Israel: Kirche in Sorge über politischen Rechtsruck
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
„Es gibt große Sorgen, auch von Kirchenseite; wir diskutieren das“, sagte uns der Benediktiner der deutschen Dormitio-Abtei in Jerusalem. Israel sei erfolgreich seit vielen Jahren zum einen Demokratie, zum anderen ein jüdischer Staat. Dies drohe nun „etwas aus der Balance zu kommen.“
Neben der rechtskonservativen Likud-Partei von Ministerpräsident Netanjahu sollen das rechtsextreme Religiös-Zionistische Bündnis sowie zwei strengreligiöse jüdische Parteien an der künftigen Regierung Israels beteiligt sein. Äußerungen bestimmter künftiger Minister „widersprechen dem Geist des friedlichen und konstruktiven Zusammenlebens zwischen den verschiedenen Gemeinschaften, die unsere Gesellschaft ausmachen", hieß es in der Mitteilung der Versammlung der katholischen Ordinarien des Heiligen Landes (ACOHL) vom Montag. Der Patriarchalvikar erläutert:
„Wenn wir jetzt eine Regierung haben, die doch sehr klar den jüdischen Charakter betont und den demokratischen Charakter nicht ganz so stark fokussiert, bin ich in Sorge. Denn wir haben mittlerweile über 20 Prozent der israelischen Staatsbürger, die keine Juden sind, sondern Muslime, Christen, Drusen - und natürlich von den gesamten Einwohnern noch viel mehr, wenn ich jetzt allein an meine eigene Aufgabe denke, all die katholischen Migranten und Asylsuchenden. Es gibt eine sehr große nichtjüdische Bevölkerungsgruppe. Und die Frage ist, und ich glaube, das ist die Herausforderung, vor der jeder Staat steht, auch jede Demokratie steht: Wie gehe ich mit Minderheiten um? Demokratie bedeutet ja nicht eine Durchsetzung der Mehrheitsmeinung und ,die Minderheit muss spuren´, sondern zur Demokratie gehört ja auch die Opposition, gehört auch der Umgang mit Minderheiten.“
Israeliness oder Jewishness?
Schon vor Jahren habe die Universität Haifa eine Vision für den Staat erarbeitet, eine Richtlinie für ein neues Selbstverständnis, erklärte Schnabel. „Israel müsste eigentlich hin zu einer ,Israeliness´, das heißt zu einer Identität, die sagt ,Ich bin Israeli´. Das kann aber auch bedeuten, ich bin Christ oder Muslim oder Druse oder eben Jude. Die Gefahr, auf die damals schon die Universität Haifa im Zug der Studie verwiesen hat, ist, dass man immer mehr zu einer Jewishness kommt. Das heißt, der echte Israeli ist eigentlich der Jude, und der Nichtjude ist irgendwie ein mitgeduldeter Staatsbürger.“
„Israelischsein oder „Jüdischsein“: Mit Blick auf die neue Rechtsregierung in Israel sei genau das die Frage, so Schnabel. „Und deswegen gibt es jetzt sehr, sehr viele Sorgen, auch innerkirchlich, wie diese neue Regierung arbeiten wird. Wird sie hin zur Versöhnung arbeiten, hin zur Integration auch der Minderheiten? Oder wird sie eher die Minderheiten stärker isolieren?“
Aus Sicht der christlichen Minderheit im Heiligen Land verwies Schnabel auf feindselige Vorfälle – und die öffentliche Reaktion Israels darauf. „Wie wird darauf reagiert, wenn quasi Christen angespuckt werden, wenn es einfach auch Gewalt gibt gegen Christentum? Wie weit ist die positive Religionsfreiheit gesichert, dass man seinen Glauben wirklich auch leben darf, öffentlich leben darf? Wie weit ist der Zugang zu den heiligen Stätten gesichert?“
Das Hauptproblem für die christliche Minderheit ist dabei aus Schnabels Sicht nicht so sehr die rechtliche, sondern die emotionale Ebene – also wie Christen und Christinnen in Israel sich fühlen. „Dazu gibt es auch Umfragen, die sagen, die Gruppe, die die größte Selbstentfremdung hat zum Heiligen Land, sind die Christinnen und Christen. Sie sagen: ,Wir haben das Gefühl, es gibt die jüdischen Israelis, die einen sehr starke Landbezug haben, es gibt die Muslime, die ebenfalls Landbezug haben - aber wir kommen gar nicht vor. Man hat das Gefühl, ob wir jetzt da sind oder nicht, interessiert eigentlich gar keinen.“ Dies würde zu einer weiteren Schwächung der christlichen Minderheit führen. Schnabel sprach von der Gefahr eines „christlichen Disneyland, wo wir immer noch die heiligen Stätten haben, wo man Gottesdienst feiern kann, aber es gibt kein authentisches Christentum, kein einheimisches Christentum mehr.“ Die christliche Bevölkerung in Israel liegt bei offiziell 1,7 Prozent, besonders stark ist sie namentlich auch in Jerusalem geschrumpft.
Schnabel regte an, dass Vertreter der israelischen Regierung und Parteien sich mehr in nicht-jüdischen Stätten sehen lassen. „Es gehört dazu, wenn ich Politiker dieses Staates bin, dass ich mich nicht nur ablichten lasse in Synagogen und mit jüdischen Festen und jüdischen Religionsführern, sondern dass ich auch stolz darauf bin, wenn es Christen in meinem Land gibt, und zwar die einheimischen Christen, dass ich stolz bin, dass esMuslime gibt, dass ich stolz bin, dass es Baha'i gibt, dass ich stolz bin, dass es Samaritaner gibt. Und das ist ganz klar nicht zu fühlen und zu sehen.“
Höchste palästinensische Todesrate seit 20 Jahren
Die katholischen Bischöfe des Heiligen Landes beanstandeten in ihrer Mitteilung besonders die wachsende Gewalt in der Region, wobei Gewalt in der Sprache „früher oder später unweigerlich auch in physische Gewalt“ münde. „Wir haben in diesem Jahr einen Anstieg der Gewalt erlebt, mit der höchsten palästinensischen Todesrate seit mehr als 20 Jahren“, hieß es in der Stellungnahme. „Die Gewalt der Siedler in den Siedlungen nimmt immer mehr zu. Der Lebensraum, der der palästinensischen Bevölkerung zur Verfügung steht, schrumpft durch das anhaltende Wachstum der Siedlungen weiter. Wir erleben auch Angriffe auf die jüdische Bevölkerung", heißt es in der Erklärung.
(vatican news – gs)
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