In einem vom Erdbeben zerstörten Aleppo helfen die Franziskaner in der Pfarrei des heiligen Franziskus In einem vom Erdbeben zerstörten Aleppo helfen die Franziskaner in der Pfarrei des heiligen Franziskus 

Syrien: Die vergessene Krise

Für einen Perspektivenwechsel bei der humanitären Hilfe für Christen im Heiligen Land warb der Franziskaner Bahjat Karakash bei einem großen Treffen von Vereinigungen, die das Heilige Land unterstützen, am Samstag in Rom. Ein besonderer Fokus wurde diesmal auf die Situation der Menschen in Syrien gelegt. Es handelte sich um bereits um die 16. Ausgabe der Versammlung.

Tiziana Campisi und Christine Seuss - Vatikanstadt

Bahjat Karakash leitet in Aleppo die Pfarrei, die dem heiligen Franziskus geweiht ist. Aufgrund des Krieges und der Schäden, die das Erdbeben vom Februar letzten Jahres verursacht hat, haben viele ihre Arbeit verloren und sind gezwungen, auch ihre letzten Habseligkeiten zu verkaufen, um zu überleben. Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen, dass die Konsequenzen des Krieges schlimmer sind als der Krieg selbst, der im Jahr 2011 begonnen hat und nie richtig beendet wurde.

Zerstörtes Gebäude in Aleppo
Zerstörtes Gebäude in Aleppo

 

Der leidenden Bevölkerung den Rest gegeben hat dann das große Erdbeben, während die politischen Lösungen auf sich warten lassen. Bei der Veranstaltung im römischen Antonianum kamen zahlreiche Hilfsorganisationen zusammen, die die Menschen im Heiligen Land unterstützen. Ihnen berichtete der Franziskaner von der Situation der Menschen in Syrien – ein Land, das sich nach dem Erdbeben im vergangenen Jahr einer schlimmeren Situation als zuvor gegenüber sieht, doch aus den Weltnachrichten praktisch verschwunden zu sein scheint:

„Es handelt sich um eine leider vergessene Tragödie, insbesondere nach dem Erdbeben. Viele Menschen haben ihre Arbeit verloren, viele Familien haben ihr Zuhause verloren - und das alles kommt noch zu einer früheren Tragödie hinzu, nämlich dem Krieg und der Wirtschaftskrise, was die Lage sehr kritisch macht“, so Bahjat Karakash gegenüber Radio Vatikan.

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„Es handelt sich um eine leider vergessene Tragödie, insbesondere nach dem Erdbeben“

 

Die Ordensgemeinschaften, die traditionell an der Seite der Menschen ausharren, versuchten zunächst einmal, ihnen Hoffnung zu geben, berichtet der Franziskaner: „Das ist aber nicht einfach, denn auf politischer Ebene ist keine Lösung in Sicht. Unsere Antwort ist, die Ärmel hochzukrempeln und den Menschen zu helfen, in Würde zu leben - und auch eine geistliche Botschaft zu vermitteln, nämlich die des Evangeliums und der Hoffnung.“

Die Armenspeisung der Franziskaner in Aleppo
Die Armenspeisung der Franziskaner in Aleppo

 

Bruder Bahjat wurde in Syrien geboren und verfolgte dort seinen Traum, für den Wiederaufbau seines Landes zu arbeiten, doch dann änderte er seine Perspektive. Er habe erkannt, „dass wir uns für die Menschen interessieren müssen und nicht für globale und anonyme Lösungen“, sagt er. Dazu gehöre materielle Hilfe, aber es gehe vor allem darum, den Menschen zu helfen, in Würde zu leben: „Denn es ist sehr einfach, materiell zu helfen, aber es ist viel schwieriger, den Menschen ihre Würde zurückzugeben“, so der Franziskaner, dessen Orden in Aleppo in der Kantine für die Armen täglich 1.300 Menschen versorgt, Christen und Muslime. Direkt nach dem Erdbeben wuchs die Zahl der Hilfsbedürftigen auf 6.000 täglich an: „Es ist sehr schwierig, Prioritäten zu setzen, da an allen Fronten Not herrscht, von der Bildung über das Gesundheitswesen bis hin zur Wirtschaft. Die Lage in Syrien ist in der Tat sehr prekär, und wir brauchen Unterstützung an allen Fronten“, unterstreicht der Franziskaner.

Insbesondere müsse aber in die Zukunft des Landes investiert und die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen unterstützt werden, um Kinderarbeit und die Ausbeutung von Kindern durch kriminelle Organisationen zu bekämpfen, betont der Pfarrer von St. Franziskus. Auch jungen Universitätsstudenten sollte geholfen werden, denn sie können ihre Studiengebühren nicht bezahlen; viele haben zudem nicht einmal das Geld, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Unterricht zu fahren. Viele junge Menschen, viele Christen, verlassen ihr Land auf der Suche nach einer besseren Zukunft.

Die Arbeit der Franziskaner mit Kindern und Jugendlichen
Die Arbeit der Franziskaner mit Kindern und Jugendlichen

Die franziskanischen Ordensleute leisten auf verschiedene Weise Hilfe. Sie bieten Kindern, sowohl christlichen als auch muslimischen, mit Hilfe von Psychologen und Psychotherapeuten psychologische Unterstützung und binden die Kleinen in verschiedene Aktivitäten ein. Im Tau-Zentrum, das für Katechismus und christliche Erziehung eingerichtet wurde, treffen sich heute rund 1.200 Kinder und Jugendliche; für ältere Menschen gibt es das Simeon- und Anna-Zentrum. Die Christen in Syrien machen heute nur noch zwei Prozent der Bevölkerung aus, aber das Land verfügt immer noch über „einen Reichtum an christlichen und religiösen Werten“.

Aleppo nach dem Erdbeben: Die Armenspeisung bei den Franziskanern
Aleppo nach dem Erdbeben: Die Armenspeisung bei den Franziskanern

 

Für Bruder Bahjat „würde die Nutzung dieser Werte dazu beitragen, das Volk und die Nation zu erheben“. Der Rückgang der Christen, „die kulturelle Vermittler zwischen dem Westen und dem Osten sind, eine Präsenz des Friedens, des Dialogs und der Bildung“, gefährde eine ganze Gesellschaft, die er hingegen zum Handeln aufruft: „Wenn ich auf etwas zählen müsste, würde ich auf die Gesellschaft zählen, auf die Menschen, die noch geistige und religiöse Werte bewahren; menschliche Werte, die in der Lage sind, diese Kräfte für die Zukunft des Landes wieder zu aktivieren. Aber all das bräuchte natürlich einen Rahmen auf institutioneller Ebene, und das ist in der gegenwärtigen Situation nicht möglich. Wir müssen den Syrern helfen, sich an einen Tisch zu setzen, einen Dialog zu führen und auch eine Form der Hilfe zu finden, damit das Land wiedergeboren werden kann“, so der Appell des Franziskaners.

„Informieren Sie sich zunächst über die Lage in Syrien, machen Sie sich bewusst, dass es sich um eine Tragödie handelt, die noch nicht vorbei ist“

Von den Menschen außerhalb Syriens erhofft er sich vor allem eines:

„Informieren Sie sich zunächst über die Lage in Syrien, machen Sie sich bewusst, dass es sich um eine Tragödie handelt, die noch nicht vorbei ist, verbreiten Sie die Nachrichten, interessieren Sie sich dafür. Versuchen Sie, wenn Sie können, die Lage in Syrien zu sehen. All dies zusätzlich zur materiellen Hilfe, zur Nächstenliebe und zum Gebet, das uns sicherlich unterstützt.“

Die größte Nächstenliebe, die es zu leisten gilt, sei aber „die politische Nächstenliebe“, sagt er. Denn „eine Lösung zu finden“ bedeute, „ein wenig Hoffnung wiederherzustellen“. Dies sei „die größte Herausforderung“.

(vatican news)

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13. November 2023, 11:16