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Hollerich: EU-Politik nimmt Kirche als moralische Autorität wahr

Wenige Wochen vor Ende seines Mandates als COMECE-Präsident hat Kardinal Jean-Claude Hollerich an diesem Montag Papst Franziskus getroffen. Dabei sei es unter anderem um den Ukraine-Krieg gegangen, sagte er uns im Anschluss in einem Bilanzinterview zu seiner Amtszeit. Hollerich kommentierte dabei auch den aktuellen Korruptionsskandal im EU-Parlament.

Anne Preckel - Vatikanstadt

Kardinal Hollerichs Fünf-Jahres-Mandat an der Spitze der Kommission der katholischen Bischofskonferenzen in der Europäischen Union (COMECE) läuft im März aus: In dieser Funktion hat er sich an diesem Montag bei Papst Franziskus verabschiedet; begleitet wurde Hollerich vom COMECE-Vizepräsidenten, dem Essener Bischof Franz-Josef Overbeck.

„Wie immer war die ganze Atmosphäre geprägt von der Persönlichkeit des Papstes“, berichtete Kardinal Hollerich nach der Begegnung gegenüber Radio Vatikan. „Wir haben einen Papst, für den Europa und die europäische Integration sehr wichtig ist, der darin eine Chance für Frieden sieht. Und wir haben viel über den Krieg in der Ukraine gesprochen.“

Hier das ganze Interview zum Nachhören

 

Ukraine: Frieden, der das Gesicht wahren lässt

„Menschen sterben, Menschen leiden, Menschen hungern. Und deshalb müssen wir alles versuchen, wirklich alles, um Frieden herzustellen.“

Im Interview mit Radio Vatikan erinnert Kardinal Hollerich an das große Leid der Menschen in der Ukraine. Vor diesem Hintergrund dürfe nichts unversucht bleiben, um Frieden zu erwirken: „Es sterben Menschen. Menschen leiden, Menschen werden verletzt. Menschen werden krank. Menschen frieren, Menschen haben Hunger. Und deshalb müssen wir alles tun, um dieses schwere Schicksal von den Leuten abzuwenden. Wir müssen alles versuchen, wirklich alles, um Frieden herzustellen.“

Zuletzt hatte es Signale gegeben, die einen Dialog zur Beendigung des Krieges möglicher scheinen lassen. Wo sieht Kardinal Hollerich aktuell einen realistischen Weg zu Deeskalation und Frieden für die Ukraine? Der COMECE-Präsident hofft zumindest auf einen Waffenstillstand:

„Ich glaube, dass Russland doch sehr geschwächt ist. Allerdings sollte man sie auch nicht unterschätzen. Aber wenn wir einen Frieden anbieten, muss das ein Friede sein, wo beide Parteien ihr Gesicht wahren können. Und das ist wohl das Schwierigste. Bisher, glaube ich, heben die Kirche und der Heilige Stuhl interveniert bei eher humanitären Fragen. Und es wäre schön, wenn wir zu einem Waffenstillstand oder zu einem Frieden kommen könnten.“

Fast sechs Jahre an der Spitze der COMECE: Kardinal Hollerich
Fast sechs Jahre an der Spitze der COMECE: Kardinal Hollerich

Erfolge im COMECE-Dialog mit den EU-Institutionen

„Ich bin ganz zufrieden.“

 

Zur Frage, was die COMECE-Kommission in den letzten Jahren im Dialog mit den europäischen Institutionen erreichen konnte, zieht Kardinal Hollerich eine positive Bilanz. Er erwähnt insbesondere die Eingaben der EU-Bischofs-Kommission zu Fragen der Menschenrechte und zur Religionsfreiheit:

„Ich bin ganz zufrieden. Wir haben ja ein Sekretariat in Brüssel, wo auch viele Spezialisten arbeiten, die die verschiedenen Dossiers, Projekte der EU verfolgen und die auch aktiv mitarbeiten, die Vorschläge machen. Manchmal werden wir direkt gefragt. Wenn man auf die ganzen fünf Jahre zurückschaut, denke ich etwa an Frau Mogherini und dass wir gefragt worden sind, Punkte für die Achtung der Menschenrechte in der Außenpolitik auszuarbeiten, insbesondere zur Religionsfreiheit. Und da konnten wir uns sehr positiv einbringen.“

„Und ich glaube, dass die Politik sehr froh ist, dass es eine moralische Autorität gibt, die Sachen offen aussprechen kann, was Politikern manchmal schwerer fällt.“

Hollerich erinnert daran, dass die Organe der Europäischen Union zu einem „strukturierten, offenen Dialog mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften verpflichtet sind (Artikel 17 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV, eingeführt mit dem Vertrag von Lissabon). Dieser Dialog zwischen Politik und Religionsvertretern finde einerseits „auf hohem Niveau“ statt und bestehe zudem „auch in sehr vielen kleinen Kontakten“. „Wir werden schon gehört, weil wir mit einer moralischen Autorität sprechen. Und ich glaube, dass die Politik sehr froh ist, dass es eine moralische Autorität gibt, die Sachen offen aussprechen kann, was Politikern manchmal schwerer fällt.“

EU-Korruptionsskandal: Ahndung der Verbechen ist Erfolg

Aktuell belastet ein Korruptionsskandal im EU-Parlament rund um die griechische Vizepräsidentin Eva Kaili und weitere Personen die Staatengemeinschaft. Wird der Skandal das Vertrauen der Bürger in die EU-Institutionen weiter schwächen? Kardinal Hollerich deutet die laufenden Untersuchungen als positives Zeichen und hofft auf Seiten der Bürger auf Unterscheidungsvermögen, wie der Jesuit gegenüber Radio Vatikan ausführt.

„Ich hoffe, dass die Leute verstehen, dass der Korruptionsskandal aufgeflogen ist. Dass Verbrechen geahndet werden, ist an sich ein Erfolg! Und auch die Präsidentin des Europaparlaments (Roberta Metsola, Anm.) hat ja sehr schnell reagiert und die Vizepräsidentin (Eva Kaili, Anm.) von diesem Mandat entbunden. Man sieht, dass das EU-Parlament wirklich demokratische Werte wahrnimmt, gegen Korruption ist und auch konsequent agiert. Aber es schadet natürlich ungeheuer dem Ruf des Parlamentes – das dort auch noch gerade eine Vizepräsidentin für Korruption anfällig war.“

Immerhin wird Korruption geahndet - der Kardinal versucht dem EU-Korruptionsskandal etwas Positives abzugewinnen
Immerhin wird Korruption geahndet - der Kardinal versucht dem EU-Korruptionsskandal etwas Positives abzugewinnen

Herausforderungen: Von Brexit bis Corona

In Hollerichs Amtszeit war Anfang 2020 der Austritt des Vereinigten Königsreiches (UK) aus der Europäischen Union gefallen – nach 47 Jahren Mitgliedschaft. Den Brexit habe er als „sehr traurige Angelegenheit“ erlebt, so Hollerich.

„Wir hatten ja auch in der COMECE die Bischöfe von England und Wales, die Bischöfe von Schottland vertreten, und wir laden sie noch immer ein als Beobachter, weil man auch sieht, dass sie noch immer am europäischen Integrationsprozess interessiert sind. Ich glaube auch, dass man jetzt mit etwas Abstand sieht, dass viele Engländer ihre Meinung geändert haben. Sie sehen jetzt, dass die Versprechungen doch sehr populistisch waren, nicht alle gestimmt haben und dass sie einen bitteren Preis für den Brexit zahlen müssen. Aber der Brexit ist da. Wir müssen damit leben. Nur müssen wir dieses Zusammenleben im Vereinten Königreich so gut wie möglich gestalten, ohne Spannungen und in Harmonie.“

Die Corona-Pandemie habe er am Anfang als „ein Scheitern Europas“ erlebt, denkt Kardinal Hollerich an den Beginn der Pandemie zurück.

„Man fand wieder zurück zu den Nationalismen. Als Luxemburger war das sehr komisch, in einem Land zu leben, wo die Grenzen gesperrt waren. Dann wird plötzlich Luxemburg sehr klein. Und es kamen auch wieder solche Attitüden auf von Nationalismus, die Gespenster der Vergangenheit kamen wieder hervor. Dann hat die EU agiert und gut agiert, und diese Gespenster wurden wieder vertrieben. Aber es muss uns eine Lehre sein: Die Gespenster der Vergangenheit sind noch nicht tot. Wir müssen alles tun, damit diese Gespenster gebannt bleiben und wir ein friedliches Europa zusammen erleben können. Und auch der neuen Generation ein friedliches Europa hinterlassen können.“

(vatican news – pr)
 

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12. Dezember 2022, 12:30