Haiti: Erzbischof bittet internationale Gemeinschaft um Hilfe
Myriam Sandouno und Anne Preckel - Vatikanstadt
Am 19. April forderten Übergriffe von Banditen in der Ortschaft Cabaret, etwa 30 km nördlich von Port-au-Prince, 20 Tote. Die Gewalt weitete sich auch auf Stadtteile, die bis dahin weniger von Unsicherheit betroffen waren. Nachdem im Oratorium Saint-Charbel zwei Gläubige während der Messe entführt wurden, bleiben einige Kirchen mittlerweile geschlossen.
„In der Gegend von Martissant, in der Pfarrei Sainte Bernadette und anderen "rechtsfreien Räumen" ist es fast schwierig, den Gottesdienst auszuüben, Feiern abzuhalten und die Eucharistie in Ruhe und Frieden zu feiern“, berichtet der Erzbischof von Anse-à-Veau und Miragôane, Pierre Dumas. „Wenn die Gläubigen in die Kirchen gehen, muss es praktisch eine Absprache mit den Gangs geben, um am Gottesdienst teilnehmen zu können, das ist empörend. Das ganze Land erlebt diese Situation…“
„Rechtsfreie Zonen“
Wegen der Bandengewalt, die sich auch gegen Kirchenvertreter richtet, würden viele Stadtviertel inzwischen als „rechtsfreie Zonen“ bezeichnet.
„Ich denke, dass die Menschen so viel Vertrauen verloren haben, dass einige glauben, sie könnten die Kirche angreifen“, versucht der Kirchenmann die gesunkene Hemmschwelle zu erklären. Wer im Land Chaos und Anarchie herbeiführen wolle, meine wohl, die Kirche „als letztes Bollwerk“ angreifen zu müssen. Dabei sähen viele junge Leute die Kriminalität als Ausweg aus der Armut, so Dumas, die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fehlentwicklungen auf Haiti hätten „viele Jugendliche dazu gebracht, sich zu bewaffnen und Bandenchefs zu werden und die Kontrolle über bestimmte Viertel zu erlangen, bis hin zur völligen Schaffung von rechtsfreien Zonen“, so der Kirchenmann.
Belastend sei zudem, dass einzelne Mitglieder der anglikanischen Episkopalkirche offenbar in Waffengeschäfte verwickelt gewesen seien, was die gesamte christliche Kirche auf der Insel in Misskredit gebracht habe, berichtet der katholische Erzbischof weiter. Das habe sich auch auf Dialog und ökumenische Zusammenarbeit ausgewirkt.
„Denn jetzt ist die Arbeit, die zwischen den verschiedenen Konfessionen geleistet wurde, um Ruhe und Frieden zu bringen, ein wenig blockiert und gestoppt worden. Nun sind Personen, die nicht die Vertreter ihrer Gemeinschaften im Friedensdialog waren, aber dennoch Verantwortliche sind, und die sich nun im Untergrund befinden, auf der Flucht, weil einige Mitglieder dieser christlichen Konfessionen als Personen identifiziert wurden, die auch Banden mit Waffen versorgten, und zwar über einen internationalen Waffenhändler, den man gerade sucht. Und auch diese Priester, die ebenfalls dieser christlichen Konfession angehören, können nicht mehr gefunden werden…“
Moralischer Verfall
Auch vor Vertretern der Kirche hat also laut Darstellung des Erzbischofs der moralische Verfall auf Haiti nicht Halt gemacht – eine fatale Situation. Die Menschen seien verunsichert und hätten Vertrauen in die Kirche verloren, so Erzbischof Dumas. Er bedauert zutiefst, dass einige in die Kriminalität abgerutschte Kirchenvertreter das so wichtige gemeinsames Wirken der Kirchen für das Wohl der notleidenden Menschen auf Haiti beeinträchtigt haben.
Angesichts dieser Situation bemühten sich der Papstvertreter auf Haiti und die katholischen Kirchenvertreter um Dialog, und sie wenden sich mit Hilfegesuchen an die Welt:
„Die Optionen, die sich bieten, bestehen darin, die Menschen in einen Dialog zu bringen, so dass die Kirche, auch wenn sie nicht die Führung im Dialog übernimmt, Zeuge, Begleiter und Beobachter sein kann. … Und ich weiß auch, dass der Nuntius auf der Ebene der Apostolischen Nuntiatur bereits große Anstrengungen unternimmt. Die zweite Sache ist, dass wir versuchen, der internationalen Gemeinschaft zu sagen, dass man konkrete Dinge tun muss. Man kann nicht immer predigen, dass man Haiti helfen wird, aber auf konkreter Ebene sieht man nicht, welches Zeichen man gerade setzt…“
Die internationale Gemeinschaft müsse überzeugter und konkreter an der Seite Haitis stehen, damit sich die Lage verbessern könne, appelliert der Erzbischof. Er plädiert vor allem für eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit.
Zum Gewaltanstieg in Haiti vermerkten die Vereinten Nationen zuletzt, die Lage sei vergelichbar mit einem „Kriegsgebiet“. In der Hauptstadt Port-au-Prince seien in den ersten drei Monaten dieses Jahres 815 Menschen getötet worden – 21 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Zahl der Entführungen sei sogar um 63 Prozent gestiegen.
(vatican news)
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