Ukraine: „Drittes Ostern unter Bomben“
„Es wird immer schwieriger, den Menschen irgendwie Mut zuzusprechen“, sagt der griechisch-katholische Bischof Vasyl Tuchapets, Exarch von Charkiw, in einem Interview mit Radio Vatikan. „Auch wir selbst fühlen uns immer mutloser; wir sind ja normale Menschen und spüren diese Last wie alle anderen. Aber gleichzeitig merke ich auch, wie wichtig es ist, dass die Kirche hier präsent ist. Und dass sie weiterhin so gut wie möglich hilft.“
Erst vor drei Tagen hat ein russischer Großangriff auf die Millionenstadt Charkiw einen Menschen getötet und siebzehn Personen verletzt; ungefähr zeitgleich besuchte der russische Diktator Wladimir Putin in Moskau einen orthodoxen Ostergottesdienst. Danach gingen die nächtlichen Angriffe auf Charkiw mit Drohnen und Raketen weiter; am Sonntag wurden aus der Stadt mehrere Großbrände gemeldet.
Alles Geld geht für die Miete drauf
„Die bewohnten Orte, die näher an der Grenze zu Russland, näher an der Frontlinie liegen, leiden am meisten. Einige Menschen sind aus diesen Orten evakuiert worden, viele von ihnen ziehen nach Charkiw. Am letzten Donnerstag sprach ich, als wir in Charkiw humanitäre Hilfe verteilten, mit einem Mann, der aus Wowtschansk stammt, fünf Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Der bat uns um Kleidung, Bettwäsche, Lebensmittel und Schuhe, weil er praktisch nichts hat. In Charkiw wohnt er in der Wohnung von Freunden, die die Stadt verlassen haben. Viele Menschen, die hierhergezogen sind, sind aber gezwungen, sich eine Mietwohnung zu nehmen und das wenige Geld, das sie vom Staat erhalten, für die Miete auszugeben. Sie haben dann nicht viel übrig, um Lebensmittel und Medikamente zu kaufen. Die humanitäre Lage ist also sehr schwierig.“
Jeden Donnerstag ist der Hof der griechisch-katholischen Kathedrale in Charkiw voll mit Menschen, die um Unterstützung bitten. Bischof Tuchapets sagt, dass das Exarchat leider selbst immer weniger Hilfe von außen erhält und daher den Menschen nicht mehr so viel bieten kann wie früher. „Wir geben ihnen alles, was wir haben. De facto bekommen wir nur Hilfe aus Italien: von der ukrainischen Pfarrei St. Sophia in Rom, vom päpstlichen Almosenverantwortlichen, Kardinal Konrad Krajewski, von der Caritas des Exarchats für die ukrainischen Katholiken des byzantinischen Ritus in Italien, und auch von der lateinischen Diözese Como. Und dafür sind wir ihnen allen sehr dankbar.“
Alle sind innerlich gestresst
Die russischen Angriffe richten sich, so erklärt der Bischof, hauptsächlich gegen die Infrastruktur. In letzter Zeit gab es darum immer wieder Probleme mit der Elektrizität in der Stadt; oft hatten die Menschen nur stundenweise Strom. Aber auch zivile Ziele werden oft getroffen, was zu Toten und Verletzten führt.
„Vor ein paar Tagen gingen zwei Raketen in der Nähe eines Krankenhauses nieder. Glücklicherweise wurde das Gebäude nicht getroffen, nur Fenster und Türen wurden beschädigt, und eine Person wurde durch eine zerberstende Glasscheibe verwundet. Jetzt ist das Klima ziemlich angespannt. Trotz des Osterfestes stehen wir alle unter Spannung, wir hören ständig Sirenen und Bombardierungen. Einige Menschen haben die Stadt verlassen, vor allem diejenigen mit Kindern, aber es handelt sich da nicht um ein Massenphänomen. Im Gegenteil, viele sind aus dem Ausland wieder zurückgekehrt, weil sie sagen, dass es zu Hause besser ist.“
Kleine Gesten der Nächstenliebe helfen
Der Exarch von Charkiw wirbt um Unterstützung für die Menschen in Charkiw. Rund um die zweitgrößte Stadt der Ukraine tobten zu Beginn der russischen Invasion besonders heftige Kämpfe; die Angreifer versuchten die Stadt zu besetzen, was ihnen allerdings nicht gelang. Dafür rächen sie sich seitdem mit häufigem Beschuss.
„Unsere Nachbarn sagen, dass sie sich ruhiger fühlen, wenn ein Priester in der Nähe ist. Ich glaube, dass die Präsenz der Kirche, der Priester, der Ordensleute an der Seite der Menschen in dieser schwierigen Zeit sehr wichtig ist. Selbst wenn wir gar nicht so viel tun können für sie. Aber die Menschen, die jede Woche kommen und um humanitäre Hilfe bitten, bringen so viel Dankbarkeit zum Ausdruck. Kürzlich haben wir sogenannte Ostertauben [Anm. d. Red.: eine Art Kuchen], die uns aus Italien geschickt wurden, an die Menschen verteilt, und sie waren alle sehr glücklich darüber. Es braucht nur so wenig, um sie aufzuheitern. Am wichtigsten ist es, Mitgefühl zu zeigen, denn die Menschen hier sind sehr gestresst; sie fragen uns oft, wann das aufhört. Deshalb halten wir die Türen unserer Kirche immer offen, damit die Menschen kommen, Fragen stellen und um Hilfe bitten können.“
Einen Segen für die Paska
Viele praktizierende Gläubige gibt es in Charkiw nicht. Wie anderswo in der Ukraine, mit Ausnahme des westlichen Landesteils, wurde hier die Weitergabe des Glaubens von einer Generation zur nächsten während des Sowjetregimes unterbrochen. Erst schrittweise lebte das Christentum nach dem Zerfall der Sowjetunion wieder auf. Ostern ist jedoch einer der wenigen Feiertage, an denen die Menschen in die Kirche gehen, zumindest um die Paska [Anm. d. Red.: Brot, das in der Ukraine zu Ostern gebacken wird] segnen zu lassen. Der Glaube der Menschen mag noch nicht richtig gefestigt sein, sagt Bischof Tuchapets dazu – doch umso wichtiger seien solche „Gesten der Menschlichkeit“.
„In dieser Situation des Krieges, des Leidens und des Schmerzes haben wir das Fest der Auferstehung Christi, das uns Hoffnung gibt. Das uns das Licht schenkt, das diese Dunkelheit durchdringt. Christus hat für uns gelitten, aber er ist auferstanden und schenkt uns die Freude der Auferstehung. Ich wünsche jedem von uns, dass wir auch in dieser schwierigen Zeit des Krieges diese Freude der Begegnung mit dem lebendigen, auferstandenen Christus erleben und diese Freude, diese Liebe und diese Barmherzigkeit mit anderen teilen. Mit denen, die unsere Unterstützung und unsere Hilfe brauchen.“
(vatican news – Svitlana Dukhovych)
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