Contra Spem Spero: Wie der Krieg die Ukrainer verändert
Christine Seuss - Vatikanstadt
„Contra Spem Spero“ – „gegen jede Hoffnung hoffe ich“: Unter diesem Titel steht die Ausstellung, die von der Ukrainerin Kateryna Radchenko kuratiert wurde und die vor allem mit Fotos arbeitet, um den Transformationsprozess nachzuzeichnen, den die Menschen in der Ukraine seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges mitmachen mussten. Der Titel ist von einem Gedicht von Lessja Ukrajinka entnommen.
Suggestiv ist bereits der Ort, der ausgewählt wurde, um die Ausstellung zu beherbergen, nämlich die zu einem Kulturzentrum umgebauten Hallen des ehemaligen Schlachthofes im römischen Trendviertel Testaccio. „Es besteht eine Beziehung zwischen der Geschichte dieses Ortes, an dem Vieh geschlachtet wurde, und der heutigen Realität in der Ukraine, die hier auf Bildern dargestellt wird“, erläutert Kateryna Radchenko bei der Presse-Vorschau an diesem Montag. Ab Dienstag ist die Ausstellung für das Publikum zugänglich.
Der Transformationsprozess
Eindringlich geht es bereits am Eingang los, auf Bildern sieht man ukrainische Zivilisten, die noch vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 mit Holzgewehren den Nahkampf üben. Es scheint fast ein Spiel, selbst Kinder beteiligen sich an den Übungen, die keiner so richtig ernst nehmen wollte. Doch erst mit dem Einbruch des Krieges erwächst bei den Menschen ein Bewusstsein dafür, wie zwecklos ein Gewehr angesichts der Raketeneinschläge ist, mit denen russische Raketen das Land überziehen. Trotz der Übermacht der russischen Angreifer entscheiden sich viele Ukrainer – darunter auch Frauen und Mütter - dafür, in die Armee einzutreten, ihr angestammtes Leben hinter sich zu lassen und ihre Familie mit Waffen zu verteidigen.
Jeder hätte auf seine Weise versucht, sich mit der neuen Situation zu arrangieren und das Seine dafür zu tun, das Vaterland zu unterstützen, erläutert die Kuratorin, die mit verschiedenen Künstlern zusammenarbeitet, um die einzelnen Phasen des Kriegsgeschehens von einem persönlichen Gesichtspunkt aus zu dokumentieren. Radchenko selbst war in ihrem „früheren Leben“ Fotographiedozentin und verantwortlich für das „Photo Days Festival“ in Odessa, eine Veranstaltung, die derzeit aufgrund der prekären Sicherheitslage nicht durchgeführt werden kann.
„Aber jetzt arbeite ich immer noch im selben Bereich. Sagen wir, ich arbeite mit Fotographie und Fotographen, aber mein Fokus hat sich radikal geändert. Jetzt sehe ich schreckliche Bilder von Leid und Tod in der Ukraine, was mich sehr mitnimmt. Aber auf der anderen Seite weiß ich, dass es so wichtig ist, zu sehen, zu zeigen und das zu teilen. Das ist mein Leben jetzt.“
Schützengräben inmitten idyllischer Landschaften
Die kundige Hand der Kuratorin nimmt den Besucher mithilfe der ausgestellten Fotos hinein in das Leben der Ukrainer, das sich seit Februar 2022 so radikal verändert hat. Schützengräben inmitten schöner Parklandschaften, zerstörte Spielplätze vor ebenso zerstörten Wohnblocks, auf denen nichtsdestotrotz Kinder toben, mit Stacheldraht versehene Blockaden mitten auf der Straße, vor der Kulisse eines idyllischen Sonnenuntergangs – was dem zufälligen Betrachter absurd erscheinen mag, ist für die Bevölkerung längst Realität, wird kaum mehr wahrgenommen. Praktisch jeder kennt ein Opfer von Terror und Folter in den besetzten Gebieten, auch diese mit beklemmenden Fotos dokumentiert. Ein besonders absurdes Motiv tut sich im weiteren Verlauf der Ausstellung auf: Ukrainerinnen, die vor einer malerischen Bildwand mit wechselnden bunten Landschaften stehen, während im Hintergrund ein Bild der Zerstörung die Komposition umrahmt. Ein Spiel mit krassen Gegensätzen und Farbkontrasten, das sprachlos macht.
„Nun, für mich war im Februar 2022 klar, dass ich etwas tun muss“, meint Radchenko resolut. „Und was ich tun konnte, war sozusagen an der Informationsfront zu arbeiten, die Geschichten aus der Ukraine mit Hilfe der Fotografie zu teilen, mit ukrainischen Fotografen zusammenzuarbeiten und sie und ihre Arbeit zu unterstützen. Denn ich denke, dass das Teilen von Informationen wichtig ist, um die Wahrheit zu zeigen, das wahre Leben zu zeigen und wirklich zu teilen, was vor sich geht. Deshalb habe ich mich entschlossen, Fotografen zu unterstützen und zu versuchen, Ausstellungen und verschiedene Geschichten aus der Ukraine und anderen Ländern zu zeigen und zu versuchen, das Verständnis der Menschen auf internationaler Ebene dafür zu wecken, was vor sich geht - nicht nur durch Kriegsfotografie, nicht nur durch Pressefotografie, sondern mehr über Gefühle und durch diese Art des Teilens persönlicher Geschichten.“
Intime Einblicke
Intime Einblicke in die Gefühlswelt der Menschen, die von Gewalt und Flucht betroffen sind, geben deren Handyfotos, die in einem Teil der Ausstellung gemeinsam mit ihrer Geschichte veröffentlicht wurden. Andere Bilder zeigen den Alltag der Menschen, wie sie sich den neuen, widrigen Lebensumständen anpassen, aber auch die Energie, die sie darauf verwenden, kulturelle Güter vor der Zerstörung zu bewahren… Im Hintergrund stets präsent: Die Hoffnung, die der Ausstellung ihren Titel gegeben hat.
„Wir finden die Hoffnung mittlerweile in so kleinen Dingen. Nach einem Jahr unter diesen Umständen haben wir in der Ukraine ein völlig anderes Verständnis davon, was wertvoll ist. Dinge kaufen zu können, das ist nicht wertvoll, vom Essen einmal abgesehen. All diese Details zählen in unserem jetzigen täglichen Leben nichts. Was ist wertvoll? Nun, das sind nur die Menschen. Es ist die Unversehrtheit der Menschen um dich herum und es ist die gegenseitige Unterstützung. Das ist wertvoll!“
Und genau hier gelinge es, Hoffnung zu schöpfen, die Hoffnung, die aus dem solidarischen Miteinander und auch aus der Solidarität der Weltgemeinschaft entspringt, meint Radchenko. „Wenn wir allein mit unseren Problemen und unseren Feinden hierblieben, wäre das eine andere Geschichte. Aber weil wir Unterstützung haben, weil unsere Stimmen gehört werden, weil wir wirklich große Unterstützung von den anderen Ländern und Institutionen auf den verschiedenen Ebenen haben, von der persönlichen bis zur institutionellen, das hilft uns dabei, so lange zu überleben. Es hilft uns, so lange zu kämpfen.”
Wie lange der Krieg tatsächlich schon das Land im Griff hat, wird im hintersten Teil der Ausstellung deutlich: Auf Fotos sieht man dort, wie Gras durch die Einschusslöcher in Mauern wächst. Nicht nur ein Zeichen für die Dauer des Krieges, sondern auch für die Hoffnung, dass am Ende alle Übel überwunden werden können. Was denn ihre persönliche Hoffnung sei, wollten wir von der Kuratorin noch wissen. Die Antwort, in ihrer entwaffnenden Vorhersehbarkeit, doch voller beeindruckender Intensität: „Dass der Krieg bald vorbei ist und wir zu unserem täglichen normalen Leben ohne Gewalt zurückkehren können.“
Hintergrund
Noch bis zum 27. August ist die Ausstellung auf dem Areal des Mattatoio in Rom im Pavillon 9b zu sehen. Die Ausstellung entstand mit Unterstützung der ukrainischen, schwedischen, spanischen und deutschen Botschaft in Italien, ebenso wie des Europäischen Parlamentes und der Europäischen Kommission sowie der Stadt Rom, dem Odessa Photo Days Festival und der Palaexpo. Ausstellende Künstler sind: Lyubov Durakova, Nazar Furyk, Kateryna Aleksieienko, Alena Grom, Gera Artemova, Mykhailo Palinchak, Elena Subach, Pavlo Dorohoi, Serhiy Korovainyi, Dmytro Tolkachov und Volodymyr Petrov.
(vatican news)
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