Kardinal Hollerich: „Papst hat erkannt, dass Luxemburg Peripherie ist“
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Kardinal Hollerich, Luxemburg liegt mitten in Europa und ist ein reiches Land, im Gegensatz zu den Ländern, die Papst Franziskus sonst gern besucht. Was will der Papst in Luxemburg?
Kardinal Hollerich: Ich glaube, Papst Franziskus hat erkannt, dass auch Luxemburg ein Land der Peripherie ist, die Peripherie der Spiritualität und des Glaubens. Wir haben eine stark säkularisierte Gesellschaft, und als Kirche müssen wir in dieser Realität unseren Weg finden. Das heißt, dass wir die Gegenwart nicht ablehnen dürfen, indem wir alles verteufeln und nur die Vergangenheit hochhalten. Wir müssen in der Gegenwart schauen, wo Gott präsent ist, und da anknüpfen. Denn Gott ist nur in der Realität präsent und nicht in unseren Träumen.
Mit Ihrer Erfahrung als Europa-Bischof: Inwiefern könnte die Ortskirche in Luxemburg ein Modell für andere Ortskirchen in einer säkularisierten Umgebung sein?
Kardinal Hollerich: Europa muss die Religion in dieser säkularen Welt entdecken und leben. Wir können uns keine Welt malen, die wir mögen, sondern müssen die reale Welt annehmen. Aber darin sind die Spuren Gottes vorhanden. Gott ist in dieser Welt präsent. Wenn wir Gottessucher werden, befähigt uns das auch, eine Sprache zu sprechen bei der Verkündigung des Glaubens, die die Menschen heute verstehen können.
Wie würden Sie die Gemeinde charakterisieren, die Ihnen als Bischof von Luxemburg anvertraut ist? Wie riecht Ihre Herde?
Kardinal Hollerich: Wenn man einzelne Landpfarreien besucht, fällt auf, dass die Menschen, die zur Messe kommen, meist ein relativ hohes Alter haben. Junge Erwachsene, Jugendliche und Kinder sind eher selten zu sehen. Es gibt jedoch auch Pfarreien, die sehr lebendig sind. Ich denke da an eine in Luxemburg-Stadt, wo auch viele Obdachlose sind. Dort ist die Kirche voll, mit Menschen aller Altersgruppen und Nationen. Bei den Firmungen in dieser Gemeinde, etwa 100 pro Jahr, sind etwa 80 Prozent der Firmlinge Portugiesen, 17 Prozent Italiener und 3 Prozent Luxemburger.
Sie haben in Luxemburg eine traditionsreiche Wallfahrt, die auch gesellschaftlich eine wichtige Rolle spielt. Was passiert bei dieser Wallfahrt, und welche Rolle spielt Papst Franziskus dabei?
Kardinal Hollerich: Die Wallfahrt zur Muttergottes, der Trösterin der Betrübten, ist tief im Herzen vieler Luxemburger verankert. Da kommen sehr viele Leute. Während des Zweiten Weltkriegs, als Luxemburger in die deutsche Armee eingezogen wurden, gingen die Mütter zur Trösterin der Betrübten, um für ihre Söhne zu beten. Damals war die Wallfahrt von den Nazis verboten, aber es entstanden in allen Kirchen Kopien der Muttergottes, wo die Menschen beten konnten. Heute dauert die Wallfahrt zwei Wochen, obwohl sie ursprünglich nur acht Tage dauerte, daher der Name „Oktav". Jede Pfarrei, jede Gruppierung kommt in die Kathedrale. Es kommen neue Gruppen dazu, wie zum Beispiel Eselsbesitzer, deren Esel gesegnet werden. Dieses Jahr feiern wir 400 Jahre der Trösterin der Betrübten, und der Papst wird dieses Jubiläum in der Kathedrale eröffnen. Er wird unserer Muttergottes die Goldene Rose schenken, was uns sehr freut.
In Luxemburg gibt es seit rund zehn Jahren eine strikte Trennung von Kirche und Staat. Was meinen Sie, könnte Papst Franziskus diesbezüglich im Land ansprechen?
Kardinal Hollerich: Das müssen Sie den Papst fragen. Aber ich glaube, dass die Trennung von Kirche und Staat notwendig war, auch wenn einige Punkte uns weh tun. Die Kirche kann nicht vom Staat abhängig sein, vor allem finanziell, in einer Zeit, in der es immer weniger praktizierende Katholiken gibt. Die Kirche muss lernen, selbst für sich Sorge zu tragen, auch wenn das nicht einfach ist. Aber es gelingt uns. Einige besonders radikale Bestimmungen wurden auch geändert, zum Beispiel können Städte nun wieder finanziell zu Kirchengebäuden beitragen, wenn sie ihnen gehören. Ein Bürgermeister hatte da geklagt und Recht bekommen. Die Beziehungen mit der Regierung sind gut, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gibt, und der Premierminister versteht auch, dass die Kirche trotz der Trennung von Staat und Kirche eine Rolle im öffentlichen Leben hat.
Kurz vor dem Papstbesuch wurde ein großer Finanzskandal in der Caritas aufgedeckt. Wie sehr hat das die Vorbereitungen für den Papstbesuch belastet?
Kardinal Hollerich: Es wirft natürlich einen Schatten auf die katholische Kirche. Die Caritas ist Opfer eines Verbrechens geworden, bei dem 61 Millionen Euro veruntreut wurden. Es ist ein Skandal, und die Justiz muss klären, wer dafür verantwortlich ist. Einige erwarten nun, dass die Kirche finanziell einspringt, aber das können wir nicht: Wenn ich das tun würde, müssten wir alles verkaufen, und wir könnten nicht einmal mehr die Gehälter zahlen.
Aber die Auslandsprojekte der luxemburgischen Caritas müssen geschlossen werden.
Kardinal Hollerich: Ja, das tut sehr weh. Wir werden mit einer kleinen Summe Geld einspringen, um besonders im Südsudan zu helfen. Man wünscht von uns eher, dass wir andere unterstützen. Aber wenn wir helfen, wollen wir den Ärmsten helfen und nicht den Banken.
Ihnen ist das Thema Flüchtlinge immer ein Anliegen gewesen. Wie engagiert sich die Kirche in Luxemburg diesbezüglich?
Kardinal Hollerich: Die Kirche ist stark im Bereich der Flüchtlingshilfe engagiert. Es wurde ein Verein gegründet, „Reech eng Hand“, und es gibt verschiedene Pfarreien, die sich aktiv für Flüchtlinge einsetzen. Wenn nämlich die Zivilgesellschaft und auch die Kirche hilft, werden die Leute ja vielleicht integriert. In großen Flüchtlingsunterkünften ist das schwer. Vor einigen Jahren hat die Kirche zwei Familien von Lesbos aufgenommen und die finanzielle Verantwortung übernommen. Der Staat musste nichts beisteuern. Diese Familien wohnen in einem umgebauten Pfarrhaus, und es ist schön zu sehen, dass das Leben weitergeht – beide Familien haben in Luxemburg Kinder bekommen. Eine Familie ist muslimisch, die andere christlich. Bei mir zu Hause wohnt zurzeit eine ukrainische Familie und ein äthiopischer Student, der mit uns beim Weltjugendtag (in Rom) war und in Luxemburg seinen Master machen möchte.
Was wünschen Sie sich als Erzbischof von Luxemburg von dieser Papstvisite?
Kardinal Hollerich: Ich wünsche mir, dass wir die Zeichen der Hoffnung erkennen und uns darauf einlassen können. Dass wir keine Angst haben, das Evangelium zu leben, auch wenn wir dabei manchmal scheitern. Das ist zweitrangig. Es geht vor allem darum, den Ruf Gottes zu hören und ihm zu folgen. Ich wünsche mir auch, dass eine größere Kohäsion in der Kirche entsteht zwischen den verschiedenen Gruppen und Sprachgruppen. So eine Papstvisite ist eine große Chance. Und ich hoffe, dass wir diese Chance wirklich voll ergreifen können. Auf jeden Fall bin ich dem Heiligen Vater sehr dankbar, dass er die Einladung des Großherzogs angenommen hat.
(vatican news – gs)
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