Ukraine: „Ich habe im Krieg gelernt, kein Kind mehr zu sein“
Mario Galgano - Vatikanstadt
Die Anklage lautet „Kriegsverbrechen“. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) wirft dem russischen Präsidenten und seiner Kinderrechtsbeauftragten konkret die Verschleppung ukrainischer Kinder aus den besetzen Gebieten nach Russland vor.
Pater Mykhaylo Chaban ist als Provinzial der Salesianer Don Boscos für die Nothilfe inmitten der Kriegswirren für die gesamte Ukraine verantwortlich. Aktuell befindet er sich mit einem Waisenkind aus dem Don Bosco Familienhaus Pokrova bei Lviv (Lemberg) im Don Bosco Haus im schweizerischen Beromünster. Im Gespräch mit Radio Vatikan betont er:
„Nahezu täglich haben wir Luftalarm und müssen um das Leben unserer Kinder und aller Menschen in unseren Salesianischen Sozialeinrichtungen in der Ukraine fürchten. Meine Mitbrüder der Salesianer Don Boscos gehen regelmäßig unter lebensbedrohlichen Umständen in die umkämpften Gebiete in der Ostfront, bis nach Bachmut, um die notleidende Zivilbevölkerung in Schutzbunkern und Kellern mit dem Notwendigsten zu versorgen: Essen, Medikamente, Kleidung.“
Besonders Kinder in Internaten und Waisenhäuser betroffen
Das ZDF dokumentierte das Schicksal zahlreicher Kinder, die während der Besetzung von Cherson nach Russland gebracht worden waren. Besonders oft betroffen seien dabei Kinder aus ukrainischen Internaten und Waisenhäusern. Teils wurden sie über ganz Russland verteilt, bekamen eine russische Staatsbürgerschaft. Ihre ukrainische Identität sollen sie möglichst schnell hinter sich lassen, berichtete jetzt das ZDF. Wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und die russische Kinderrechtsbeauftragte Maria Lwowa-Belowa erlassen.
Eine wichtige Unterstützung für die Waisenkinder bieten die Salesianer Don Boscos in der Ukraine. Mehr als 20 Kinder aus den umkämpften Gebieten konnten sie in Sicherheit bringen, sie hätten meist einen oder beide Elternteile verloren und lebten nun unter Obhut der Ordenleute im Familienhaus Pokrova.
„Drei von ihnen wissen aktuell noch nicht, dass ihre Eltern im Kriegsgeschehen umgekommen sind, wir arbeiten mit Psychologen daran, hierfür den richtigen Zeitpunkt zu finden, damit ihre Seelen diesen Schock verkraften können. Wir haben zudem auf unserem Grundstück in Lviv ein Container-Dorf für mehr als 1.000 geflüchtete Menschen errichtet, welche wir alle täglich mit Nahrung, medizinischer und psychologischer Hilfe und seelischem Beistand versorgen. Wir sind gerade jetzt auf die Hilfe aus der ganzen Welt angewiesen, um diese Hilfskette aufrecht erhalten zu können. Wir danken allen, die uns in diesen schweren Zeiten zur Seite stehen.“
Besonders getroffen habe ihn die Geschichte eines Kindes aus Mariupol, das unter den Trümmern des ehemaligen Theaters lag und dort seine Eltern sterben sah. Auf Einladung von Markus Burri, Geschäftsleiter der Don Bosco Jugendhilfe Weltweit in Beromünster, ist Pater Chaban gemeinsam mit dem Waisenjungen Vladyslav Bonda direkt von den laufenden Hilfsprojekten ins Land seiner zahlreichen Unterstützer gereist:
„Am meisten zu leiden haben sicher Kinder und Jugendliche. Genau sie stehen im Fokus unserer täglichen Hilfeleistungen. Sie sind dem brutalen Kriegsgeschehen hilflos ausgeliefert und werden zu Tausenden im Osten der Ukraine verschleppt, nach Russland. Jeder kann sich vorstellen, was es an Traumatisierungen auslöst, wenn Kinder aus den Kampfhandlungen heraus, nach Bombardements und manchmal auch dem tödlichen Verlust von Angehörigen, von Soldaten in ein fremdes Land deportiert werden.“
Aus Russland abgeschoben
Der 17jährige Vladyslav Bonda lebte mit seiner Mutter in Russland. Als sie starb, schob man ihn in die Ukraine ab. Dort nahm ihn Pater Chaban auf:
„Ich bin seit dem Tod meiner alleinerziehenden Mutter vor sechs Jahren im Don Bosco Haus für Waisenkinder in Lviv. Ich habe hier ein neues Fundament, eine Familie und Freude am Leben gefunden. Aktuell mache ich eine Ausbildung in Informationstechnologie (IT) und will einer der ersten sein, der dabei hilft, die Ukraine wieder aufzubauen. Doch kann die Ausbildung wegen der regelmäßigen Bombardements nur online stattfinden und bei jedem Luftschutzalarm müssen wir in Windeseile in sichere Bunker laufen. Dort sitzen wir dann, oft auch für Stunden. Die Zeit steht dann still. Nichts geht mehr. Ich habe in diesem Krieg gelernt, kein Kind mehr zu sein…“
Markus Burri von der Don Bosco Jugendhilfe Weltweit erläutert die Hilfe aus der Schweiz:
„Wir helfen, wo immer und so viel wir können. Das Waisenhaus in Lviv haben wir schon vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine unterstützt, da ging es um ganzheitliche Förderung der Kinder und Jugendlichen mit Bildung und Sport. Seit mehr als einem Jahr leisten wir vorrangig humanitäre Nothilfe, Hand in Hand mit Pater Mykhaylo und seinem Team der Salesianer Don Boscos in der Schweiz. Eines der schönsten Beispiele unserer Hilfe ist eine kleines Container-Dorf am Don Bosco-Grundstück in Lviv: Hier haben mehr als tausend Binnengeflüchtete aus der Ukraine Unterkunft gefunden und werden täglich mit warmen Mahlzeiten, medizinischer Versorgung und allem, was notwendig und möglich ist, unterstützt. 250 Kinder sind allein hier im behelfsmäßigen Flüchtlingscamp untergebracht. Wir danken allen Privatpersonen und Stiftungen in der Schweiz und in Liechtenstein, welche diese tagtägliche Hilfe durch ihre Spenden möglich machen. Denn ohne diese Hilfe wären auch wir hilflos.“
Weitere Infos und Spendenmöglichkeit: www.donbosco.ch.
(vatican news/don bosco jugendhilfe weltweit/zdf)
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