftwerke wurden unterdessen vorsorglich vom Stromnetz genommen. Auch die Versorgung des Kraftwerks Saporischschja kann derzeit nur durch Dieselgeneratoren sichergestellt werden. „Massive Stromausfälle“ wurden darüber hinaus in Teilen der Republik Moldau verzeichnet, darunter in der Hauptstadt Chisinau. Wie die Militärverwaltung am Mittwochabend mitgeteilt hatte, sollten in den Stadtteilen der Hauptstadt, die völlig von der Stromversorgung abgeschnitten sind, handbetriebene Sirenen und Lautsprecher vor neuen Luftangriffen durch die Russen warnen.
Kurz vor den jüngsten Bombardierungen durch das russische Militär hatte das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der Russland als Terror-Unterstützer verurteilt wurde. Die Reaktion des Leiters des ukrainischen Präsidialamtes, Andriy Yermak, ließ nicht lange auf sich warten: „Terroristen bestätigen sofort, dass sie Terroristen sind“, sagte er. Doch auch die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zakharova, zeigte sich kämpferisch und schlug ihrerseits vor, „das Europäische Parlament als Sponsor von Idiotie anzuerkennen.“
Ungeachtet der politischen Entwicklungen sitzt die ukrainische Bevölkerung unterdessen im Dunkeln und muss sich gegen die klirrende Kälte wappnen, da mittlerweile in weiten Teilen des Landes Schnee gefallen ist. „In allen großen Städten der Ukraine sind die Lichter ausgegangen“, berichtet der Weihbischof der Diözese Kyiv-Zhytomyr, Oleksandr Yazlovetskiy im Interview mit Radio Vatikan: „Die Bevölkerung wurde gewarnt, dass der Stromausfall in der gesamten Ukraine 24 Stunden dauern könnte. Wir sind also keine Ausnahme, die gesamte Ukraine leidet... Ich bin vor Ort in Kiew, als Weihbischof, so dass die Menschen mir viele Nachrichten und Fotos geschickt haben, die die Explosionen dokumentierten. Danach herrschte Schweigen...“
In Teilen wurde bis Donnerstag zumindest die Wasserversorgung wieder aufgenommen, während nach wie vor 70 Prozent der Bewohner der Hauptstadt ohne Strom sind, wie der Bürgermeister von Kyiv am Morgen bekannt gegeben hatte.
Ohne Internet
Auch Internet funktionierte nicht mehr, ebenso wie das Telefonnetz. Die Unmöglichkeit zu kommunizieren verstärkt die Angst unter den Menschen, die, erschöpft vom monatelangen Krieg, einen Platz suchen, um sich in Sicherheit zu bringen. „Alle haben Angst. Im ganzen Land ertönen die Sirenen, denn das ganze Land wird bombardiert. Und alles steht still: U-Bahnen, Busse, Verkehrsmittel. Diejenigen, die an Gott glauben, beten“, fährt Weihbischof Yazlovetskiy fort.
Generatoren dringend benötigt
Mittlerweile seien die Temperaturen unter den Gefrierpunkt gefallen, berichtet der Geistliche. „Bisher war der Strom rationiert und in einigen Stadtteilen für vier bis fünf Stunden am Tag unterbrochen, was bedeutete, dass viele Menschen in der Kälte leiden mussten, aber wenn der Strom wieder da war, konnte man sich wieder aufwärmen. Jetzt ist uns den ganzen Tag über kalt: Stellen Sie sich die Situation für Familien mit kleinen Kindern oder ältere Menschen vor.“
Staat und Kirche arbeiteten Hand in Hand, um die Notlage zu bewältigen, doch viel benötigtes Material sei nur schwer zu bekommen: „Wir versuchen, Generatoren zu kaufen, aber in der Ukraine gibt es keine mehr, die Läden auch in angrenzenden Ländern sind leergeräumt. Selbst in Polen ist es nicht leicht, sie zu bekommen: Wir sind überall danach auf der Suche, denn nur mit Generatoren kann man etwas Wärme und Licht erzeugen. In den großen Städten hat unsere Regierung einige Heizungsstellen eingerichtet, in denen die Menschen ein wenig Licht, einen Internetanschluss und vor allem ein wenig Wärme finden können.“
Europäische Solidaritätsaktion
Erst an diesem Mittwoch hatte das Europa-Parlament in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Verbundes europäischer Bürgermeister „Eurocities“ eine Kampagne lanciert, in deren Rahmen Generatoren für die Ukraine gestiftet werden sollen, um dem kriegsgebeutelten Land über den Winter zu helfen. Die Präsidentin des Europa-Parlaments, Roberta Metsola, und der Vorsitzende des Verbundes der Bürgermeister, Dario Nardella (Florenz) hatten die Kampagne gemeinsam mit dem Leiter des Präsidialamtes von Selensky, Andriy Yermak, angekündigt. 30 Prozent der Energieinfrastruktur seien durch den Krieg mittlerweile zerstört worden, während zehn Millionen Ukrainer ohne Strom sind, wurde bei der Vorstellung der Initiative erinnert.
Kirche bleibt wichtiger Bezugspunkt
Vor Ort ist und bleibt die Kirche mit den beiden Caritasverbänden der römisch-katholischen beziehungsweise der griechisch-katholischen Kirche ein wichtiger Bezugspunkt, erinnert Weihbischof Yazlovetskiy: „Sie tun viel, sie verteilen Lebensmittel, Decken; sie liefern Gutscheine an Familien, damit sie in Geschäften einkaufen können. Jede Pfarrei ist zu einer kleinen Caritas geworden“. Nachdrücklich ruft der Weihbischof zum Gebet und zur tätigen Nächstenliebe auf: „Lasst uns gemeinsam für die Ukraine beten. Das Gebet darf nicht fehlen, werden wir nicht faul: Nehmen wir den Rosenkranz oder beten wir mit unseren eigenen Worten. Helfen Sie uns im Gebet und, wenn Sie können, indem Sie einen Generator für unsere Leute kaufen oder vielleicht einige Familien aus der Ukraine aufnehmen. Wir werden uns an das Gute erinnern, das wir erhalten haben.“
(vatican news - cs)
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