Syrien: Arzt fordert mehr Hilfe und Ende der Sanktionen
Michele Raviart, Delphine Allaire und Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Aleppo im Nordosten Syriens ist eines der Gebiete, die besonders vom Beben betroffen sind - und zudem immer noch unter den Auswirkungen des Syrienkriegs leiden. Wir haben Dr. Emile Ketty, der das Krankenhaus Al Arjaa leitet, am Montag telefonisch in Aleppo erreicht:
„Die Lage hier ist dramatisch, besonders im Stadtzentrum und in der Altstadt. Die Erschütterung war wirklich heftig. Wir haben noch keine genauen Opferzahlen, aber wir fürchten es sind 300-500, allein in Aleppo-Stadt und mindestens 1.500 bis 2.000 Verletzte. Das sind alles nur Schätzungen und vorläufige Zahlen, denn unter den Trümmern suchen wir noch immer nach Überlebenden; auch wenn die Wahrscheinlichkeit, nur noch Tote zu bergen, natürlich immer größer wird, je mehr Zeit vergeht. Sehr viele Leute hier sind auch obdachlos geworden - hier in Aleppo haben rund 1,5 Millionen Menschen ihre Häuser verloren! In ganz Syrien sind etwa 5,5 Millionen Menschen obdachlos - es ist ein menschliches, gesundheitliches und gesellschafliches Drama", berichtet der Arzt im Interview mit uns.
Es gibt zum Glück auch viel Solidarität - sowohl in Aleppo selbst als auch Hilfe von auswärts. Dr. Ketty kritisiert jedoch zugleich die Syrien-Sanktionen:
„Kirchen, Konvente und Klöster, Moscheen und Schulen hier stehen als Notunterkünfte offen, aber noch ist das Unglück frisch und die Hilfsbereitschaft der Leute groß; auf lange Sicht braucht es unbedingt bessere Unterkünfte und mehr internationale Hilfe, um all denen zu helfen, die durch das Beben alles verloren haben. Es wird noch weiter nach Überlebenden gesucht und es kommt nun auch Hilfe aus Algerien, dem Libanon, dem Iran und Armenien. Aber nach zehn Jahren des Wirtschaftsembargos und der Sanktionen ist die Ausrüstung in Syrien nicht die aktuelleste und beste."
Bei der Hilfe dürfe es zudem kein Ungleichgewicht zwischen der Türkei und Syrien geben, mahnt der Arzt:
„Ich möchte daran erinnern, dass es keine Opfer erster und zweiter Klasse gibt. Opfer sind Opfer. Das Epizentrum des Bebens war in der Türkei, aber wir sind nur 70 Kilometer Luftlinie vom Epizentrum in Antiochien entfernt. Die Welt hat Schiffe und Flugzeuge in die Türkei geschickt - das ist auch richtig so. Aber die Opfer, die unter den Trümmern in Syrien ein paar Kilometer weiter liegen, sollen die aufgrund der Sanktionen sterben? Ist das menschlich? Ist das moralisch?"
Das Erdbeben habe in Syrien zudem gerade jene Gebiete besonders getroffen, die durch zehn Jahre Krieg bereits gezeichnet waren, erinnert der Arzt. Der neuere Teil von Aleppo, in dem sich auch das Krankenhaus Al Arjaa befindet, das Dr. Ketty leitet, wurde zum Glück durch das Beben weniger beschädigt; die Not unter den Patienten ist jedoch groß:
„Hier bei uns sind die Gebäude stabiler, die ersten Tage kamen hauptsächlich Leute, die sich auf den Straßen verletzt hatten oder während des Bebens im Haus gestürzt sind und das waren meist keine so schweren Verletzungen. Aber jetzt kommen die Leute aus den anderen Notaufnahmen zu uns: Es sind sehr viele Kinder, auch weil die Notunterkünfte, die Zelte auf den Straßen, nicht beheizt sind. Viele haben Atemprobleme, es gibt auch besonders unter den Kleinkindern viele, die aufgrund der Kälte und Mangelernährung Infektionen bekommen haben. Wir brauchen Medikamente und Materialhilfe für Not-Op's; für die Kinder vor allem Milch, außerdem Heizmöglichkeiten: etwa Matratzen, Decken und Wärmestrahler, denn es ist wirklich auch sehr, sehr kalt gerade", so der Mediziner.
Türkei: Patriarch Bartholomaios dankt für Hilfe
In der Türkei hat unterdessen der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios, am Wochenende an seinem Amtssitz in Istanbul Gläubige aus den von den beiden Erdbeben vom 6. Februar betroffenen Gebieten getroffen. Bei seiner kurzen Ansprache in der Patriarchalkathedrale drückte Bartholomaios seine Trauer und Anteilnahme gegenüber allen, die Opfer zu beklagen haben, aus und versicherte „väterliches Mitgefühl und Unterstützung" der Orthodoxen Kirche.
Der griechisch-orthodoxe Patriarch lobte die Solidarität, die viele Länder gezeigt hatten. Explizit und sichtlich bewegt erwähnte Bartholomaios hier Griechenland und hob auch den Besuch des griechischen Außenministers Nikolaos Dendias hervor, der noch am Tag der Tragödie selbst in der Türkei eingetroffen war - als erster Minister aus Europa.
(vatican news - sst)
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