Souraphiel: Frieden, Arbeit und Familie - die Hoffnung Äthiopiens und Afrikas
Alessandro Di Bussolo - Addis Abeba
Im größten Land am Horn von Afrika, das mehr als 400.000 südsudanesische Flüchtlinge, aber auch 600.000 Somalier, Eritreer, Jemeniten und sogar Syrer beherbergt und in das kürzlich mehr als 100.000 äthiopische Emigranten aus den arabischen Golfstaaten zurückgekehrt sind, gibt es jetzt auch verstärkt Hoffnung für die unfreiwilligen „Rückkehrer“: Dank des Globalen Solidaritätsfonds (GSF), an dem fünf Ordensgemeinschaften und die Erzdiözese der Hauptstadt beteiligt sind. Darüber sprachen wir mit Kardinal Berhaneyesus Souraphiel, Metropolitan-Erzbischof von Addis Abeba, wo vor weniger als zwei Monaten, Anfang März, die afrikanische Kontinentalversammlung der Synode zur Synodalität in der Kirche stattfand.
Die Familie im Fokus der kontinentalen Synodenversammlung
Seit Juli 1999 steht der 74-jährige Souraphiel an der Spitze der Erzdiözese; seit diesem Jahr war er auch Vorsitzender der Bischofskonferenz von Äthiopien und Eritrea. 2015 wurden die beiden Bischofskonferenzen mit der Errichtung eines eigenen Kirchenbezirkes für Eritrea voneinander getrennt. 2015 hatte Franziskus den Erzbischof, der eine kleine Gemeinde von etwa 12.000 Katholiken leitet - weniger als zwei Prozent der 16 Millionen Einwohner der Kirchenprovinz Addis Abeba – zum Kardinal ernannt.
Er erinnert uns daran, dass die mehr als 200 Teilnehmer der kürzlich zu Ende gegangenen Kontinental-Synode besonderes Gewicht auf die Familie gelegt haben, die „das Bild der Kirche in Afrika ist“. Eine Familie, die „inklusiv“ sein und junge Menschen, ältere Menschen und vor allem junge alleinstehende Frauen mit Kindern einschließen sollte - die im modernen Afrika am weitesten verbreitete Familienform.
Die Kirche, die Bildung und die neue Katholische Universität Äthiopiens
Um die Beteiligung der Frauen am Leben und an der Arbeit der Kirche zu stärken, „nicht nur in den Pfarreien, sondern auch im sozialen Bereich, von der Schule bis zur Sozial- und Gesundheitsfürsorge“, so Kardinal Souraphiel, bekräftigte die Synodenversammlung die Notwendigkeit, sich auf die Bildung zu konzentrieren und auch die Unterstützung der für Afrika typischen „Großfamilie“, zu der auch Großeltern, Onkel und Tanten gehören, im Blick zu haben.
Bis zu 430 Schulen sollen den Planungen nach letztlich von Diözesen und Ordensgemeinschaften geleitet werden, außerdem gibt es die neue katholische Universität Ecusta, die dem heiligen Thomas von Aquin gewidmet ist und die die äthiopischen Bischöfe in Zusammenarbeit mit den christlichen Schulen am Stadtrand von Addis Abeba errichten. „Denn wir glauben“, so der Erzbischof, „dass Bildung von grundlegender Bedeutung ist, um die Mentalität zu verändern und auch um Solidarität zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen und Stämmen in Äthiopien zu schaffen.“
Bewegungsfreiheit, „um der Armut zu entkommen“
Bildung und Bewegungsfreiheit „in ganz Afrika, so wie in der Europäischen Union“, sind dem Kardinal zufolge die Schlüssel, die übrigens auch von der kontinentalen Synodenversammlung identifiziert wurden, „damit unsere jungen Menschen auf dem Kontinent bleiben“ und nicht „erst in den Sudan und dann nach Libyen gehen, um im Mittelmeer zu sterben“. Oder sie wandern in die arabischen Länder am Golf aus, „um dort missbraucht oder misshandelt zu werden“.
In Juba im Südsudan, wo der äthiopische Kardinal im Februar aus Anlass des Papstbesuchs weilte, „habe ich viele junge Äthiopier, Kenianer, Eritreer und Ugander gesehen, die dort arbeiten. Es gibt also Arbeit in Afrika. Wenn die Grenzen, die auf unserem Kontinent oft künstlich und ehemals kolonial sind, denn alle Menschen sind gleich, frei wären“, könnten sich die jungen Menschen besser bewegen und ihre Situation ändern, „aus der Armut herauskommen und die Würde der menschlichen Person verteidigen können“.
Das Pilotprojekt des Globalen Solidaritätsfonds
Das Ende 2020 in Addis Abeba gestartete Pilotprojekt des Globalen Solidaritätsfonds, eines innovativen Zusammenschlusses von Religionsgemeinschaften, Privatunternehmen und internationalen Organisationen, will „zurückkehrende“ Migranten, Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern und Binnenvertriebene unterstützen. Dabei ist ein wichtiger Aspekt auch die Ausbildung junger Afrikaner, ebenso wiedie Förderung von deren Entschlossenheit, etwas zu erreichen.
Zu diesem Zweck wurde ein kongregationsübergreifendes Netzwerk gegründet, an dem heute Salesianer und Salesianerinnen, Ursulinen, Missionarinnen der Nächstenliebe und Jesuiten (über den Jesuiten-Flüchtlingsdienst) beteiligt sind und das von der sozialpastoralen Kommission der Erzdiözese koordiniert wird. Jede Kongregation übernimmt - ihrem Charisma entsprechend - eine eigene Rolle dabei, die inzwischen mehr als 1 500 Begünstigten zu unterstützen. Durch eine entsprechende Berufsausbildung konnten sie Fähigkeiten erwerben, um in den lokalen Arbeitsmarkt einzutreten, entweder durch die Anstellung in einem Unternehmen oder durch die Gründung eines eigenen Kleinstunternehmens.
Kardinal Souraphiel kennt das GSF-Projekt gut, er hat auch einige Ausbildungs- und Arbeitsvermittlungszentren besucht und ist so dankbar für dessen Erfolg, dass er vorschlägt, es auch in andere afrikanische Länder zu exportieren. Er erinnert an die Not der vielen jungen Frauen (junge Menschen machen 70 Prozent der äthiopischen Bevölkerung aus), die in die Golfstaaten auswandern, um dort als Haushaltshilfen zu arbeiten. „Aber sie sind nicht ausreichend vorbereitet, und der Übergang von einem äthiopischen Dorf zu einem Wolkenkratzer in Dubai ist oft traumatisch“, meint der Kardinal. In den letzten Monaten seien fast 100 000 Hausangestellte, sowohl Männer als auch Frauen, aus Saudi-Arabien gegen ihren Willen nach Äthiopien zurückgeschickt worden, unterstreicht er. „Sie empfinden dies als Niederlage und haben nicht den Mut, in die Dörfer zurückzukehren, denen sie versprochen hatten, Geld zu schicken. Aber sie haben nicht einmal das Geld, um in einer großen Stadt wie Addis Abeba zu überleben.“ Eben diese „zurückkehrenden“ äthiopischen Migranten sind die ersten Nutznießer des GSF-Projektes. Kardinal Berhaneyesus Souraphiel erzählt uns im Interview mehr darüber.
Vatican News: Kann man etwas mehr als zwei Jahre nach seinem Start schon sagen, dass das Pilotprojekt des Globalen Solidaritätsfonds (GSF), das weltweit erste kongregationenübergreifende Netzwerk für die Arbeitsvermittlung von Migranten, Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, das Leben vieler Menschen, die zuvor am Rande der Gesellschaft lebten, verändert hat und verändert, einschließlich junger Äthiopier, die im Land bleiben und hier eine Ausbildung machen wollen?
Kardinal Souraphiel: Ich möchte dem GSF, dem Global Solidarity Fund, danken. Für uns als katholische Kirche ist er eine große Hilfe, weil er sich um die Bedürftigsten kümmert, die aus arabischen Ländern oder anderen Ländern, in die sie ausgewandert sind, gezwungenermaßen zurückkehren. Sie werden oft missbraucht und sind hoffnungslos. Wenn sie am Flughafen ankommen, werden sie einfach so zurückgelassen, verlassen. Die Gemeinschaften gehen dorthin, um sie aufzunehmen und ihnen eine Unterkunft zu geben. Das ist wichtig, das ist Medizin für die, die gelitten haben, für die misshandelten jungen Menschen.
Wichtig ist auch die Ausbildung, die die verschiedenen Kongregationen diesen Migranten anbieten. Denn sozial-psychologische Hilfe ist wichtig, aber auch, um ihnen Hoffnung zu geben, dass sie vieles lernen können, um ihr Leben zu ändern, ohne das Land zu verlassen. Dass sie auch innerhalb des Landes, hier, ihr Leben ändern können. Die Schwestern der Salesianerinnen, Ursulinen und Mutter Teresa, aber auch die Salesianerbrüder und der Jesuiten-Flüchtlingsdienst sind bereit, sie nicht nur aufzunehmen, sondern ihnen auch neue Fähigkeiten zu vermitteln, damit sie hier weiterleben können, vor allem die jungen Mütter, die allein mit ihren Kindern leben. Sie können ihre Kinder den Schwestern anvertrauen und an Kursen teilnehmen, um verschiedene Fähigkeiten für ihre Arbeit zu erlernen.
Einige haben es geschafft, ihr eigenes kleines Unternehmen zu gründen. Andere sind in den verschiedenen Unternehmen in Addis Abeba beschäftigt, um zu arbeiten und das zu verdienen, was sie zum Leben brauchen. Dies ist auch für diejenigen wichtig, die heute nach ihrer Auswanderung zurückkehren: Diese Äthiopier, die ihr Leben verändert haben, helfen uns, mit ihren Brüdern und Schwestern zu sprechen und sie davon zu überzeugen, die Hoffnung nicht zu verlieren. Deshalb danke ich dem GSF und wünsche mir, dass dieses Projekt weitergeführt wird, nicht nur in Addis Abeba, sondern auch anderswo. Ich weiß, dass es zum Beispiel in Meki ein ähnliches Engagement gibt, aber es kann auch in anderen Diözesen durchgeführt werden.
Vatican News: Ein wichtiges Ergebnis dieser Zusammenarbeit, der Vernetzung, ist vielleicht auch, dass wir gemeinsam stärker sind, um Vereinbarungen mit der Regierung zu treffen, um auch die kleinen Geschäftsprojekte dieser Migranten zu finanzieren?
Kardinal Souraphiel: Ja, das stimmt. Ihr Netzwerk kann also auch ein Instrument für die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Regierungsstellen und auch mit Privatpersonen sein, um sicherzustellen, dass Binnenvertriebene und Migranten mit ihrer neuen Ausbildung akzeptiert werden und arbeiten können, so dass sie nicht als nutzlos angesehen werden, sondern als sehr wichtig für die Veränderung der Arbeitssituation des ganzen Landes. Ihr Beispiel kann auch anderen jungen Menschen, die davon träumen, das Land zu verlassen, Hoffnung geben: Die Begünstigten des GFS-Projekts können ihnen erklären, dass es möglich ist, in Äthiopien zu bleiben und in diesen Ausbildungszentren zu lernen, um neue Fähigkeiten zu erwerben, die sie für einen Arbeitsplatz nutzen können.
Vatican News: Sind Sie besorgt über die neuen stammesbezogenen und nationalistischen Bestrebungen und Spannungen, die es in Äthiopien bisher nicht gegeben hat und die auch die Ursache für die Gewalt in der Region Tigray sind? Was geschieht in Ihrem Land und wie reagieren Sie auf diese Veränderungen?
Jetzt gibt es diese Hoffnung auf Frieden in Tigray, und das ist wichtig für uns. Die Kämpfe haben aufgehört, zumindest gibt es nicht mehr so viele Tote wie früher. Das in Südafrika unterzeichnete Friedensabkommen (3. November 2022, Anm. d. Red.) ist wichtig, aber im Moment ist es nur ein Abkommen auf politischer Ebene, auf der Ebene der Regierungsführer und der Autonomisten. Als katholische Kirche wollen wir, dass dieser Frieden auf die Ebene der Menschen herunterkommt und dass es die Möglichkeit gibt, zuzugeben, dass so viele gestorben sind, auch für die zu beten, die gestorben sind, und wenn es möglich ist, dass es auch eine Bitte um gegenseitige Vergebung zwischen zwei Völkern gibt, die so viel gelitten haben, sei es in der Region Tigray, sei es in Amhara, sei es in Afar und jetzt auch in Wellega.
Für mich wird dies auch eine wichtige Verpflichtung sein, nicht nur für die katholische Kirche, sondern auch für die großen religiösen Konfessionen hier, wie die orthodoxe Kirche, wie die Muslime und auch die evangelischen Christen. Wir Katholiken sind wenige, wie Sie wissen, wir sind zwei Prozent der Bevölkerung, aber wir können dank der Weltkirche helfen. Dank der Caritas Internationalis können wir zum Beispiel humanitäre Hilfe leisten. Außerdem müssen wir nach jedem Krieg den Wiederaufbau leisten. Dies wird eine große Verpflichtung für die katholische Kirche Äthiopiens sein: um Hilfe beim Wiederaufbau von Schulen, Krankenhäusern und auch anderen kirchlichen Gebäuden zu bitten, damit wir weiterhin helfen können. Gott sei Dank sind in dieser Fastenzeit auch die Muslime mit den Christen vereint, die gefastet und gebetet haben, weil sie Ramadan hatten. Das ist wichtig für das äthiopische Volk.
(vatican news)
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