Katholische Visionärin: Dorothy Days Einsatz für Gleichstellung
Pinar Dogantekin - Vatikanstadt
Ihr Name wurde 2015 einem größeren Kreis bekannt, als Papst Franziskus in Washington eine historische Ansprache vor dem Kongress hielt und dabei Dorothy Day in einem Atemzug mit Abraham Lincoln, Martin Luther King Jr. und Thomas Merton nannte. Er sprach von vier „great Americans".
Als Dorothy Day 1980 starb, galt sie für viele als Randkuriosität – wenn auch als faszinierende. Sie schrieb für sozialistische und kommunistische Zeitungen, ehe sie zur katholischen Kirche konvertierte und 1933 zusammen mit einem Mitstreiter das „Catholic Worker Movement" gründete. Sie demonstrierte für das Frauenwahlrecht, wurde von der Polizei schwer niedergeprügelt und wegen eines unerlaubten Streiks ins Gefängnis gebracht. Von ihrem Wahlrecht machte sie aus Protest trotzdem nie Gebrauch. Sie heiratete nie den Vater ihres einzigen Kindes, war aber eine treue Verfechterin traditioneller Sexualität und Ehe. Sie war streitbar. Wenn sie sie im Reformerflügel der katholischen Kirche dennoch für eine Heldin hielten, dann wegen ihres Einsatzes im Kampf gegen Krieg und Armut. Bei ihrer Beerdigung im New Yorker East Village mischten sich Aktivistinnen und Aktivisten wie Abbie Hoffman und Cesar Chavez unter Bischöfe und fast 1.000 andere Trauernde. Drei Jahre später wurde in der Kirche der Wunsch nach einer Seligsprechung Dorothy Days laut, das Verfahren begann im Heiligen Jahr 2000.
„Sie ist jemand aus der Zukunft“
„Wenn Menschen an Heilige denken, denken sie oft an Leute, die auf irgendeine heilige Weise von der Welt entfernt sind“, sagte der amerikanische Autor Robert Ellsberg 2020 im Interview mit der Washington Post, der eng mit Dorothy Day zusammenarbeitete und ihre Briefe und Tagebücher herausgab. Sie habe „gezeigt, dass es eine Heiligkeit des Handelns und des Engagements für die Herausforderungen unserer Zeit geben kann.“ Mehr noch: Dorothy Day „ist nicht jemand aus der Vergangenheit – sie ist jemand aus der Zukunft. In gewisser Weise ist sie das amerikanische Gegenstück zu der Vision, die Papst Franziskus der Weltkirche gebracht hat. Sie ist nicht im Institutionalismus gefangen, nicht im Klerikalismus verstrickt. Sie steht einfach da und zeigt den Weg.“
Bei älteren Katholiken und Amerikanern gehört Dorothy Day zu den großen katholischen Persönlichkeiten der Moderne. In den 1930er, 40er und 50er Jahren war sie vor allem als Radikale bekannt und bei der katholischen Linken beliebt, weil sie sich nicht auf Auseinandersetzungen mit Kardinälen über Sex und Ehe konzentrierte, sondern stattdessen für Frauen- und Arbeitnehmerrechte eintrat, Nahrung und Wohnraum für die Armen einforderte und militärische Konflikte ablehnte.
Katholisch-Feministisches Erbe
Day verwob geschickt die Fäden ihrer feministischen Überzeugungen mit jenen ihres katholischen Glaubens. Ihr Gleichheitsanspruch durchdrang nicht nur soziale Sphären, sie hätte ihn auch gerne in der Kirche verwirklicht gesehen. Als Verfechterin der Frauenrechte innerhalb ihrer Kirche insistierte sie nicht nur auf der Stärkung weiblicher Führungskräfte, sondern erhob gleichzeitig das Ansinnen, die Stimmen der Frauen auf allen kirchlichen Ebenen hörbar zu machen. In den 1930er Jahren pilgerte sie nach Rom, um ihre Überzeugungen bezüglich sozialer Gerechtigkeit und Frauenrechte vor Papst Pius XI. zu legen. Ihr Einsatz für die Gleichstellung von Frauen und ihre Beteiligung an den Entscheidungsprozessen der Kirche zeigte sich auch während eines zehntägigen Hungerstreiks in Rom im Jahr 1965, anlässlich des Zweiten Vatikanischen Konzils. Damals setzte sie sich im Alter von 70 Jahren gemeinsam mit 20 weiteren Aktivistinnen gegen das Bekenntnis der Kirche ein, nationale politische Bestrebungen zu unterstützen, und engagierte sich stattdessen für die Entmilitarisierung.
„Die Beliebtheit von Dorothy Day könnte in einer Zeit steigen, in der Religion nicht durch religiöse Institutionen definiert werde“, glaubt der amerikanische Filmregisseur Martin Doblmeier, der einen Dokumentarfilm über die Dienerin Gottes drehte. Day konzentrierte sich nicht darauf, die Kirche zu kritisieren, aber sie zögerte auch nicht, die Hierarchie innerhalb der Kirche dafür verantwortlich zu machen, dass sie sich ihrer Meinung nach nicht genug für Gerechtigkeit einsetzte – vor allem für Frauenrechte. Beobachtern fiel auch, dass es ihr in ihrem Glaubensleben nicht darum ging, die Zustimmung von Geistlichen zu suchen, sondern den weniger Glücklichen zu dienen.
Seligsprechungsverfahren läuft...
Die Seligsprechung ist eine Vorstufe der Heiligsprechung. Es handelt sich um einen meist langwierigen Prozess, der das Erstellen einer umfangreichen historischen und kanonischen Biographie einschließt und auch die Schriften und Interviews eines Kandidaten durchleuchtet. Befürworter müssen sich auch dafür einsetzen, das Erbe der betreffenden Person zu fördern und das Interesse und Wissen über den Kandidaten und die Selig-/ beziehungsweise später ggf. auch Heiligsprechungsbemühungen zu wecken. Dorothy Days Biografie im Rahmen des Seligsprechungsverfahrens wurde bereits nach Rom geschickt. Wenn der Heilige Stuhl der Fortsetzung des Prozesses zustimmt, liegt es an den Trägern des Verfahrens, die nötigen Voraussetzungen nachzuweisen, etwa ein Wunder, das auf Fürsprache Dorothy Days nach ihrem Tod zustande kam. Für die Heiligsprechung wäre ein weiteres Wunder erforderlich.
Nicht unumstritten
Dorothy Days Leben beinhaltet verschiedene umstrittene Punkte. So ließ sie eine Abtreibung vornehmen, bevor sie katholisch wurde. Außerdem stellte sie die zu ihrer Zeit geltende katholische Lehre zum Thema Krieg und Frieden in Frage. Dorothy Day lehnte die Idee eines „gerechten“ Krieges ab, was nach Einschätzung von Beobachtern ebenfalls ihre Chancen auf eine Seligsprechung schmälern könnte, auch wenn die kirchliche Lehre in den vergangenen Jahren zunehmend auf den Begriff „gerechter Frieden“ einschwenkt.
Was Dorothy Day darüber hinaus ganz sicher ablehnte war, „auf ein Podest gestellt und einem vorgefertigten Konzept der Heiligkeit angepasst zu werden, das ihr ihre Menschlichkeit nehmen würde und gleichzeitig die radikale Herausforderung des Evangeliums abtun würde", sagte Robert Ellsberg im Interview mit dem „America Magazine". Die Vorstellung solcher Lobeshymnen machte Day unbehaglich, weil sie verschleierten, wie schwierig es war, ein so radikales Leben zu führen - für sie selbst oder im Engagement für andere. „Wie bei allen Heiligen", sagte Ellsberg, „ist es gerade ihre Menschlichkeit, die sie zu einem so überzeugenden Vorbild macht."
(vatican news - pd)
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