Indien: Neuer Hindutempel als politisches Machtsymbol eingeweiht
Das fragten wir Bettina Leibfritz, Indien-Referentin des katholischen Hilfswerks Missio Aachen.
Bettina Leibfritz: Das war ein langer Streit, der über Jahrzehnte geführt wurde. Es ist ja schon vom Obersten Gericht 2019 beschlossen worden, dass dieser Tempel gebaut werden darf. Die Grundsteinlegung war 2020. Das Ziel ist, dass dieser grandiose Tempel in voller Pracht dasteht, wenn Modi - so wie er möchte - wieder zum Ministerpräsidenten wieder gewählt wird.
Der Eröffnung fernbleiben wollten nicht nur oppositionelle Politiker, sondern auch die vier großen hinduistischen Orden, was bemerkenswert ist, weil es eben ein Hindutempel ist, bei dessen Einweihung religiöse Autoritäten fernbleiben. Wie interpretieren Sie das?
Bettina Leibfritz: Das finde ich ein sehr schönes Zeichen, weil man eben auch sieht, dass es auch immer noch andere Kräfte in Indien gibt, auch wenn die BJP sehr dominant ist mit ihrer politischen, hindu-fundamentalistischen Agenda. Aber ich würde auch sagen, die Mehrheit der Hindus ist vielleicht nicht eins zu eins dieser Agenda zuzuordnen. Wenn jetzt vier große Orden sich dagegenstellen, bedeutet das für mich ein Zeichen von mehr Toleranz auch den religiösen Minderheiten gegenüber. Und dass das eine klare politische Agenda ist, die nicht von allen geteilt wird.
Dennoch hat der Hindu-Nationalist Narendra Modi von der BJP gute Chancen, jetzt im Frühjahr ein drittes Mal ins Amt gewählt zu werden. Ist er wegen oder trotz seines scharfen Kurses gegen religiöse Minderheiten populär?
Bettina Leibfritz: Eher wegen. Er inszeniert sich ja als großer Führer dieses riesigen Landes. Das geht mit dieser Polarisierung einher, die da ganz klar im Wahlkampf immer wieder passiert: eine Polarisierung Hindus gegen Muslime, auch gegen Christen, das stärkt die Einheit jener Hindus, die einen Hindu-Staat aufbauen wollen.
Christen sind in Indien eine kleine Minderheit und vor allem im Süden des Landes beheimatet, also nicht da, wo jetzt dieser große neue Hindutempel eröffnet wird. Und die Christen gehören auch überwiegend zu den ärmsten Schichten in Indien. Ganz grob: 80 Prozent der Menschen in Indien sind Hindus, also ungefähr eine Milliarde Menschen. Wenn wir uns die muslimische Minderheit und die christliche Minderheit ansehen: Sind denn die Christen im Vergleich zu den Angehörigen der muslimischen Minderheit noch mehr benachteiligt oder eher weniger benachteiligt?
Bettina Leibfritz: Ich würde sagen weder noch. Die Christen sind zahlenmäßig viel weniger, etwa zwei Prozent, die Muslime sind eine große Anzahl in Indien. Indien ist ja letztlich das zweitgrößte islamische Land der Welt nach Indonesien. Zahlenmäßig gesehen würde ich sagen, dass natürlich mehr Muslime benachteiligt sind, weil es einfach mehr gibt. Politisch sehe ich da keinen großen Unterschied. Pogrome gab und gibt es gegen Christen und Muslime, fürchterliche Gewalttaten an Menschen, auch an Zerstörung von Einrichtungen. Ich sehe politisch von der Agenda her nicht, dass die Christen größere Feinde oder geringere Feinde sind für die Hindu-Nationalisten als die Muslime. Das ist ähnlich. Beide sind – in dieser Agenda - fremd für das Land und gehören ausgemerzt.
Indische Medien haben den übrigens noch im Bau befindlichen Tempel als „Vatikan für Hindus“ bezeichnet. Was kann damit gemeint sein?
Bettina Leibfritz: Auf den ersten Blick erschien mir das schräg. Der Vatikan ist ja die katholische Machtzentrale, das Zentrum, wo auch Menschen die katholische Kirche regieren, also der Papst und so weiter, und das wird ja in Ayodhya so nicht sein: Ayodhya ist der Tempel des Gottes Ram, ein Gottkönig, es regiert also ein Gott in Ayodhya. Es soll zu einem riesigen Pilgerzentrum ausgebaut werden. Die gesamte Stadt wird gerade umgebaut. Es sind auch Leute zwangsumgesiedelt worden. In dieser Hinsicht kann ich es mir vorstellen, dass da so ein neuer Prachtort entsteht, wo Millionen von Pilgern und Touristen hinkommen sollen. Und es soll ein heiliger Ort sein, der heiligste Ort für Hindus weltweit. Ich frage mich nur, wie ein Ort heilig werden kann, wenn dort vorher so viel Unheil und Gewalt geschehen ist. Man kann es dem Ort nur wünschen, dass es auch ein Ort des Friedens werden kann. Ich sehe das aber im Moment nicht.
Die Fragen stellte Gudrun Sailer.
(vatican news - gs)
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