Schewtschuk: „Haben keine andere Wahl, als Widerstand zu leisten“
Ohne einen Regimewechsel in Moskau sehe es derzeit nicht danach aus, dass echte Verhandlungen möglich wären. „Wenn die Ukraine gar nicht existieren darf, mit wem sollte Russland dann verhandeln?“ Deshalb dürfe die Ukraine nicht kapitulieren, müsse standhalten, um als Staat und Nation weiter existiert zu können. „Wie lange wir noch Widerstand leisten müssen, wissen wir nicht, aber wir haben keine andere Wahl.“
Dass die Ukraine überhaupt noch existiert, grenze schon an ein Wunder, so der Kyiver Großerzbischof. Eine Riesenarmee sei in das Land eingedrungen, „und dass es uns gelungen ist, erfolgreich Widerstand zu leisten, schien uns ein echtes Wunder zu sein, etwas, das nicht mit menschlichen Berechnungen alleine erklärbar ist“. Auch dass er selbst noch am Leben sei, sei schon ein Wunder. Die russischen Truppen konnten erst 20 Kilometer vor dem Zentrum Kyivs gestoppt werden, eingeschleuste Kommandogruppen hätten es bis zur griechisch-katholischen Kathedrale geschafft. „Der Angriff war sehr gut vorbereitet“, so Schewtschuk.
Krieg wird noch länger dauern
Die jüngsten militärischen Erfolge der Ukraine beurteilte der Großerzbischof vorsichtig optimistisch. „Wir sind Zeitzeugen, die erleben, wie der große Mythos von der unbesiegbaren russischen Armee zerfällt.“ Die ukrainischen Soldaten würden ihm erzählen, dass sie feststellen, dass die russischen Soldaten auch nur Menschen seien, und dass die Ukraine eine Chance habe, dieser Armee zu widerstehen. Schewtschuk warnte aber vor Euphorie: „Ich bin kein Militärexperte und verstehe davon wenig. Wir müssen aber einen klaren Kopf bewahren und verstehen, dass dieser Krieg nicht in unmittelbarer Zukunft endet.“ Und fügte noch einen Nachsatz: „Wir müssen Widerstand leisten, um zu überleben. Wir haben keine Wahl.“
Auf mögliche Verhandlungen bzw. Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland angesprochen, meinte der Großerzbischof: „Wir beten jeden Tag um Frieden. Doch wir erleben, dass die russische Seite das Wort Frieden in einem Sinn benutzt, der für uns bedeuten würde, besiegt und auf Gedeih und Verderb der Gnade des Aggressors ausgeliefert zu sein.“ Diese Umdeutung des Wortes Frieden habe bereits im Krieg Russlands gegen Georgien 2008 begonnen. Damals wurden Formeln verwendet wie „Verpflichtung zum Frieden“ und „zum Frieden zwingen“. Das bedeute Kapitulation.
Inzwischen verstehe jeder in Russland, dass die Invasion ein Fehler war, selbst in den höchsten Rängen. Doch es gehe den Mächtigen nur darum, ihr Gesicht zu wahren, statt ernsthaft zu überlegen, wie man aus der endlosen Logik des Krieges aussteigen könnte. Und es gebe weiter den Mythos vom „großen, heiligen Russland“. Doch Größe bedeute nicht Unfehlbarkeit, sondern, so der Großerzbischof, „die Fähigkeit zur Korrektur, zur Anerkennung von Fehlern“.
(kap/tagespost – mg)
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