Südsudan: Was kann der Papst bewirken?
Linda Bordoni und Stefan v. Kempis – Vatikanstadt
Der Gast aus Rom blickt in diesen Tagen in einen Zerrspiegel, in dem noch einmal das alte, problembehaftete Afrika sichtbar wird: Gewalt, Massaker, Korruption sind da zu sehen. Kann Franziskus da mit seiner dreitägigen Visite etwas bewirken? Miklos Gosztonyi antwortet: Ja, durchaus.
Gosztonyi ist ein politischer Analyst und humanitärer Experte mit langjähriger Erfahrung im Südsudan. Im Interview mit uns erklärt er, man müsse zweierlei wissen, um das Land zu verstehen. Das erste sei die Tatsache, dass der Südsudan, als er 2011 unabhängig wurde, schon 22 Jahre Bürgerkrieg gegen die Zentralregierung in Khartum hinter sich gehabt habe. Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1956 habe die Regierung des Sudan versucht, Arabisch als Sprache und den Islam als Religion durchzusetzen – auch im südlichen Landesteil, der vor allem christlich geprägt ist.
Christentum hat besondere Bedeutung
„Das Christentum war die Kraft oder der Klebstoff, der alle verschiedenen Gruppen im Süden gegen die Regierung im Norden zusammengehalten hat. Daher hat das Christentum eine besondere Bedeutung im Südsudan; und daher wird der Besuch des Papstes nicht nur für die Katholiken sehr wichtig sein, sondern wohl für die Christen im Allgemeinen.
Der zweite Aspekt, der zu berücksichtigen sei, bestehe darin, „dass sich die Dinge im Südsudan seit der Unabhängigkeit nicht so entwickelt haben, wie die Menschen das erwartet hatten. Auch noch nach dem Ende des Bürgerkriegs, der 2013 ausgebrochen und „extrem brutal“ war, gebe es noch zahlreiche lokale Konflikte in vielen Teilen des Landes. Und zu der Gewalt komme eine „äußerst ernste humanitäre Situation“, die mehr als zwei Drittel der Bevölkerung betreffe.
Moment der Freude - trotz Gewalt und humanitärer Not
„Ich würde sagen, dass der Besuch des Papstes für die Bevölkerung, die sehr viel zu kämpfen hat, endlich einmal Luft, Sauerstoff und Freude bedeuten wird! Unabhängig davon, wie man zu religiösen Fragen steht, ist dies der wichtigste Besuch von außen, den das Land seit seiner Unabhängigkeit erlebt hat.“
Mit dieser Tatsache verknüpften sich Erwartungen an die internationale Gemeinschaft, sagt Gosztonyi. Der Südsudan drängt ins Rampenlicht der launischen internationalen Aufmerksamkeit: „Denn es ist eine der größten Herausforderungen, dass das Land weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Dabei hat es 2011, im Moment der Unabhängigkeit, zunächst sehr im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Und auch vorher schon: 2005, als die Rebellen im Süden ein Friedensabkommen mit der Regierung in Khartum abgeschlossen haben.“
Erwartungen an die internationale Gemeinschaft
Dieses von der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLM) und der sudanesischen Regierung unterzeichnete, umfassende Friedensabkommen setzte damals dem 2. Sudanesischen Bürgerkrieg ein Ende; es vereinbarte Demokratie für den Südsudan, eine Teilung der Öleinnahmen zwischen Nord und Süd und den Zeitplan für ein südsudanesisches Unabhängigkeitsreferendum, das 2011 tatsächlich Wirklichkeit wurde.
Dieser Friedensprozess war von der internationalen Gemeinschaft begleitet worden. Doch nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs 2013 kippte der inzwischen unabhängige Südsudan dann weitgehend aus dem internationalen Blickfeld heraus, so Gosztonyi. „Vor allem auf politischer Ebene hat das Land damit zu kämpfen, die internationale Aufmerksamkeit, den Fokus und das Engagement aufrechtzuerhalten. Viele Menschen im Land hoffen darum, dass der Besuch des Papstes dem Südsudan wieder mehr Aufmerksamkeit verschafft.“
Wenn der Papst die Ex-Rebellen an ihre früheren Ideale erinnern soll...
Der Polit-Analyst glaubt außerdem, dass die Anwesenheit von Papst Franziskus viel dazu beitragen kann, um die Führung des Landes unter Druck zu setzen, damit sie mehr für das Gemeinwohl tut.
„Wenn wir uns die Geschichte des Landes anschauen – als die Rebellen der SPLM 1983 den Bürgerkrieg begannen, war ihre Botschaft die, historisches Unrecht an den Menschen im Südsudan ungeschehen zu machen. Das war also ein Kampf gegen die Tatsache, dass die Regierung in Khartum sie unterdrückte und überhaupt nicht in die wirtschaftliche Entwicklung des Südens investierte. Die Ironie der Geschichte besteht nun darin, dass die SPLM nach ihrer Machtübernahme 2005 und seit ihrer Unabhängigkeit 2011 genau das Gleiche getan hat, was Khartum der südlichen Bevölkerung angetan hat. Die Menschen werden immer noch von ihrer eigenen Regierung zutiefst vernachlässigt, unterdrückt und in vielen Fällen sogar getötet.“
Friedenspilger Franziskus soll die früheren Rebellen, die längst in Amt und Würden aufgestiegen sind, also an die hehren Ideale erinnern, für die sie 1983 zu den Waffen gegriffen hatten. Das ist eine weitere Ironie der Geschichte. „Es geht darum, Veränderungen herbeizuführen, die Wirtschaft zu entwickeln, die Menschenrechte zu achten und gute Regierungsführung in den Mittelpunkt des politischen Lebens zu stellen.“
Es sei kaum zu fassen, dass die Regierung sich „anscheinend überhaupt nicht darum kümmert, in öffentliche Dienstleistungen zu investieren“. Die meisten öffentlichen Dienstleistungen - Bildung, Gesundheit usw. – würden heute von humanitären Organisationen erbracht; die Regierung bekomme zwar Gelder, investiere aber nichts zugunsten der Bevölkerung. „Der Papst hat die einmalige Gelegenheit, als jemand, der weithin respektiert wird, zu betonen, dass die Regierung anfangen muss, sich um ihre Bürger zu kümmern!“
Gibt es denn angesichts dieses düsteren Bildes etwas, das Gosztonyi am Südsudan bewundert? Ja: Die „Widerstandsfähigkeit“ der Menschen.
Trotz allem weitermachen
„Wenn man zum Beispiel die furchtbaren Bedingungen in den Schulen im Südsudan sieht, dann fragt man sich doch, wozu man Kinder überhaupt zur Schule schicken soll. Und trotzdem nehmen die Menschen im Südsudan große Mühen auf sich, um ihre Kinder zur Schule zu schicken, damit sie eine bessere Zukunft und ein besseres Leben haben.“
Die Menschen machten weiter, sie seien hartnäckig, so schwierig ihre Lage auch sei. „Sie schaffen es kaum, jeden Tag etwas zu essen auf dem Teller zu haben – und trotzdem machen sie weiter, und zwar oft auf eine fröhliche Art und Weise.“
(vatican news)
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