Heiliges Land: Eine Karwoche voller Gewalt
Doch diese Geschichte der Gewalt, die Jesus angetan wird, wirkt auf den Patriarchalvikar für Israel auf einmal sehr zeitgenössisch, wie er in unserem Interview sagt.
„Dieses Jahr ist, besonders im Heiligen Land, ein Kontext der Gewalt, der begangenen und der erlittenen Gewalt. Und ich glaube, dass die Art und Weise, wie diese Gewalt im Evangelium dargestellt wird, den Christen helfen kann, ihre Situation auf neue Weise zu betrachten. Das betrifft uns alle, die wir im Heiligen Land sind.“
Keine rauschenden Feiern möglich
Aussicht auf Hoffnung gebe es im Moment praktisch keine; in einer solchen Konstellation könne der Glaube auf ganz neue Weise eine Stütze sein. „Ich glaube, dass das Feiern dieser Karwoche und des Osterfestes uns die wahre Perspektive zurückgibt, die wir haben, die Perspektive des christlichen Glaubens. Und nicht nur den menschlichen Blick auf die irgendwie hoffnungslose Situation, in der wir leben.“
Das Feiern wird in den Ostertagen nicht sehr rauschend ausfallen, das weiß der Weihbischof schon jetzt. Den Menschen fehlten einfach die Mittel dazu. „Vor allem in Palästina haben viele ihre Arbeit verloren. Und auch in Israel ist das Leben extrem teuer. Man redet eigentlich über nichts anderes, den ganzen Tag… Wahrscheinlich hängt das mit den Kosten für den Krieg zusammen.“
Aber vielleicht kommt dadurch ja der eigentliche Festinhalt klarer zum Vorschein, hofft Rafic Nahra. Vielleicht kann von Ostern – so formuliert er – „ein Wort des Lichts“ ausgehen. Im Augenblick sei überall nur Dunkelheit zu sehen, das sagt er vor allem mit Blick auf Gaza-Krieg, Hamas-Terror und Geiseln. Aber wenn man genau hinschaue, könne man auch jetzt schon hier und da Licht wahrnehmen.
„Es gibt das Licht Christi, auf das wir warten, das Licht der Auferstehung, aber es gibt auch Taten des Lichts, die bereits da sind und die von Beginn des Krieges an da waren. Es wird viel von Gewalt und Rache gesprochen, aber es gibt wunderbare Menschen, die eine sehr schöne Arbeit leisten, ohne sich von dieser Atmosphäre der Gewalt überwältigen zu lassen. Ich nenne nur ein Beispiel: die vielen arabischen Ärzte und Krankenschwestern, die in Krankenhäusern Juden behandeln. Ich sehe auch Juden, die sich engagieren: 13 Personen, Kinder und Erwachsene aus Gaza in Jerusalem, werden in einem israelischen Krankenhaus behandelt. Diesen Menschen wird nun gesagt, dass sie nach Hause, nach Gaza, gehen sollen. Und es gibt jüdische Israelis, die sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass diese Kinder bleiben können, damit sie geschützt werden.“
Stimmen des Friedens werden kaum gehört
Man dürfe sich „nicht von der Hassrede beeindrucken lassen, die derzeit vorherrscht“. „Das Licht ist präsent. Es ist da durch Menschen, die dieses Licht in ihrem Herzen haben.“ Stimmen des Friedens würden derzeit aber „kaum gehört und akzeptiert, sondern diskreditiert“.
„Es gibt leider einen sehr starken Rachegedanken – darum werden die heutigen Friedensreden nicht gehört. Aber wir dürfen uns davon nicht besiegen lassen, und ich denke, dass es gerade jetzt an der Zeit ist, kleine Samen des Friedens zu säen und trotzdem weiter zu handeln, wohl wissend, dass es nicht das erste Mal in der Geschichte ist, dass es Akte von solcher Gewalt gibt. Ich weiß, dass man bei solchen Ereignissen den Eindruck hat, dass es keine Zukunft mehr gibt. Aber nein, das ist nicht wahr. Es gab im 20. Jahrhundert entsetzliche Gewalt, und Völker haben es geschafft, sich zu versöhnen!“
Wunsch nach Rache - auf beiden Seiten
Den Wunsch nach Rache verortet der Weihbischof ausdrücklich auf beiden Seiten, auf israelischer wie palästinensischer. Das sei eine „allgemeine Stimmung“, die einen „sehr starken Druck“ ausübe. Umso wichtiger sei es, „sich nicht mitreißen zu lassen und das innere Licht zu bewahren“: Auch die anderen seien „menschliche Wesen“.
„Und ich denke, was für uns Christen sehr wichtig ist und was spezifisch für Christen ist, ist die Botschaft der Vergebung, die im Herzen des Evangeliums zu finden ist. Heute sind wir aufgefordert, darüber neu nachzudenken. Es mag Christen in diesem Krieg geben, die sich sagen, dass das Leiden so groß ist, dass es so wenig Licht gibt, dass sie versucht sein könnten, diese Rede vom Frieden zu vergessen. Ich denke, das Evangelium erinnert uns daran, dass wir keine andere Wahl haben, als uns in Richtung Vergebung zu orientieren.“
(vatican news – sk)
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