Nigeria: „Ins Gemeinwohl investieren scheint unattraktiv“
DOMRADIO.DE: Sie sind selbst häufig im Land gewesen. Was sind die zentralen Probleme, die die Menschen in Nigeria umtreiben?
Volker Greulich (Afrikareferent bei Kolping International): Spontan würde ich sagen Öl und Korruption sind die wesentlichen Probleme. Das mit dem Öl mag sich komisch anhören, denn wir verbinden ja mit Rohstoffen eigentlich Reichtum. Tatsache ist, dass Rohstoffreichtum dazu führt, dass die Eliten den Staat kontrollieren und plündern. Das kann man in vielen afrikanischen Ländern beobachten, die über Rohstoffvorkommen verfügen.
Wenn relativ junge Staaten ohne nationale Geschichte, ohne nationale Identität, multiethnisch, mit religiösen Gegensätzen, ohne gewachsene nationale politische Elite auf einmal über Milliardenvermögen verfügen, ist die Neigung sehr groß, den Staat als Beute zu sehen. Und das ist leider in Nigeria passiert.
Religion als Brandbeschleuniger
DOMRADIO.DE: Der Norden des Landes ist islamisch geprägt. Dort gilt die Scharia, die islamische Rechtsprechung. Inwiefern ist das ein Problem für die Christen Nigerias? Beobachter sprechen von religiöser Intoleranz und Diskriminierung.
Greulich: Religion generell ist, das gilt für die verschiedenen Projekte und Konflikte, wo das eine Rolle spielt, nicht die Brandursache, sondern der Brandbeschleuniger. Im Hintergrund stehen immer sozioökonomische, wirtschaftliche, soziale Interessen, die das Ganze verschärfen.
Die Scharia ist für lokale Politiker immer auch ein Wahlgewinner, weil gerade konservative Muslime das gut finden. Wobei, wenn ich mir den Norden angucke, sind es nicht nur Christen, die darunter leiden. Christen sind sehr stark betroffen vom Blasphemie-Verbot, aber auch normale Muslime, die gerne mal einen über den Durst trinken, haben natürlich Probleme damit.
Anschläge und Gewalt
DOMRADIO.DE: Erst im Januar wurden bei einem Anschlag elf Menschen, überwiegend Katholiken, ermordet. Immer wieder werden Priester getötet, es werden Kirchen angezündet, Ordensschwestern entführt. Werden Christen in Nigeria verfolgt?
Greulich: Nein, aber es gibt viele gewaltsame Konflikte, die entlang religiöser Linien laufen, wo dann auch beide Seiten die religiösen Gefühle ausnutzen. Lassen Sie mich Ihnen mal ein Beispiel geben: Die Fulani ist eine Ethnie, halb nomadische Hirten, überwiegend Rinderzüchter aus dem Norden, die je nach Witterung, einer Trockenheit oder Regenfällen, mit ihren Rindern, dem Regen hinterherlaufen und sie sind immer schon Richtung Süden gelaufen. Und mit Klimawandel und Trockenheit laufen sie noch weiter. Da treffen sie dann auf christliche Bauern. Die finden das natürlich dann nicht so gut, wenn die Viecher ihnen die Felder leer fressen und dann kommt es zu Konflikten. Das heißt auch, dass da schon einmal ein Dorf massakriert wird. Dass die Fulani, die oft auch über Schnellfeuerwaffen verfügen, dann auch schon mal 40 bis 50 Leute umbringen. Natürlich gibt es Gewalt gegen Priester, aber ich würde sagen, es gibt überhaupt ein sehr hohes Gewaltlevel. Es gibt eine hohe Gewaltbereitschaft, es gibt ein hohes Konfliktniveau, das betrifft alle Leute.
DOMRADIO.DE: Schauen wir auf die Wahl von diesem Wochenende. Spielt die Religionszugehörigkeit bei der Regierungsbildung und dann auch bei der Verteilung von Posten eine Rolle?
Greulich: Ja, da geht es um Parität. Norden, Süden, die verschiedenen Ethnien, aber auch Religion muss berücksichtigt werden. Wobei man sagen muss, Nigeria ist ja keine Diktatur. Das heißt, ich glaube nicht, dass das Ergebnis der Wahl schon feststeht. Es wird sicherlich Wahlbetrug geben, aber jetzt nicht zentralisiert von oben herab, so dass dann etwa 90 Prozent für die Regierungspartei rauskommt, sondern eher regional und durchaus verschiedene Richtungen. Das heißt, der Wähler hat schon einen Einfluss darauf, wer es letztlich wird. Nachher, wenn dann die Ämter verteilt werden, dann spielt Parität eine große Rolle.
Investition ins Gemeinwohl?
DOMRADIO.DE: Inwiefern kann denn eine neue Regierung die Probleme im Land lösen? Trauen Sie das einem der Kandidaten zu?
Greulich: Nein, das liegt auch nicht an den Kandidaten. Das liegt an dem chaotischen System. Nigeria ist ein Bundesstaat aus 36 Bundesstaaten mit relativ viel Autonomie, die Zugang zu den Einnahmen aus den Öl-Fördermitteln haben und dieses oft auch als Kriegskasse benutzen können. Das heißt, ein neuer Präsident wird gegen ein System arbeiten müssen, in dem ja sehr viele Interessen einer vernünftigen Reform gegenüberstehen. Ich möchte nur ganz schnell ein Beispiel geben, und das ist die Stromversorgung in Nigeria, die katastrophal ist. Ich habe auf meinen Reisen immer wieder erlebt, dass es nicht bemerkenswert ist, wenn der Strom ausfällt, sondern wenn der Strom da ist. Jeder Präsident, an den ich mich erinnere, hat versprochen, dass das eine der Prioritäten ist. Keiner hat etwas daran geändert oder ändern können, weil für viele Leute es einfach keinen Sinn macht, dass die, die Macht hätten, etwas umsetzen. Ob das das Management der Gesellschaft ist, ob das regionale Politiker sind. Die Infrastruktur für das Allgemeinwohl zu investieren, wenn man das Geld auch klauen kann, ist unattraktiv. Nigeria ist zwar das wirtschaftlich stärkste Land in Afrika, was auf das Öl zurückzuführen ist. Ansonsten ist das Land eben aufgrund der katastrophalen Infrastruktur nicht in der Lage, sein ökonomisches Potenzial abzurufen.
Das Interview führte Carsten Döpp, Domradio-Redaktion.
(domradio/vatican news -pr)
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