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In Pakistan gab es nach der Koranverbrennung in Schweden landesweit Proteste In Pakistan gab es nach der Koranverbrennung in Schweden landesweit Proteste   (ANSA)

Schweden/D/UNO: Debatte um Angriffe auf heilige Schriften

Die Verbrennung einer Koranausgabe Ende Juni vor der Zentralmoschee in Stockholm hat eine intensive Debatte und erhebliche diplomatische Spannungen ausgelöst. Der Vatikan kritisierte die Tat. Für diesen Samstag hatte ein anderer Aktivist angekündigt, vor der israelischen Botschaft in der schwedischen Hauptstadt Ausgaben der Thora und der Bibel anzünden zu wollen. Michael Hermann ordnet die Provokationen für Radio Vatikan ein.

Michael Hermann ist deutscher Staatskirchenrechtler und beschäftigt sich seit Jahren mit religionsverfassungsrechtlichen Fragestellungen. Im Interview mit Radio Vatikan ordnet er die Provokationen in rechtlicher und ethisch-moralischer Perspektive ein.

Radio Vatikan: Was weiß man über die Motivation der Menschen, die heilige Bücher verbrennen wollen?

Michael Hermann: Der Mann, der für diesen Samstag die Verbrennung von Thora und Bibel in Stockholm angekündgt hat, sagte, er wolle damit die Heuchelei der schwedischen Politik entlarven. Er bezieht sich dabei offensichtlich auf die Verbrennung einer Koranausgabe Ende Juni in Stockholm: Ein 37jähriger Flüchtling aus dem Irak hatte direkt vor der Zentralmoschee Schinkenstreifen in das heilige Buch der Muslime gesteckt, das Buch getreten und dann einen Teil des Buches in Brand gesteckt. Er hat weitere derartige Aktionen angekündigt. Zuvor hatte ein schwedisches Gericht entschieden, dass aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsäußerungsfreiheit ein Verbot nicht in Frage komme. Die Stockholmer Polizei sagt, allerdings etwas abweichend, dass sie nur die Demonstration genehmigt habe. Das konkrete Geschehen, also die Bücherverbrennung, könne gar nicht Gegenstand einer Genehmigung sein.

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Radio Vatikan: Die Folgen der Koranverbrennung waren enorm...

Hermann: In der Tat. In muslimisch geprägten Ländern wurden die schwedischen Botschafter einbestellt, schwedische Flaggen wurden angezündet. Und sogar die Frage des NATO-Beitritts Schwedens ist hiervon betroffen. Das neuerliche Zögern des türkischen Präsidenten wird mit der Koranverbrennung in Verbindung gebracht. Erdogan sagte ferner, er werde gegen diese Aktionen kämpfen, bis die Islamophobie besiegt sei. Genau so heftig sind die Reaktionen auf die angekündigte Verbrennung von Thora und Bibel. Der israelische Außenminister beispielweise sprach von einem geplanten Hassverbrechen.

Radio Vatikan: Gibt es auch Äußerungen aus der katholischen Kirche zu den Verbrennungen von Koran und nun auch von Bibel und Thora?

Hermann: Der Vertreter des Vatikans bei den Vereinten Nationen in Genf bezeichnete die Bücherverbrennungen als „besonders verstörende Aktionen“. Johan David Putzer rief dazu auf, die heiligen Schriften der verschiedenen Religionen zu achten. Er sieht die Gefahr, dass durch derartige Aktionen der Polarisierung in Gesellschaften und dem Hass Vorschub geleistet wird. Putzer sagte bei der von Pakistan beantragten Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrates aber auch wörtlich: „Wahrer Glaube, der sich auf tiefere Wahrheiten gründet, befähigt die Gläubigen, Beleidigungen zu ertragen und sogar zu verzeihen.“ Der Papst sagte, dass die Meinungsfreiheit niemals als Vorwand dienen dürfe, um andere zu verachten.

Radio Vatikan: Das Stichwort Meinungsfreiheit fiel ja nun schon ein paar Mal. Welches Gewicht hat aus rechtlicher Sicht dieses moderne Freiheitsrecht im Vergleich zum Schutz der Religionsfreiheit und der religiösen Gefühle der Gläubigen?

Hermann: Es stimmt, dass hier zwei hochwertige Rechtsgüter zueinander in Konflikt treten: Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit. Die zuständigen UN-Organe betonen, dass ein Verbot von kritischen oder auch diffamierenden Äußerungen über Religionen grundsätzlich unzulässig wäre. Sie haben aber auch gesagt, dass es bestimmte Konstellationen geben könne, in denen Verbote möglich sind – unter anderem wenn zu Diskriminierung, zu Feindseligkeit oder Gewalt angestiftet wird. Auch der UN-Hochkommissar hat dies vor kurzem so ähnlich formuliert. Volker Türk sagte, Einschränkungen der Meinungsfreiheit dürften nur erfolgen, wenn hierdurch der einzelne Mensch geschützt wird und nicht etwa, um Religionen vor Kritik zu bewahren.

Radio Vatikan: Wie schaut es in Deutschland, in Österreich und der Schweiz aus?

Hermann: In Deutschland, in Österreich und der Schweiz taucht die Verunglimpfung von Religion auch im Strafrecht auf. Der Paragraf 166 des deutschen Strafgesetzbuches, der sogenannte Blasphemie-Paragrafen, regelt, dass die öffentliche Verunglimpfung und Beschimpfung von Religion unter bestimmten Voraussetzungen strafbar ist. Ob diese Norm noch zeitgemäß ist, wurde 2015, im Zusammenhang mit dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo, diskutiert. Die große Koalition in Deutschland sah damals keinen Grund, die Regelungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Kritiker der Norm argumentierten, andere Straftatbestände, so die Regelung zu Beleidigungen, böten ausreichend Schutz und Möglichkeiten. In der polizeilichen Praxis spielt der sog. Blasphemie-Paragraf übrigens kaum eine Rolle. Ob sich dies zukünftig ändert, muss man verfolgen. Denn nach der Koranverbrennung in Stockholm gab es auch in Deutschland ähnliche Fälle. Vor einer Woche beispielsweise wurde vor der Moschee in schwäbischen Maulbronn ein Koran angezündet.

Radio Vatikan: Sie sprachen eben von der juristischen Perspektive auf Koranverbrennungen. Wie aber sieht dies in ethischer, in moralischer Hinsicht aus?

Hermann: Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, hat die Bücherverbrennungen in Schweden als „Ausdruck völliger Respektlosigkeit“ bezeichnet. Mehr kann man nicht dazu sagen. Sie sind indiskutabel. Sie bringen uns nicht weiter, sie verletzen nur.

-Aktualisierung am Samstagnachmittag- 

Der Mann, der die Verbrennung von Bibel und Thora angekündigt hatte, nahm letztlich von seinem Vorhaben Abstand. Er erklärte gegenüber Journalisten, er habe mit seiner Ankündigung gegen die Koran-Verbrennung demonstrieren wollen. Er sei Moslem, die Verbrennung heiliger Schriften, egal welcher Religion, komme für ihn jedoch nicht Frage.

(vatican news - mh)

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15. Juli 2023, 15:24