Thailand: Marionette an der Macht?
Seitdem hat der Jesuitenpapst, der eigentlich mal Missionar in Japan werden wollte, Asien immer wieder bereist; Anfang September bricht er zu einer weiteren Tour auf, die ihn nach Indonesien, Papua-Neuguinea, Ost-Timor und Singapur führt. Thailand hat Franziskus im Jahr 2019 besucht. Dabei würdigte er es als „multikulturelle, durch Vielfalt geprägte Nation“; die Elite des Landes rief er datzu auf, immer das Gemeinwohl für alle Menschen in Thailand im Auge zu haben.
Man fragt sich, was der Papst sagen würde, wenn ihn sein Reiseplan in diesen Tagen nach Thailand führen würde. In Bangkok würde ihn dabei eine junge Frau empfangen: Paetongtarn Shinawatra. Sie wurde erst am vergangenen Sonntag vom König als Regierungschefin eingesetzt. Man sollte sich allerdings von dem neuen Gesicht nicht täuschen lassen. Ihr Amtsantritt findet in einem extrem polarisierten politischen Klima statt. Erst vor genau einer Woche wurde ihr Vorgänger Srettha Thavasin von der Justiz wegen Korruption abgesetzt und die größte thailändische Oppositionspartei aufgelöst.
Thailand macht eine Periode politischer Unsicherheit durch – aber das ist ja nichts Neues, findet Sophie Boisseau du Rocher vom Asienzentrum des Französischen Instituts für Internationale Beziehungen (IFRI) in Paris. Wir wollen mit ihr zusammen etwas besser verstehen, was in der zweitgrößten Volkswirtschaft Südostasiens gerade vor sich geht, und fangen an bei der neuen Ministerpräsidentin, der jüngsten in Thailands Geschichte. Wie lässt sie sich charakterisieren?
„Sie ist in erster Linie die Tochter ihres Vaters“, antwortet die Expertin. „Ich denke, das ist wirklich die beste Art, sie vorzustellen. Bevor sie die Führung der Partei übernahm, die von ihrem Vater gegründet wurde, war sie der breiten Öffentlichkeit absolut unbekannt. Und sie ist im Übrigen eine sehr junge Frau. Sie ist erst 37 Jahre alt und hat keinerlei Erfahrung. Es ist also in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass sie die Tochter ihres Vaters ist, dass sie die Position erhalten hat, die sie heute innehat. Das wirft natürlich enorme Fragen auf, sowohl hinsichtlich ihrer Kompetenzen als auch ihrer Fähigkeit, eine Regierung zu führen, insbesondere in einer Situation, die sehr komplex ist. Und es wirft auch die Frage nach dem System auf: Wie sehr wird das System manipuliert, um unbekannte, unerfahrene, aber interessengebundene Personen an die Macht zu bringen und eine demokratisch gewählte Regierung von der Macht zu verdrängen.“
Welche Pläne haben das Militär und die Elite?
Die Frage ist nun aber, ob diese Shinawatra-Dynastie so viel Gewicht auf der politischen Bühne Thailands hat, wie es im Moment nach außen wirken könnte. Seit 2001 hat die Familie mehrfach den Regierungschef gestellt, aber die wirklich bestimmenden Kreise in Thailand könnten andere sein.
„Es ist vorstellbar, dass das Militär oder die Eliten diese Dynastie benutzen. Man lässt sie jetzt für eine Weile an die Macht, aber nur, um sie dann davon zu vertreiben. Das heißt, dass jeder noch so kleine Fehler der neuen Regierungschefin mit Sicherheit bestraft wird, wie es übrigens auch bei ihrem Vater Thaksin Shinawatra oder ihrer Tante Yingluck Shinawatra der Fall war, welche drei Jahre lang regiert hat. Es ist unklar, was genau die konservativen Eliten im Sinn haben, wenn sie diese Wahl durch das Parlament genehmigen. Es gibt viele Unwägbarkeiten. Die politischen Spiele in Thailand sind sehr kompliziert. Sicher ist, dass die Parteien, die bei den Wahlen die meisten Stimmen erhalten, reformistische Parteien sind. Und diese Parteien werden systematisch am Regieren gehindert, weil sie für Reformen eintreten, die nicht den Interessen der Eliten entsprechen.“
Ein Tycoon mischt Thailands Politik auf
Die Dynastie der neuen Regierungschefin ist noch gar nicht so alt; sie wurde erst Ende der 1990er Jahre von Thaksin Shinawatra gegründet. Doch die Familie wusste die Hoffnungen vieler Menschen im Land auf sich zu ziehen, die den Eindruck haben, dass die Elite nur an sich selbst denkt.
„Thaksin Shinawatra ist ein Opportunist, der sein Vermögen mit Textilien und später mit dem Verkauf von Uniformen gemacht hat. Er hat ein enormes Vermögen angehäuft und ist dann im Laufe der Jahre zu einem Telekommunikations-Tycoon geworden. Seine Verbindungen zur Wirtschaft sind sehr eng; das verschafft ihm einen enormen politischen Handlungsspielraum. Man sagt übrigens, dass er dem derzeitigen König einige Schulden erlassen hätte, was eine große Rolle gespielt haben soll. Und so ist es nicht unmöglich, dass die Tatsache, dass er an seinem letzten Geburtstag vom König begnadigt wurde, auf einen Schuldenerlass gegenüber dem König zurückzuführen ist.“
Doch die Expertin Boisseau du Rocher hält Thaksin nicht für die Lösung aller Probleme der Menschen in Thailand, das macht sie ganz klar. „Er ist übermäßig opportunistisch, übermäßig ehrgeizig, sicherlich populistisch, definitiv talentiert, aber vielleicht nicht von einer langfristigen Vision getrieben, die es Thailand ermöglichen würde, Fortschritte zu machen und sein wirtschaftliches Entwicklungsniveau mit seinem politischen Entwicklungsniveau in Einklang zu bringen, denn schließlich sind es immer noch die gleichen Kreise, die das Land seit sechzig Jahren in der Hand haben. Es gibt also einen wirklichen Rückstand auf der politischen Ebene, den die thailändische Gesellschaft, die Bürger, die Wähler zu beenden versuchen. Sie wollen Veränderung, und diese Veränderung wird ihnen seit langer Zeit verweigert.“
Unbeschriebenes Blatt
In diese verknotete Lage platzt nun die neue Regierungschefin, politisch ein völlig unbeschriebenes Blatt. „Ihre erste Herausforderung ist die Glaubwürdigkeit. Ist sie als Regierungschefin glaubwürdig? Sie hat bereits am vergangenen Wochenende gesagt, dass sie sich von ihrem Vater beraten lassen wird. Wer wird also wirklich die Führung übernehmen? Ist es die neue Chefin, oder ist es Thaksin Shinawatra selbst? Und die Frage der Glaubwürdigkeit ist wichtig, sobald sie Reformen vorschlägt. Reformen sind unbedingt nötig, um die Wirtschaft anzukurbeln, die immerhin enorm verlangsamt ist, da Thailand nun schon seit etwa zwanzig Jahren von politischer Unsicherheit geplagt wird. Sie wird Reformen verabschieden und diese auch umsetzen müssen.“
Und dazu kommt noch die gesellschaftliche Herausforderung, die darin bestünde, die thailändische Gesellschaft wieder zu vereinen.
„Die Move Forward Party wurde aufgelöst. Ihr Führer ist für zehn Jahre daran gehindert, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Es gibt eine dumpfe Wut, die sich in der Bevölkerung spürbar macht und die nicht nur Bangkok, sondern das ganze Land betrifft. Die Herausforderung für sie wird auch darin bestehen, von der gesamten Bevölkerung akzeptiert zu werden. Darüber hinaus wird es auch internationale Herausforderungen geben. Thailand hat sich in den letzten Jahren enorm an China angenähert. Welche Position wird es zwischen China und den USA einnehmen? Das ist natürlich auch große Herausforderung, und man kann sich Sorgen machen, dass es ihr an Erfahrung fehlt, um mit diesen Herausforderungen umzugehen. Dabei wird sich jetzt entscheiden müssen, wie Thailand in den nächsten zwanzig Jahren aussieht.“
Skepsis zur politischen Zukunft
Paetongtarn Shinawatra ist „in erster Linie eine Marionette“, sagt die Expertin. Die Frage sei, ob sie sich von ihrem Vater lenken lasse oder wirklich „eine politische Ader“ habe. „Und ist diese politische Ader für das Gemeinwohl der Thais oder nur für die Interessen ihrer Partei oder sogar nur ihrer Familie? Ich bin also relativ skeptisch und befürchte ein neues Szenario, d. h. Unsicherheiten und die Wiedereinsetzung der Armee in das politische Getriebe im Namen der Stabilität. Das ist ein Szenario, das in Thailand schon oft erprobt wurde. Und das ist eine sehr ernste Sache, weil man sieht, dass Thailand in den letzten zwanzig Jahren an Glanz und vor allem an Schwung verloren hat.“
Die Südostasien-Reise des Papstes stellt die Region Anfang September neu in den Scheinwerfer der internationalen Öffentlichkeit. Und dabei kann es sein, dass Thailand nicht die beste Figur abgibt, trotz des neuen Gesichts im „Government House“ von Bangkok.
Das Interview führte Augustine Asta von Radio Vatikan.
(vatican news – sk)
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