Patriarch Bartholomaios in Finnland und Estland
Bartholomaios hielt sich die vergangenen Tage in Finnland auf, am Dienstag stand die Weiterreise nach Estland auf dem Programm. Der Besuch in Estland wird aufgrund des Ukrainekriegs und des Konflikts zwischen den Patriarchaten von Konstantinopel und Moskau besonders aufmerksam beobachtet.
Am Samstag leitete der Patriarch in der orthodoxen Kathedrale in Helsinki einen Gottesdienst aus Anlass des 100. Jahrestags der Autonomie der finnischen orthodoxen Kirche, am Sonntag stand er in derselben Kirche der Göttlichen Liturgie vor. Bartholomaios traf zudem auch mit dem Präsidenten der Republik Finnland zusammen. Weitere Programmpunkte des Besuchs in Finnland waren eine ökumenische und pastorale Begegnung in einer Justizanstalt in Helsinki sowie eines orthodoxen Jugendlagers in Kaunisniemi, wo der Patriarch gemeinsam mit den Jugendlichen für die Wiederherstellung des Friedens in der Ukraine betete.
EIne besondere orthodoxe Kirche
Die Finnische Orthodoxe Kirche (FOK/finn. Suomen ortodoksinen kirkko) stellt unter den orthodoxen Landeskirchen in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit dar. So ist sie neben der Evangelisch-Lutherischen Kirche eine der beiden in der finnischen Verfassung verankerten Volkskirchen des Landes - und dies trotz ihrer Kleinheit. Denn obwohl das orthodoxe Christentum in Ostfinnland seit Jahrhunderten verwurzelt ist, umfasst die Orthodoxe Kirche mit etwa 60.000 Mitgliedern nur einen Anteil von ca. 1,1 Prozent der Bevölkerung.
Nach der finnischen Unabhängigkeit im Jahr 1917, die auch mit antirussischen Emotionen verbunden war, wurde die Orthodoxe Kirche Finnlands 1921 von der Russisch-orthodoxen Kirche gelöst und 1923 zu einer autonomen Kirche unter dem Patriarchat von Konstantinopel. Im Rahmen einer „Entrussifizierung“ in Bezug auf die Gottesdienstsprache und manche liturgischen Praktiken stellte die FOK ihren Kalender - als einzige orthodoxe Landeskirche - komplett auf den Gregorianischen um.
Schon seit 1935 darf die FOK ebenso wie die Evangelisch-lutherische Kirche auch Kirchensteuern erheben. Die Kirche ist in drei Diözesen aufgeteilt: Helsinki, Karelien und Oulu. Waren die Metropoliten, die der Kirche in Finnland vorstanden, vor 1923 allesamt Russen, so sind es seither Finnen. Seit 2001 steht Erzbischof Leo (Makkonen) der Kirche vor. Der Erzbischof hat den russischen Angriff auf die Ukraine und den Moskauer Patriarchen Kyrill für dessen Unterstützung des Krieges stets heftig kritisiert.
Im Hintergrund: Krieg in der Ukraine
In Estland wird Bartholomaios mit den führenden politischen Vertretern und dem Klerus und den Gläubigen der „Estnische Apostolischen Orthodoxe Kirche“ zusammentreffen. Stationen seines Besuchs sind Tallin, Tartu, Värska, Valga, Pärnu und Hiiumaa. Der Besuch des Patriarchen von Konstantinopel ist vor dem Hintergrund zu sehen, die eigenständige estnische Orthodoxie gegenüber der Russisch-orthodoxen Kirche zu stärken.
Bei der Volkszählung 2011 bekannten sich 16 Prozent der 1,3 Millionen Esten zum orthodoxen Christentum. In Estland gibt es seit 1996 zwei orthodoxe Kirchen. Eine untersteht Moskau, die andere Konstantinopel. Zwischen ihnen herrscht ein angespannter Frieden. Es handelt sich um die „Estnische Apostolische Orthodoxe Kirche“ (Eesti Apostlik-Õigeusu Kirik), zu der die relativ wenigen orthodoxen Gläubigen estnischer Nationalität gehören und die dem Ökumenischen Patriarchat angehört, sowie um die „Estnisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats“ (Moskva Patriarhaadi Eesti Õigeusu Kirik), die die vielen russisch- und ukrainisch-stämmigen Gläubigen vereint.
Metropolit Stephanos (Charalambides), Oberhaupt der „Estnische Apostolische Orthodoxe Kirche“ ist ein ethnischer Grieche, Metropolit Eugeni (Reschetnikow), Oberhaupt der „Estnisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats“ Russe. Im vergangenen Oktober hatte sich Metropolit Eugeni (erst) auf Druck der estnischen Regierung von Äußerungen des russisch-orthodoxen Moskauer Patriarchen Kyrill I. zum Krieg in der Ukraine distanziert.
Wechselvolle Geschichte
Nach der Unabhängigkeit Estlands wurden die orthodoxen Gemeinden des Landes 1923 vom Moskauer Patriarchat gelöst und als Estnische Orthodoxe Kirche dem Ökumenischen Patriarchen unterstellt. Als Estland nach dem Zweiten Weltkrieg Teil der Sowjetunion wurde, wurde die orthodoxe Landeskirche 1944 faktisch wieder dem Moskauer Patriarchat unterstellt, was erst 1978 von Konstantinopel notgedrungen legitimiert wurde. Die Estnische Orthodoxe Kirche bestand nur in der Emigration fort.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit bemühten sich die orthodoxen Esten um die Wiederherstellung ihrer Landeskirche und deren staatliche und kirchliche Anerkennung. Die staatliche Anerkennung erfolgte 1993, die kirchliche Anerkennung 1996, als Patriarch Bartholomaios erklärte, dass die 1923 ausgesprochene Anerkennung der Estnischen Orthodoxen Kirche wieder in Kraft sei. Das Moskauer Patriarchat legte dagegen scharfen Protest ein.
(kap - pr)
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