Renovabis zu EU-Holocaust-Gedenktag: „Antiziganismus überwinden"
Allein in der Nacht zum 2. August 1944 ‑ an diesem Freitag vor 80 Jahren ‑ waren 4.300 Roma in Auschwitz umgebracht worden. In ganz Europa sind von den Nazis während ihrer Schreckensherrschaft eine halbe Million Roma ermordet worden. „Diese schändliche, menschenverachtende und als Genozid geplante Vernichtung müssen wir uns immer wieder bewusst machen", wird Schwartz in einer Pressemitteilung von Renovabis zitiert. „Die Ermordung von Hunderttausenden Sinti und Roma in Auschwitz verpflichtet uns, auch heute entschieden gegen Antiziganismus einzutreten“, appelliert der Hauptgeschäftsführer von Renovabis.
Pfarrer Thomas Schwartz nahm auf Einladung des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma an dem Gedenken in Auschwitz teil. Vor Ort waren auch einige der letzten Zeitzeugen, die den Holocaust an den Sinti und Roma überlebt haben. Neben Angehörigen der Minderheit der Sinti und Roma aus vielen Ländern, Repräsentanten des polnischen Staates, und anderer internationaler Institutionen und Organisationen, waren auch diesmal Botschafter verschiedener Länder und weitere diplomatische Vertreter anwesend.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, verurteilte in seinem Grußwort, dass Sinti und Roma auch in Europa weiter tradiertem Antiziganismus ausgesetzt sind, berichtet der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in einer Pressemitteilung. Alma Klasing, Überlebende des Holocaust, die nahe Angehörige in Auschwitz verloren hat, betonte demnach ihrer Ansprache in Auschwitz: „Die Wahlerfolge der rechten Parteien machen mir große Angst. Deshalb möchte ich gerade die Jugend vor diesen falschen Propheten warnen und bitte Euch von ganzem Herzen: Verteidigt unsere Demokratie.“
Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, verwies auf das Vermächtnis aller Ermordeten von Auschwitz, deren Asche den Boden des Vernichtungslagers bedeckt. Er betonte: „Die Erfahrung aus der Nazi-Herrschaft verpflichtet uns, die Menschenwürde und die Menschenrechte überall und für jeden zu verteidigen. Die Demokratien müssen wieder die universellen Menschenrechte ins Zentrum ihres Handelns stellen. Wir wissen, dass tausende Menschen jedes Jahr im Mittelmeer ertrinken oder in der Wüste von Libyen und Tunesien ausgesetzt werden. Das Vermächtnis der Ermordeten von Auschwitz verbietet es uns, dies gleichgültig hinzunehmen.“
„Auschwitz steht für das größte Verbrechen, das Menschen Menschen jemals angetan haben. Es steht für den Zivilisationsbruch, der von Deutschland ausging. Für den Willen, das europäische Judentum zu vernichten. Für den Völkermord an den Sinti und Roma. Hier in Auschwitz endete der Rassenwahn der Nationalsozialisten in der grausamen Auslöschung von Menschenleben.", sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in ihrer Rede. Sie ist die erste Spitzenrepräsentantin des deutschen Bundestages, die nach Auschwitz gereist ist, um an diesem Ort der schlimmsten deutschen Menschheitsverbrechen aller Menschen zu gedenken, die dort von den Nationalsozialisten ermordet wurden: der Sinti und Roma, der Juden, der Polen, der Angehörigen anderer Nationen.
Deutsche Bischofskonferenz: Hoffnung, dass jahrhundertealte Diskriminierung überwunden werden kann
Auch Weihbischof Matthias Heinrich aus Berlin nahm an der Gedenkveranstaltung in Auschwitz teil. Er legte als Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) einen Kranz nieder. Der Weihbischof ist der DBK-Beauftragte für die Seelsorge für Roma, Sinti und verwandte Gruppen.
„Es ist uns ein großes Anliegen, den Opfern des Völkermords an den europäischen Sinti und Roma ein ehrendes Gedenken zu bewahren. Die Solidarität mit den Überlebenden und ihren Nachkommen ist umso wichtiger, als menschenfeindlicher Hass in Form von Antiziganismus und Rassismus sich aktuell wieder verstärkt in unserer Gesellschaft ausbreitet“, betonte Weihbischof Heinrich laut einer DBK-Pressemitteilung. Die jahrzehntelange Nichtbeachtung der systematischen Verfolgung und des Genozids an Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus gründe in einem auch nach 1945 fortbestehenden Antiziganismus.
„Die Tatsache, dass wir heute hier gemeinsam stehen und der Schicksale von Zigtausenden Angehörigen der Minderheit gedenken, ist ein Zeichen der Ermutigung und Hoffnung, dass jahrhundertealte Diskriminierung überwunden werden kann“, erklärte Weihbischof Heinrich. „Als Deutsche haben wir dabei eine besondere Aufgabe. Aus Verantwortung für die Menschen in der Gegenwart und für die Gestaltung der Zukunft brauchen wir die kritische Erinnerung, die auch die Verstrickung von Teilen der Kirche miteinschließt“, so Heinrich weiter.
Die Deutsche Bischofskonferenz bereitet derzeit mit dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma ein wissenschaftliches Symposium zum Verhältnis der katholischen Kirche in Deutschland zu den Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus sowie in der Nachkriegszeit vor.
Renovabis-Hilfsprojekte für Roma
Bei Renovabis waren insbesondere in Rumänien, der Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Tschechien Hilfsprojekte zugunsten von Angehörigen der Roma-Minderheit stets präsent. Schwartz sieht die Roma als „Hauptverlierer der osteuropäischen Transformationsprozesse nach dem Ende des Kommunismus.“ Ihre Situation habe sich nach 1990 für viele verschlechtert. „Wir dürfen nicht wegschauen, wenn in Europa Menschen in sozialer Not und in Gettos leben müssen“, mahnt Pfarrer Schwartz und lädt zu einem Perspektivwechsel durch einen Blick auf die Ursachen und die Rolle der Mehrheit ein: „Was sagt das über die Gesellschaften aus, dass sie nicht genug gegen die Ausgrenzung der Roma-Minderheit und gegen die menschenunwürdigen Lebensbedingungen tun.“
Für Schwartz ist eine dauerhafte Verbesserung der Situation der Roma in Mittel-, Ost- und Südosteuropa nur durch die Politik in den Ländern und die Überwindung von antiziganistischen Haltungen und Vorurteilen möglich. Grundlage dafür sei die Erkenntnis, dass die Roma-Minderheiten gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger des eigenen Landes seien. Viele der von Renovabis geförderten Projekte unterstützen junge Menschen auf ihrem Bildungsweg und beim Übergang in den Beruf, als wichtige Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe und als Ausweg aus einem Teufelskreis sozialer Not. Darüber hinaus sind das Lernen über Geschichte und Kultur der Roma, Bewusstseinsbildung und der Abbau von gegenseitigen Vorurteilen wichtige Ziele. „Uns ist dabei für die Projektförderung wichtig, dass jede paternalistische Haltung überwunden wird und die Projektvorhaben ‚mit‘ und nicht ,für‘ die Roma-Minderheit durchgeführt werden“, erläutert der Renovabis-Chef. „Auch in den Kirchen ist dies noch ein Lernprozess. Aber durch die zunehmende Beteiligung von Romnja und Roma an Planungen kann die Situation dauerhaft verbessert werden.“
Renovabis würdigt in diesem Zusammenhang die Initiative der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma zur historischen Aufarbeitung der Rolle der katholischen Kirche in der NS-Zeit. Ein wesentlicher weiterer Schritt müsste nach Schwartz auch die ehrliche Auseinandersetzung mit dem Antiziganismus in den Kirchen in der Nachkriegszeit sein.
Hintergrund
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