Die Opfer von Boko Haram: Drei Frauen aus Kamerun berichten
Augustine Asta - Maroua, im hohen Norden Kameruns
Es ist die Geschichte von drei Frauen mit unterschiedlichen Hintergründen, aber einem Lebensweg, der eine ähnliche Wendung genommen hat. Denn eines haben sie gemeinsam: sie alle wurden Opfer der Gräueltaten der Terrorsekte Boko Haram. Und sie alle haben ihr Martyrium in Kolofata, einem Ort im hohen Norden Kameruns, im Herzen Afrikas, erlitten.
„Es war, als würde der Himmel über mir einstürzen...“
Eine von ihnen ist Fatna. Sie wurde mitten in der Nacht von ihrem 22-jährigen Sohn geweckt. „Mama, da klopft jemand an die Tür“, sagte er zu ihr. Sie und ihr Ehemann standen auf. Der Sohn hatte kaum die Tür geöffnet, als die unerwarteten Besucher hereinstürmten, ihn packten und riefen: „Von heute an habt ihr keinen Sohn mehr!“. Dann schnitten sie ihm die Kehle durch. Die entsetzten Eltern konnten nur hilflos zusehen. Der Vater floh und ließ seine Frau im Kampf gegen die Terroristen allein zurück. „Ich stand da und sah meinen Sohn in einer Blutlache liegen. Ich stand da und sah seinen Leichnam. Seinen leblosen Körper. Es war, als würde an diesem Tag der Himmel über mir einstürzen. Meine Welt brach vor meinen Augen zusammen, und was mich am meisten schmerzt, ist, dass ich nichts tun konnte. Ich konnte nichts tun. Mein Sohn ist vor meinen Augen gestorben... Jede Lebensfreude in mir war erloschen... Ich wollte nur noch sterben...“, sagte Fatna mit gebrochener Stimme.
Ein ganzes Dorf auf der Flucht
Auch das, was Maimouna erlebt hat – eine frisch verheiratete junge Frau und Mutter von zwei Kindern – gleicht einer Szene aus einem Horrorfilm. Ihr Dorf wurde mitten in der Nacht von der Terrorgruppe überfallen. Die Gesetzlosen hielten ihren Mann fest und schnitten ihm vor ihren Augen die Kehle durch. Der Überlebensinstinkt ließ sie die wenige Kraft, die sie noch hatte, zur Flucht nutzen. „Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, an diesem fürchterlichen Tag zu fliehen. Ich werde diesen Tag nie vergessen. Als sie meinen Mann töteten, packte ich meine Kinder – das eine war drei Jahre, das andere ein Jahr alt – und rannte los. Ich rannte so schnell ich nur konnte. Das ganze Dorf war auf der Flucht; wir liefen durch den Busch. Es war Regenzeit, und irgendwann kamen wir zu einem Fluss, den wir nicht überqueren konnten. Wir mussten warten, bis das Wasser ein bisschen gesunken war und wir weiterkonnten. Wir waren so viele! Ich packte das kleinere meiner Kinder auf den Rücken, das größere hielt ich an der Hand. Aber die Strömung war zu stark, und mein einjähriger Sohn, den ich auf dem Rücken trug, wurde mitgerissen. Irgendwie habe ich es trotzdem geschafft, auf die andere Seite des Flusses zu kommen. Ich war mit meinen Kräften am Ende und fand einen Platz, wo ich mich mit meinem dreijährigen Sohn hinlegen konnte. Irgendwann fielen mir vor Erschöpfung die Augen zu – und als ich am nächsten Morgen aufwachte, stellte ich fest, dass das einzige Kind, das ich hatte retten können, ebenfalls tot war... Ich habe an diesem Tag meine ganze Familie verloren“, erzählt Maimouna mit Tränen in den Augen.
Geisel der Terror-Schergen
Bossoni ist eine ehemalige Geisel von Boko Haram. Die knapp 18-Jährige wurde fast fünf Jahre lang von Boko Haram-Kämpfern gefangen gehalten, gefoltert und vergewaltigt. „Ich war diesen Barbaren ausgeliefert, befand mich tage-, nächtelang in der Gewalt dieser Terroristen. Ich wollte bei meinen Eltern, meinen Brüdern und Schwestern, meinen Freunden sein. Stattdessen wurde ich von Männern gefangen gehalten, die mich brutal aus der Wärme meiner Familie gerissen hatten“, erzählt sie mit leerem Blick. „Ich fand mich an einem völlig unbekannten Ort wieder. Man hat mich vergewaltigt und geschlagen. Sie ließen mich hungern. Ich musste Misshandlungen über mich ergehen lassen, die man gar nicht beschreiben kann. Bei der ersten Gelegenheit bin ich weggelaufen. Ich rannte so schnell mich meine Füße trugen. Ich wusste nicht, wohin ich laufen sollte, aber ich wusste, dass ich wegmusste. Ich bin nächtelang gerannt, auf gefährlichen Pfaden, durch den Wald, durch den Busch, wilden Tieren ausgeliefert – und vor allem den grausamen Männern, die mir hinterherjagten. Ich wusste, dass ich fliehen musste, und ich wusste auch, dass ich einen hohen Preis bezahlt hätte, wenn sie mich eingeholt hätten: sie hätten mich zu Tode gequält,“ lässt Bossoni die erlebten Schrecken mit tonloser Stimme Revue passieren.
Der Schmerz ist noch immer da...
Falta, Maimouna und Bossoni stehen für ein Trauma, das die Frauen in dieser Region noch immer quält. Ihre Geschichten sind ebenso grausam wie empörend. Das, was sie erlebt haben, liegt zwar schon fast ein Jahrzehnt zurück, aber der Schmerz ist noch immer da. Wie diese drei Frauen, die ein gemeinsames Schicksal teilen, erleben auch viele andere seit Beginn dieser Krise Leid und Schrecken. Es gibt immer mehr Frauen, die einen oder mehrere geliebte Menschen verloren haben. Von einem Tag auf den anderen wurde ihr Leben in Dunkelheit getaucht, was ihnen schwere moralische Schäden und einen psychologischen Schock beschert hat.
Der ungebrochene Lebensmut der Überlebenden
Als die Sicherheitskrise ihren Höhepunkt erreichte, haben viele Frauen, die in dieser nördlichen Region Kameruns Opfer von gewalttätigem Extremismus geworden waren, den Entschluss gefasst, sich zu wehren. Und so begannen sie, sich in Vereinen und kleinen Gruppen zu organisieren, um die Kraft zu finden, einander zu unterstützen. „In unserem Verein Le coeur d'une mère helfen wir einander, unterstützen uns gegenseitig. Die gemeinsamen Prüfungen bringen uns dazu, uns zusammenzuschließen, um anderen Überlebenden zu helfen. Dieser Zusammenhalt gibt uns Kraft. Denn wenn dir jemand gegenübersitzt, der das Gleiche durchlebt hat wie du, dann wird dir klar, dass du damit nicht allein bist. Und das gibt dir die Kraft, weiterzumachen“, erzählt Maimouna mit einem Lächeln im Gesicht.
Wenn Tränen zur Waffe werden...
„Seitdem wir uns für unsere Vereinsaktivitäten treffen, habe ich festgestellt, dass unsere Tränen zu einer Waffe geworden sind,“ zieht Bossoni Bilanz. „Wir fühlen uns stärker, und das gibt uns die Zuversicht, die Zukunft zu meistern. Wir haben den Wunsch, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen, indem wir akzeptieren, was uns passiert ist.“ Das Leben hat es mit diesen Frauen nicht immer gut gemeint – und dennoch sind sie nach und nach bereit, das, was sie erlebt haben, zu akzeptieren. Sie versuchen, die Freude am Leben wiederzufinden, wollen aus dem Tal der Verzweiflung herauskommen und versuchen, die Wunden der Vergangenheit zu heilen, um die Gegenwart mit mehr Optimismus leben zu können. Sie wissen, dass ihr Leben weitergehen muss – auch wenn es nie wieder so sein wird wie zuvor.
Boko Haram: Chronik des Terrors
Mit der Entführung der französischen Familie Moulin-Fournier in Dabanga im hohen Norden des Landes, hatte der Terror am 19. Februar 2013 Kamerun erreicht. Es folgte eine Reihe von Entführungen, bevor 2014 die Phase der Selbstmordattentate in Maroua und der bewaffneten Angriffe in einigen Konfliktgebieten einsetzte.
(vaticannews - skr)
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