Festbeleuchtung an einer Kirche in Kyiv in der Nacht auf Samstag Festbeleuchtung an einer Kirche in Kyiv in der Nacht auf Samstag 

Ukraine: Nuntius hofft auf „Weihnachten ohne Raketen“

Er wird, wie viele Menschen in der Ukraine, ein schwieriges Weihnachtsfest erleben: Erzbischof Visvaldas Kulbokas ist der Nuntius des Papstes in Kyiv. Wir sprachen mit ihm über Krieg und Frieden, Kälte und Betlehem.

Svitlana Dukhovych und Stefan von Kempis – Vatikanstadt

„So wie Jesus in Bethlehem in der Kälte, in der Dunkelheit geboren wurde, so nähern sich die Ukrainer dieses Jahr Weihnachten auf eine sehr ähnliche Weise.“ Das sagt der Nuntius in unserem Interview. Er zitiert damit aus dem Brief, den Papst Franziskus unlängst von Rom aus an die Menschen in der Ukraine geschrieben hat.

„Die Realität sieht so aus, dass stundenlang, manchmal sogar tagelang, ohne Übertreibung Millionen von Haushalten ohne Licht, ohne Heizung sind. In diesem Sinne ähnelt Weihnachten den Bedingungen, unter denen Jesus in Bethlehem auf die Welt kam. Für Gläubige, insbesondere für Christen, ist dies auch eine Möglichkeit, sich geistig mit der Heiligen Familie zu verbinden, so wie sie Weihnachten erlebt haben. Für mich persönlich ist es eine tiefe Erfahrung, denn in der Dunkelheit, in der Schwierigkeit, nimmt man das göttliche Licht stärker wahr. Deshalb leuchtet Weihnachten in diesem Leiden umso heller.“

Jetzt erst recht Weihnachten feiern

Bei vielen Menschen auch aus anderen Konfessionen und Religionen, aber auch bei sich selbst nimmt der Nuntius den „Drang“ wahr, unter diesen Umständen „Weihnachten so gut wie möglich zu feiern“. Viele näherten sich dem Fest der Geburt Jesu deshalb „in einem wirklich tiefen Geist“.

Erzbischof Kulbokas
Erzbischof Kulbokas

Am Freitag ist Kardinal Konrad Krajewski in der Nuntiatur in Kyiv eingetroffen; der Pole leitet das Vatikan-Dikasterium für Barmherzigkeit und hat in den letzten Tagen gespendete Thermokleidung und Stromgeneratoren in die Ukraine gebracht. Kulbokas bewundert es, wie Krajewski selbst sämtliche Spenden per Lieferwagen von Polen aus über die Grenze ins Land gefahren hat. Die Nachfrage vor allem nach den Generatoren sei immens: „Ich habe schon von vielen Pfarrern und Bischöfen gehört, dass sie nicht nur in Polen und Ungarn, sondern auch in anderen Ländern keine Generatoren mehr finden, weil sie verkauft oder den Ukrainern geschenkt wurden.“

„Wir wissen nie, unter welchen Bedingungen wir morgen aufwachen werden“

Bei ihm in der Nuntiatur funktioniert im Moment das Telefon, erzählt der Erzbischof – allerdings könne sich das schnell ändern, jederzeit könne die Kommunikation unterbrochen werden.

Weihnachten im Krieg - Interview von Radio Vatikan mit dem päpstlichen Nuntius in der Ukraine

„Die Heizung hängt von der Gasversorgung in der Stadt ab; wenn die Arbeit der Pumpen, die das Gas in die Stadt bringen, unterbrochen wird, sind selbst in einer großen Stadt wie Kyiv alle Dienstleistungen unterbrochen. Wir wissen also nie, unter welchen Bedingungen wir morgen früh aufwachen werden und wie es uns am ersten Weihnachtsfeiertag gehen wird, aber im Moment bereiten wir uns darauf vor, mit dem Minimum auszukommen.“

„Von den humanitären Fragen überfordert“

Kulbokas gesteht, dass er und seine Leute in der Nuntiatur „mit so vielen humanitären Fragen“, die derzeit auf sie einstürmten, „überfordert“ seien. Er freut sich auf Weihnachten mit Kardinal Krajewski und mit den katholischen Gemeinschaften (den lateinischen wie den byzantinischen) in der Hauptstadt. Ausgesprochen dankbar ist er für die Aufmerksamkeit und Hilfe aus dem Ausland für die Ukraine.

Solidarität ist spürbar, aber die Hilfe ist nie genug...

„Die Situation ist so schwierig, dass es ohne die Hilfe vieler, vieler Menschen guten Willens aus so vielen Ländern - ich spreche von Polen, Deutschland, Italien, Spanien, Ungarn, der Slowakei, der Tschechischen Republik, den baltischen Staaten und vielen anderen Ländern - physisch gar nicht möglich gewesen wäre, den Punkt zu erreichen, an dem wir heute stehen, ja wir würden überhaupt nicht überleben. Die Solidarität ist spürbar – sowohl vom Heiligen Vater als auch von den Kirchen, von den verschiedenen Ländern.“

Aber natürlich seien die Bedürfnisse gewaltig und die Hilfen „nie genug“, so der Vertreter des Papstes in der Ukraine.

Der Traum vom sicheren Weihnachten

„Wenn wir uns jetzt in der Ukraine gegenseitig Weihnachtsgrüße schicken, habe ich festgestellt, dass Priester und auch andere Gläubige oft auf die Karten schreiben: ‚Wir wünschen Ihnen ein sicheres Weihnachtsfest‘. Das ist unser erster Wunsch: ein sicheres Weihnachten, ein Weihnachten ohne Raketen, ohne Explosionen... Und ein Weihnachten des Gebets, in dem es die große Solidarität der Welt und der verschiedenen Kirchen gibt und gleichzeitig ein Gefühl der Nähe Gottes.“

Auch in der Dunkelheit wirkt der Zauber von Weihnachten, davon ist Erzbischof Kulbokas überzeugt. Er habe gesehen, wie Kinder Weihnachtsbäume malten, und dabei gedacht: „Für sie bleibt Weihnachten also Weihnachten –auch wenn eine Rakete vorbeifliegt...“ „Das heißt, es gibt die traumatische Erfahrung, aber der Sinn von Weihnachten bleibt. Mit anderen Worten, es besteht der große Wunsch, Weihnachten wirklich zu erleben und die Freude über Jesus, den Sohn Gottes, der für uns geboren wurde, zu spüren.“

Im Zentrum von Kyiv
Im Zentrum von Kyiv

„Jetzt für die Priester beten, und für die Menschen an der Front“

Wenn man ihn fragt, wofür die Menschen jetzt an Weihnachten besonders beten sollten, sagt Kulbokas: für die Priester.

„Wir haben den Kontakt zu einigen von ihnen in der Ukraine verloren, wir wissen nicht, wo sie sind und in welchem Zustand sie sich befinden. So könnte man sich im Gebet immer wieder spontan an sie erinnern, um ihre Sendung dem Herrn anzuvertrauen. Und dann ein noch stärkeres Gebet für diejenigen, die direkt an der Kriegsfront stehen, wo das Leiden unmenschlich ist. Und hier ist mein Appell, zuallererst auf den Herrn zu vertrauen, denn für ihn ist es tatsächlich möglich, den Krieg zu beenden.“

(vatican news)
 

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24. Dezember 2022, 10:32