Wahl in Frankreich: Wie reagiert die Kirche?
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
In der politischen Mitte hat sich Macrons Partei auf Platz zwei behauptet, und auch die konservativen Republikaner sind, anders als prognostiziert, nicht untergegangen. Allerdings drohen dem Land nun Unregierbarkeit und Blockade, auch außenpolitisch.
Fragen und Antworten
Wie reagiert die katholische Kirche auf das Wahlergebnis?
Wenn man es bündig fassen will, muss man sagen: gar nicht. Auf der Internetseite der Bischofskonferenz findet sich kein Statement dazu, und in den katholischen Medien kto, rcf und Radio Notre-Dame wird das Ergebnis zwar ausführlich analysiert, aber nicht durch einen dezidiert katholischen Blickwinkel. Das war schon nach der ersten Runde der Wahlen Ende Juni so. Ganz offenbar entspricht das der offiziellen Linie der Kirche.
Waren die Bischöfe immer schon so zurückhaltend?
Nein. 2002 hat die Bischofskonferenz ausdrücklich dazu aufgerufen, in der Stichwahl um das Präsidentenamt die Stimme nicht dem damaligen „Front National“-Parteichef Le Pen zu geben, sondern dem Amtsinhaber Chirac. Aber ansonsten waren direkte Wahlempfehlungen aus Bischofsmund noch nie üblich. Dafür müssen die Bischöfe von katholischen Verbänden und Engagierten in Frankreich oft auch Kritik einstecken.
Wie hatten sich die Bischöfe denn zu den jetzigen Wahlen positioniert?
In einem Statement haben sie erklärt, die Ausrufung der Wahlen durch Macron habe dem Land „unerwartete Turbulenzen beschert“ – eine verhüllte Kritik an der einsamen Entscheidung des Präsidenten. Das Ergebnis der vorangegangenen Europawahlen mit dem starken Stimmenanteil der Rechtspopulisten haben sie dann als „Symptome für eine unruhige, gepeinigte, gespaltene Gesellschaft“ gedeutet. Um etwas gegen diese „Ängste“ zu tun, formulierten die Bischöfe ein Gebet. Der erste Satz lautete: „Gott der Wahrheit und der Güte, hilf uns in diesen Zeiten schwieriger Entscheidungen für unser Land, klar zu unterscheiden, was gerecht ist“. Eine Wahlempfehlung haben die Bischöfe nicht abgegeben. Zum Vergleich: Die deutschen Bischöfe haben dieses Jahr in aller Deutlichkeit dazu aufgerufen, die AfD nicht zu wählen.
Wie wählen die Katholiken in Frankreich, wo stehen sie politisch?
Ich habe noch keine Analyse des sogenannten „vote catholique“ für diese Parlamentswahlen vorliegen. Aber generell gilt immer schon: Die praktizierenden Katholiken wählen mehrheitlich rechts. Lange Zeit profitierte davon die „Regierungs-Rechte“ (droite de gouvernement), das meint den Gaullismus (die politischen Erben von Republikgründer Charles de Gaulle) und die Christdemokratie. Über lange Jahre gab es von praktizierenden Katholiken kaum Stimmen für die Le Pen-Partei, man sprach von einem katholischen Block gegen den „Front National“, den heutigen „Rassemblement National“. Außerdem wählten die praktizierenden Katholiken tendenziell immer europafreundlich.
War das auch in diesem Jahr so, bei den Europa- und den Parlamentswahlen?
Nein. Dieses Jahr ist sozusagen der Damm gebrochen, und die Le Pen-Partei bekommt auch die Stimmen praktizierender Katholiken. Damit gleicht sich die katholische Wählerschaft dem allgemeinen nationalen Trend an. Schon bei den Regionalwahlen von 2015, während der Welle islamistischer Attentate in Frankreich, hatte sich der Dammbruch angekündigt, da kam Marine Le Pen bei praktizierenden Katholiken bereits auf 21 Prozent.
Wie sah der „Dammbruch“ dieses Jahr im einzelnen aus?
Bei den Europawahlen sollen über vierzig Prozent der praktizierenden Katholiken für die extreme Rechte votiert haben: 32 Prozent für den „Rassemblement National“ und weitere zehn Prozent für „Reconquête“. Hingegen stimmten nur 28 Prozent der praktizierenden Katholiken für linke Parteien – und nur zwölf Prozent für Macrons Mitte. Man muss davon ausgehen, dass auch bei den jetzt gerade zu Ende gegangenen Parlamentswahlen die Le Pen-Partei ordentlich katholische Stimmen eingefahren hat. Das überraschend starke Abschneiden der konservativen Republikaner könnte hingegen darauf deuten, dass sich die „klassischen“ Mitte-rechts-Wähler unter den praktizierenden Katholiken hierhin gewandt haben.
Warum immer dieser Hinweis auf „praktizierende“ Katholiken?
Weil nur sie wirklich einen erkennbaren Wählerblock bilden, während die nicht-praktizierenden Katholiken immer schon mehr oder weniger dem allgemeinen Trend der französischen Wähler entsprechen.
Wie lässt es sich erklären, dass viele praktizierende Katholiken auf einmal für die Rechtspopulisten stimmen, nachdem sie doch jahrzehntelang immun waren gegen deren Sirenengesänge?
Zum einen macht die allgemeine Polarisierung und Verunsicherung in der französischen Gesellschaft auch vor den Kirchgängern nicht halt. Zweitens hat Marine Le Pen in den letzten Jahren einiges getan, um ihre Partei wählbarer, weniger radikal erscheinen zu lassen. Drittens gab es im französischen Katholizismus auch immer schon eine starke Rechtsaußen-Strömung; das geht historisch zurück auf die Restauration nach der französischen Revolution, setzt sich dann mit der Bewegung „Action francaise“ von Charles Marras an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert fort. Die „Action francaise“ wurde 1926 von Papst Pius XI. für unvereinbar mit dem Katholizismus erklärt, weil sie ihn zu sehr mit dem Nationalismus verquicke. Auch die Traditionalisten aus dem Haus Lefèbvre sind schon seit langem eng mit den Le Pens verbunden.
Sind eigentlich alle Kirchen und Religionsgemeinschaften in Frankreich in politischer Hinsicht so zurückhaltend wie die katholische Kirche?
Nein. Der Verband der Protestanten hat vor der Wahl sowohl „den Rassismus der extremen Rechten wie den Antisemitismus der extremen Linken“ verurteilt. Genauso hat sich auch der Rat jüdischer Einrichtungen in Frankreich positioniert; er hat auch erklärt, dass er der „Neuen Volksfront“, die die Wahlen gewonnen hat, nicht über den Weg traue, weil sie in ihren Reihen mit den Linkspopulisten von LFI Antisemitismus dulde. Für den Islam hat der Rektor der Großen Moschee von Paris ausdrücklich vor der Wahl der Rechtsextremen gewarnt.
(vatican news)
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