Hoffnungsschimmer in Honduras: Neue Regierung arbeitet sich voran
Adveniat-Bischof Franz-Josef Overbeck sowie den beiden Mitglieder der Bischöflichen Kommission Adveniat, Weihbischof Udo Benz von Mainz und Weihbischof Jörg Michael Peters von Trier, hatten sich gemeinsam mit Adveniat-Hauptgeschäftsführer P. Maier und Mittelamerika-Referentin Inés Klissenberger auf der achttägigen Delegationsreise die Hilfsprojekte vor Ort besucht und sich einen Überblick über die Lage des von Armut und Korruption gezeichneten Landes verschafft. Infolge der Corona-Pandemie und der weltweiten Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Energie aufgrund des Ukraine-Kriegs ist die Zahl der Menschen, die in Armut leben, auf 70 Prozent gestiegen. Die Hälfte der Bevölkerung lebt sogar in extremer Armut.
Besonderer politischer Zankapfel der letzten Wochen: Die Besetzung des Obersten Verfassungsgerichtshofes, die mittlerweile gelungen ist. Am 16.2. wurden Kandidaten vereidigt, die unter Kriterien der Berufsethik und Professionalität ausgewählt wurden, um einen Missbrauch des Gerichtes zu verhindern. Wir haben Inés Klissenbauer nach den Reaktionen von Kirche und Zivilgesellschaft des Landes auf diese Einigung gefragt.
Inés Klissenbauer (Adveniat-Referentin für Mittelamerika): „Das Oberste Verfassungsgericht wurde ja erst im fünften Wahlgang gewählt. Die Kirche und die Zivilgesellschaft des Landes, aber auch die Europäische Union, die Vereinten Nationen und andere haben deutlich dazu aufgerufen, dass es ein fairer und transparenter Wahlgang werden sollte. Nach dem fünften Wahlgang wurde es dann besetzt. Die Präsidentin hat sich positiv dazu geäußert, aber es gibt natürlich auch viel Kritik, vor allem vom Widersacher der Präsidentin, der ihr zum Wahlerfolg verholfen hat (Anm. Salvador Nasralla von der Partei Salvador de Honduras, der mittlerweile harsche Kritik an der Regierung äußert und dessen Vorschläge für die genannte Besetzung nicht berücksichtigt wurden). Aber vor allem die Kirche und auch Menschenrechtler haben das Wahlergebnis jetzt erst mal als gut befunden, kann man sagen. Jetzt muss das oberste Verfassungsgericht aber vor allem erst einmal zeigen, dass es wirklich angelehnt an die Verfassung und an die Rechtsstaatstaatlichkeit arbeitet und nicht Parteiinteressen bedient.
Radio Vatikan: Sind denn die Voraussetzungen für eine solche überparteiliche Rechtsprechung gegeben?
Klissenbauer: „Zwischen der Regierungspartei Libre und den zwei größten Oppositionsparteien, den zwei traditionellen Parteien in Honduras, ist die Verteilung der Sitze des Obersten Gerichtes, also die 15 Richter, relativ gleichmäßig erfolgt. Libre hat sechs Richter-Sitze bekommen und die anderen beiden teilen sich fast hälftig die anderen. Von daher ist ein relatives Gleichgewicht gegeben und es wurde auch sehr gelobt, dass es ausgewogen ist und das Gericht damit arbeiten kann und nicht einer speziellen Partei dient.“
Ein ausgewogen zusammengesetztes Gericht
Radio Vatikan: Sie waren gerade vor Ort und Sie sprechen in Ihren Medien-Mitteilungen von einem „gekreuzigten“ Volk. Was sind denn aktuell die dringlichsten Missstände in Honduras?
Klissenbauer: „Honduras ist ein schönes, fruchtbares und an Bodenschätzen reiches Land. Und 70 Prozent der Bevölkerung leben dennoch in Armut, während 50 Prozent sogar in extremer Armut leben. 100.000 Menschen verlassen jedes Jahr das Land, emigrieren, bei dem Versuch, zu überleben und auch der hohen Gewalt zu entkommen. Täglich werden im Land durchschnittlich zehn Menschen ermordet, die Gewalttaten an Frauen und Kindern, auch Feminizide, sind enorm häufig. Hintergrund ist eine extrem ungleiche Gesellschaft, eine politische Elite, die in den letzten 14 Jahren durch zahlreiche Korruptionsfälle öffentliche Kassen ausgeplündert hat und mit korrupten Wirtschaftseliten und mit Drogenkartellen verstrickt ist und das Land regelrecht ausblutet. Schon allein in diesem Jahr sind über zehn Morde an Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten verzeichnet worden und das sind meist Menschen aus der einfachen Land- und indigenen Bevölkerung, die ihr Land gegen Raub und Ausbeutung verteidigen, die bedroht und ermordet werden.“
Radio Vatikan: Wie ist denn die Lage der Kirche und welche Rolle spielt sie angesichts der Missstände, die ja oft gerade durch die Kirche auch klar benannt werden?
Klissenbauer: „Die Kirche ruft die Bevölkerung immer wieder dazu auf, sich von der Gewalt abzuwenden und die Politiker, den Rechtsstaat und die Demokratie zu schützen und für das Wohl des Volkes und nicht für die eigenen Interessen zu regieren. In vielen Fällen steht die Kirche, vor allem auch die Ordensleute, an der Seite der drangsalierten Gemeinden, vor allem der Landgemeinden, und begleiten diese und setzen sich mit diesen für ihre Rechte ein.“
Wichtige Schritte der Regierung
Radio Vatikan: Wie Sie sagen, leiden ja Indigene und die Landbevölkerung vor allem unter dieser korrupten Politik und der Wirtschaftslobby. Was könnte das denn ändern?
Klissenbauer: „Es wird jetzt sehr große Hoffnung in die Wahl des obersten Verfassungsgerichtes gesetzt, das unabhängig von Partei und Lobbyinteressen der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet seine Arbeit tun soll, dank der Besetzung durch ethisch handelnde und ehrliche, professionelle Richter. Zum Ersten Mal wurde ja auch ein Afro-Hondureno in das Oberste Gericht gewählt. Das alles kann dazu führen, dass Menschenrechtsverletzungen und Korruption geahndet werden und dass sie sich dadurch, dass sie bekämpft werden, verringern. Auch schreiten die Verhandlungen der Regierung, die erst seit einem Jahr im Amt ist, zur Schaffung einer UNO-Kommission zur Bekämpfung der Korruption und Straflosigkeit langsam voran. Zudem ist die organisierte Zivilbevölkerung im Kampf um Rechtsstaatlichkeit weiterhin ein ganz wichtiger Akteur im Land, der die Regierung Castros (Anm.: Xiomara Castro, seit Ende Januar 2022 im Amt) immer wieder ermahnt und in die Pflicht nimmt, ihre Wahlversprechen einzuhalten.
So hat die Regierung Gesetze zurückgenommen, die den Bergbau im großen Stil ermöglichen, die die Modellstädte ermöglichen, diese Sonderwirtschaftszonen, die im Grunde nur die reichen Unternehmen begünstigen, und sie hat auch schon einige wichtige Schritte unternommen, die jetzt mit dem neuen Gerichtshof auch durchsetzbar sein müssten. Und die Regierung muss jetzt vor allem auch liefern, indem sie mehr gegen die Gewalt im Land tut, die extrem hoch ist und unter der die Menschen sehr leiden und eben auch Zukunftsperspektiven, Arbeitsmöglichkeiten, Bildungsmöglichkeiten schaffen für die vielen Menschen, die sonst weiterhin das Land verlassen werden.“
Radio Vatikan: Also insgesamt könnte man zusammenfassen, eine Situation, die über Jahre schlechter geworden ist, aber jetzt doch ein Hoffnungsschimmer am Horizont.
Klissenbauer: „Ja, das kann man schon so sagen. Viele setzen Hoffnung in die neue Regierung. Viele sind auch unzufrieden, weil sie erwarten, dass innerhalb eines Jahres sich sehr viel verändern kann, was so schnell nicht geht. Aber in unseren Gesprächen, vor allem mit Land- und indigenen Gemeinden können wir doch kleine Fortschritte verzeichnen und vor allem auch die Hoffnung darauf, dass Repräsentanten auch aus der Zivilgesellschaft, die ja jetzt auch in Regierungsämter mit sitzen, auch eine entsprechende Richtungsänderung in der Politik anstoßen können. Was natürlich ein bisschen schwierig ist, dass auch dieser Regierung nachgesagt wird, dass sie mit reichen Unternehmerfamilien verstrickt ist, die an der Ausbeutung des Landes beteiligt sind. Aber insgesamt ist der Tenor schon noch voller Hoffnung und Zuversicht, dass sich einiges auf jeden Fall verbessern wird.“
Radio Vatikan: Wie spiegelt sich denn das in Ihrer Arbeit mit den Partnern wider?
Klissenbauer: „Wir bekommen entsprechend der Lage im Land immer häufiger Projektanträge, die sich eben genau um die Problemfälle im Land kümmern. Wir unterstützen Projekte, wo die Kirche wirklich an der Seite der armen Bevölkerung ist, sie begleitet, fortbildet und vor allem auch mit ihnen versucht, ihre Rechte einzufordern - und das auch erfolgreich tut. Man kann immer wieder sehen, wo wirklich kontinuierlich an der Seite von armen Landgemeinden im Streit um ihre Landrechte gekämpft wird und das konsequent betrieben wird, da werden auch vor Gericht Erfolge erzielt. Und mit dem neuen Verfassungsgericht ist da noch mehr eine positive Perspektive entstanden.
Dann gibt es Projektanträge, die sich um die Gewalt bemühen, die Bekämpfung der hohen Gewalt, aber auch um die Rechte von Gefangenen… Also es ist ein breites Spektrum an Projekten, die wir fördern können, die darauf abzielen, eben die Lage der armen Menschen, der Entrechteten, kann man sagen, des „gekreuzigten Volkes“, wie das unser Hauptgeschäftsführer ausdrückte, zu erleichtern, zu verbessern und eben Rechtsstaatlichkeit zu fördern und das Recht auf Leben und ein Leben in Würde für alle zu ermöglichen.“
Radio Vatikan: Vielen Dank.
Klissenbauer: „Sehr gerne.“
(vatican news - cs/pr)
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