Äthiopien: Tigray trotz Waffenstillstand weiter in Not
Jean-Charles Putzolu und Anne Preckel – Vatikanstadt
Zwei Monate nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens zwischen der äthiopischen Regierung und den Rebellen in der Region Tigray hat sich die Lage verbessert: Humanitäre Hilfen treffen inzwischen ein, Strom- und Kommunikationsnetze wurden teils wieder hergestellt und eine Flugverbindung eingerichtet, und die Menschen haben begonnen, wieder ihren üblichen Geschäften nachzugehen.
Noch lange keine Normalität
Bis die Menschen in Tigray wieder „ein normales Leben“ führen könnten, werde es aber noch lange dauern, gibt der päpstliche Nuntius Antoine Camilleri zu bedenken. In der Region seien 90 Prozent auf humanitäre Hilfe angewiesen – diese trifft inzwischen ein, aber nicht in ausreichendem Maße. Erzbischof Camilleri:
„Die Dringlichkeit bleibt also bestehen. Die Einstellung der Gewalt und das Ende der Kämpfe haben es den Landwirten ermöglicht, wieder mit der Bearbeitung des Bodens und dem Anbau von Feldfrüchten zu beginnen, aber es ist noch zu früh, um die neue Konjunktur voll auszunutzen. Die Situation hat sich verbessert, auch dank des entschlossenen Eingreifens katholischer Hilfsorganisationen wie der amerikanischen Caritas, der Catholic Relief Services, die allein mehr als die Hälfte der bisher in der Region geleisteten humanitären Hilfe bereitgestellt haben. Doch es bleibt noch viel zu tun.“
Friedensabkommen hält bislang
Nach zweijährigem Krieg hatten die äthiopische Bundesregierung und die Rebellenbehörden der Region Tigray am 2. November unter Schirmherrschaft Südafrikas in Pretoria ein Friedensabkommen unterzeichnet. Die genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt, da die Kriegsregion für Medien bislang unzugänglich war. Amnesty International wertete den Konflikt als einen der tödlichsten der Welt und sprach von Übergriffen, sexueller Gewalt und der Verweigerung humanitärer Hilfe. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat der Krieg mehr als zwei Millionen Menschen vertrieben.
Zwölf Millionen Menschen sind nach Angaben der Kinderrechtsorganisation Save the Children in Äthiopien akut von Hunger bedroht. Fast vier Millionen Kinder sind demnach schwer mangelernährt, 22 Millionen Menschen haben nicht genügend Nahrung, teilte die Organisation am Freitag in Berlin mit.
Der in Addis Abeba stationierte Nuntius bangte während des Konfliktes um die „wehrlose Bevölkerung“, wie er formuliert. Gegenüber Radio Vatikan berichtet er von einer „tiefen Spaltung der äthiopischen Gesellschaft“ durch den Krieg und schwerwiegende Folgen der Gewalterfahrungen, die weiter nachwirken.
Gewalterfahrungen wirken nach
„Die Gewalt hat das Leben von Tausenden von Familien und Millionen von Menschen unauslöschlich gezeichnet, darunter viele Priester und Ordensleute, die Gewalt oder Ungerechtigkeit direkt erfahren haben oder Zeugen von Gewalt gegen ihre Angehörigen oder andere Personen, für die sie verantwortlich waren, geworden sind. Der Heilige Vater hat allen Grund, weiterhin zu wiederholen: ,Nie wieder Krieg‘. Krieg bringt nur Tod und Zerstörung, und es ist immer die Zivilbevölkerung, die die Kosten für die Gewalt und die damit verbundenen schweren Entbehrungen zahlt.“
Besonders besorgniserregend und dramatisch sei gewesen, dass es nicht möglich war, mit den katholischen Gemeinden in der völlig isolierten Konfliktregion in Kontakt zu treten, geht der Nuntius weiter ins Detail. Trotz der widrigen Bedingungen habe das kirchliche Netzwerk in Äthiopien aber seit Beginn des Konfliktes „jede Gelegenheit genutzt“, um Nothilfe zu leisten – „nicht in den Mengen, die benötigt wurden, aber ausreichend, um einige der Leiden der Bevölkerung zu lindern und Leben zu retten“, so Camilleri.
Papst-Appelle für Frieden
Papst Franziskus hatte seit November 2020 bis heute mehrfach über den Krieg in Äthiopien gesprochen und mehrere Friedensappelle lanciert. Am 9. Januar gab er vor Diplomaten im Vatikan seiner Hoffnung Ausdruck, „dass der Befriedungsprozess fortgesetzt und das Engagement der internationalen Gemeinschaft zur Bewältigung der humanitären Krise in diesem Land verstärkt“ werde.
„Während des zweijährigen Krieges hat es der Heilige Vater nie versäumt, seine Stimme für die leidende Bevölkerung, die Flüchtlinge und Vertriebenen zu erheben“, betont Erzbischof Camilleri, der Franziskus am 13. Januar im Vatikan besuchte. „Die Stimme des Heiligen Vaters war wichtig, um die Hoffnung derer, die unter dem Krieg litten, am Leben zu erhalten und den Konflikt nicht in Vergessenheit geraten oder von der internationalen Gemeinschaft gleichgültig hingenommen werden zu lassen.“
Der Heilige Stuhl habe die Kirche in Äthiopien in der schwierigen Zeit des Konfliktes „begleitet und sie ermutigt, geeint zu bleiben und zur Verteidigung der Schwächsten und aller Opfer des Krieges zu sprechen und zu handeln“, so der Nuntius weiter. Er ist überzeugt davon, dass die Kirche „eine wichtige Rolle im Prozess der Befriedung und Heilung der Gesellschaft spielen wird“.
(vatican news -pr)
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