Binnenvertriebene in Juba: „Wir haben nie aufgehört zu beten“
Francesca Sabatinelli und Anne Preckel - Juba / Vatikanstadt
In dem ehemals von der UNO geleiteten Flüchtlingslager von Juba leben heute 33.000 Menschen zusammengepfercht auf staubigem Boden. Die Menschen, die der Nuer-Ethnie angehören, flohen vor der Gewalt im Norden des Landes und später vor dem Krieg, der 2016 auch die Hauptstadt verwüstete. Viele ihrer Kinder sind im Lager geboren, sie laufen barfuß zwischen Glasscherben und leben in zusammengeflickten Zelten und Hütten. - Und sie sterben hier, etwa an Malaria, das für viele Flüchtlinge im Lager tödlich ist.
„Die Not ist enorm, es gibt praktisch keine medizinische Versorgung, die Sterblichkeit ist sehr hoch, sowohl bei Kindern wie Erwachsenen“, berichtet der italienische Franziskaner-Minorit Federico Gandolfi unserer Korrespondentin Francesca Sabatinelli beim Besuch des Lagers. „Sie sterben an Krankheiten, die man eigentlich gut heilen kann. Malaria-Medizin gibt es hier nicht, sie kostet 15 Euro. Das Leben eines Kindes ist hier sozusagen weniger als 15 Euro wert“, verdeutlicht der Ordensmann die Lebensbedingungen im Camp.
Lager nicht mehr unter UN-Aufsicht
Laut UN-Angaben sind im Südsudan wegen des letzten Bürgerkriegs (2013 bis 2018) 2,3 Millionen Südsudanesen in Nachbarländer geflohen, Hunderttausende leben als Binnenflüchtlinge in oft unzureichend ausgestatteten Camps wie dem von Juba. Seit die Vereinten Nationen die Betreuung des Lagers abgaben, habe sich die Lage der Nuer-Flüchtlinge „sehr verschlechtert“, berichtet der Missionar Gandolfi. Sie leben in extremer Armut, und seit es keine auferlegten Lagerregeln mehr gebe, machten sich „Dorfmentalitäten“ breit, womit Gandolfi wohl das Recht des Stärkeren meint. Die Menschen im Lager seien in mehrfacher Hinsicht gefangen, erläutert Gandolfi.
„Hier herrschen unsichtbare Grenzen, es gibt Stammesgrenzen, wirtschaftliche und soziale Grenzen. Wenn Kinder in diesem Lager, das seit 2013 besteht, aufwachsen, sprechen sie nur ihre eigene Sprache und haben weder Arabisch noch Englisch gelernt, die gemeinsamen Sprachen des Südsudan. Es sind also strukturelle, unsichtbare Grenzen, wodurch der Prozess der Integration schwierig und kompliziert wird.“
Resilienz
Während die Journalistin mit dem Pater durch das Lager läuft, bildet sich hinter ihnen in wenigen Minuten ein Rattenschwanz neugieriger Flüchtlinge. Lächelnde offene Gesichter, hüpfende Kinder. Die Menschen im Lager suchten Beziehungen und Kontakt, das seien die Habseligkeiten der Flüchtlinge, die nichts haben, nicht einmal Schuhe oder frisches Wasser. Es werde hier trotz allem viel gelächelt, berichtet Gandolfi weiter, er selbst sei immer wieder beeindruckt von der „unglaublichen Resilienz“ dieser Menschen. In der Optik von Beziehung sähen sie auch den Papstbesuch, so der Missionar. Danach gefragt antworten die Flüchtlinge:
„Wir sind glücklich über die Ankunft des Papstes im Südsudan“, sagt Maman, eine alte Flüchtlingsfrau. Sie ist blind, wie auch Jüngere im Lager, vermutlich wegen Bakterien im Brunnenwasser, mit dem sich die Menschen hier waschen. „Wir sind blind, wir sind taub, wir leiden alle, aber die Ankunft des Papstes wird uns Frieden und Versöhnung bringen“, zeigt sich die Frau überzeugt. „Unsere Kinder und Männer starben im Krieg, und wir hoffen, dass die Ankunft des Papstes die Gewalt stoppen und bewirken wird, dass unsere Lieben nicht mehr umkommen.“ Franziskus könne die Regierenden davon überzeugen, dass „Frieden die einzige Möglichkeit für dieses Land ist, der einzige Weg, die einzige Hoffnung, die uns bleibt, um wieder ein vereintes Volk zu sein“, sagt Maman.
„Dieser Besuch wird ein Wendepunkt für den Frieden sein“, pflichtet ihr ein anderer Binnenflüchtling bei. „Wir haben unseren Glauben an Gott nicht verloren und haben nie aufgehört zu beten. Wir hoffen, dass der Papst, der hierherkommt, all unsere Wunden reinigen kann, dass er uns erlaubt, die Vergangenheit zu vergessen und neu anzufangen“, sagt der Mann im Flüchtlingslager von Juba.
Die Hoffnung auf Versöhnung
Trotz der Schrecken und Verluste, der körperlichen und seelischen Wunden sprechen die Vertriebenen von Juba von Versöhnung und Frieden. Sie sagen uns, dass sie hoffen, dass sie eines Tages wieder ein geeintes Volk sein werden, dass in ihren Herzen kein Platz für Hass und Rachegelüste ist. Ist aber Versöhnung, ist Frieden nach den Massakern im Südsudan nur ein Wort oder tatsächlich eine reale Möglichkeit? Pater Gandolfi, der schon lange im Land lebt, versucht darauf eine Antwort zu geben.
„Nach dem zweiten Bürgerkrieg habe ich einmal in Juba über Versöhnung gepredigt; davon war im Tagesevangelium die Rede. Danach kam ein Katechet zu mir und sagte: ,Pater, nur wenn Gott uns hilft, können wir vergeben. Auch Jesus am Kreuz hat nicht gesagt: ,Ich vergebe euch', sondern er sagt: ,Vater, vergib ihnen'. Er lehrt uns, dass wir unseren Vater bitten müssen, um vergeben zu können.' Dieser Katechet hat mir damals eine Glaubensunterweisung gegeben“, lacht der Missionar, „das hat mich sehr bewegt. Die Leute haben dieses Vertrauen in Gott, sie sagen: Gott ist da – und gehen nicht darüber hinaus. Keine philosophische Konstruktion von Gott, nein, es ist ein natürlicher, sehr starker, sehr schöner Glaubenssinn. Kindlich? Ich glaube nicht, es ist fast wie der Höhepunkt der Mystik: Wenn man versteht: Gott ist da, muss man nichts mehr hinzufügen.“
Anders als im mehrheitlich islamischen Sudan bekennt sich die Bevölkerung im Südsudan vorwiegend zum Christentum, dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung angehören. Die meisten sind katholisch, gefolgt von den Anglikanern. Knapp ein Drittel bekennt sich zu lokalen Religionen.
(vatican news - pr)
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