Käufer im Ägyptischen Basar in Istanbul am Donnerstag Käufer im Ägyptischen Basar in Istanbul am Donnerstag 

Türkei: Weihnachten in Ankara, ein Jesuit erzählt

Der Theologe und Islamwissenschaftler Felix Körner hat tolle Erinnerungen an Weihnachten in der Türkei. Und die Christmette wird dort nicht nur von Christen gefeiert, sagt der Jesuit.

Doch wie ist das Fest überhaupt an den Bosporus gekommen? Das erläuterte Pater Körner, der lange in Ankara gelebt hat und jetzt an der Berliner Humboldt-Universität „Theologie der Religionen“ lehrt, jetzt in einem Interview mit dem Kölner Domradio.

Interview

Was genau kriegt man von Weihnachten mit, wenn man zu dieser Jahreszeit durch die Straßen von Ankara oder Istanbul schlendert?

Körner: Vor allem fallen viele Sterne auf, die wir in Deutschland mit Weihnachten verbinden, Weihnachtsbäume, Christbaumkugeln. Die Straßen sind weihnachtlich beleuchtet. Es ist ganz anders als sonst dekoriert. Für uns ist das klassische Weihnachtsdekoration. Aber die meisten türkischen Bürgerinnen und Bürger sagen, das sei doch ‚Yılbaşı‘, also eine Neujahrsdekoration.

Die kennen das Wort Weihnachten oft nur aus dem Fernsehen, woher die ganze Geschichte hier in der Türkei auch kommt. Sie sagen dann zu Weihnachten ‚Noel‘, das französische Wort. Dann kennen sie aus amerikanischen, vielleicht ein bisschen kitschigen Filmen die Schneelandschaften und diese Weihnachtsdekoration. Die wollten sie auch für sich haben. Das ist der Ursprung. Weihnachten hat sich die Türkei aus dem Fernsehen und dem Kino geholt.

„Die meisten Türken sind nicht fanatisch“

Wie hat das vor 20 Jahren angefangen? War das nur in den Städten? Ist das bis heute so oder wie muss man sich das vorstellen? Oder machen das jetzt alle?

Körner: Alle machen es nicht. Vor allem die großen Städte Istanbul, Ankara und Izmir zeigen sich so. Es gibt aber eine ganze Reihe von türkischen Familien in der Türkei, die einen Teil der Familie in einem westlichen Land haben, in Deutschland, Belgien, oder den USA. Da wird die Weihnachtsstimmung auch in die Familien geholt. Da findet man auch neben der Couch einen beleuchteten Weihnachtsbaum oder was blinkendes im Fenster. Das ist dann viel ausdrücklicher mit Weihnachten assoziiert.

Die Leute, die zum Beispiel in Deutschland gelebt haben, kennen das Wort Weihnachten vielleicht sogar besser als die türkische Entsprechung Noel. Dadurch zieht Weihnachten ein. Man findet es schön. Unsere türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland haben ja oft auch Weihnachtsdekoration an ihren Fenstern oder in ihrem Wohnzimmer.

P. Felix Körner (Foto: Jesuiten)
P. Felix Körner (Foto: Jesuiten)

Dieses türkische beziehungsweise französische Wort Noel wird von Leuten, die sich gegen die Weihnachtsbräuche in der Türkei wenden, zu einem Motto, das halb türkisch, halb englisch ist. Die sagen ‚No – El‘, um zu sagen, dass sie kein Weihnachten möchten. Die streichen auch das Wort Noel noch mal durch, um zu sagen, das sei keine türkische Tradition. Die meisten türkischen Bewohnerinnen und Bewohner sind aber nicht fanatisch. Sie feiern das Fest mit, finden das stimmungsvoll und denken daran, dass es auch Licht für das kommende Jahr in dieser dunkelsten Jahreszeit gibt.

„Sie sind neugierig, haben Interesse an der Stimmung und Freude am Mitfeiern“

Gibt es denn auch Geschenke?

Körner: Das gibt es weder in der Türkei noch in Deutschland. Manche machen natürlich Ausnahmen, wenn jemand in der Schule miterlebt hat, dass die ganzen Klassenkameradinnen und Kameraden sich wahnsinnig über Geschenke freuen und die Kinder dann betteln. Aber es kann zu Neujahr ein besonderes Fest geben. Das Geschenkefest in der Türkei ist tatsächlich das bekannte Zuckerfest ‚eker Bayram‘.

Es gibt natürlich auch eine kleine Zahl Christen in der Türkei. Aber dadurch gibt es auch Gottesdienste gerade in den großen Städten. Vor allem in der Christnacht. Da gibt es Leute, die keine Konversionsabsicht haben, aber irgendwo aufgeschnappt haben, dass es eine Christmette gibt und dann wollen die mitfeiern. Das ist sehr schön. Sie sind neugierig, haben Interesse an der Stimmung und Freude am Mitfeiern. Sie sind dann auch willkommen. Wir geben ihnen nicht die Kommunion, aber wir geben ihnen einen Wunsch mit, mit dem sie was anfangen können. Sie sind dadurch auch mehr als Zaungäste.

„Es wird manchmal als Neujahrsfest verkauft“

Es gibt ja auch immer wieder Prediger und Aktivisten, die sagen, dass Weihnachten ‚haram‘ ist, also sündig. Es gab mal einen islamischen Jugendverein, der ein Plakat verbreitet hat, auf dem ein muslimisch gekleideter Mann dem Weihnachtsmann mit der Faust ins Gesicht schlägt. Könnte bald Schluss sein mit der Weihnachtsseligkeit?

Körner: Nein, das hat sich durchgesetzt, das gehört zum Stil. Es wird manchmal als Neujahrsfest verkauft, aber Licht in der dunklen Jahreszeit kann jeder gebrauchen. Diese radikaleren, fanatischen Stimmen bekommen im Moment immer mehr Schwierigkeiten, weil die Epoche Erdogan zu Ende geht. Da muss man sich keine Sorgen machen.

Meine Prognose ist, dass das bleibt und es sich eher noch auf die kleineren Ortschaften übertragen wird. Die Medien verbinden Menschen und die Migration verbindet die Menschen und stiftet deswegen auch Anregungen, die früher gar nicht so üblich waren. Man denke an Halloween, das man vor 40 Jahren in Deutschland auch noch nicht gefeiert hat. Und jetzt feiert es jeder.

„Manchmal guckte die Polizei ein bisschen skeptisch“

An was für ein Weihnachtserlebnis in der Türkei erinnern Sie sich besonders gerne?

Körner: Wir haben sehr gerne eine lange Wanderung im abendlichen Ankara gemacht. Von unserer kleinen türkischsprachigen katholischen Kirche bis zur päpstlichen Nuntiatur, also dahin, wo auch die englischsprachige Gemeinde auf dem Gebiet des Botschafters des Vatikans die Christmette feiert. Wir feierten dann mit den türkischsprachigen, den englischsprachigen, den französischsprachigen und den polnischsprachigen Gemeinden zusammen. Dieser Gang, der über eine Stunde durch das lebendige, abendliche Ankara dauert, hat was von Pilgern. Es war eine kleine Gruppe von jugendlichen Türkischsprachigen, die unterwegs auch immer reden wollten.

Ankara liegt über 800 Meter hoch, und da liegt um die Jahreszeit fast immer Schnee. Bei diesen Wanderungen, bei den Gesprächen während dieses Pilgerweges, kam Weihnachtsstimmung in unsere Herzen. Manchmal guckte die Polizei ein bisschen skeptisch, wenn sie uns gesehen hat. Sie dachte, das sei eine beginnende Demonstration. Dann erklärten wir, dass wir Christen und Christinnen seien und dass wir an diesem Tag Weihnachten feiern. Sie hatten Verständnis, aber sie wollten nicht, dass die Gruppen noch größer werden. So ist für mich die Weihnachtsstimmung in der Türkei…

(domradio – sk)
 

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23. Dezember 2022, 11:32