Christen in Idlib: Überleben in einer Region im Umbruch
Die syrische Provinz Idlib, einst ein bedeutendes Zentrum des Christentums im Norden des Landes, steht heute vor dem fast völligen Verlust ihrer christlichen Gemeinschaft. Wie das katholische Hilfswerk „Kirche in Not" unter Berufung auf Bischof Hanna Jallouf aus Aleppo berichtet, leben in der Region aktuell nur noch etwa 650 Christen, hauptsächlich ältere Menschen. Vor Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 waren es noch rund 10.000.
Bischof Jallouf, ein Franziskaner, der bis 2023 insgesamt 20 Jahre als Seelsorger in der Provinz tätig war, zeichnet ein düsteres Bild von der Lage der Christen im Nordwesten Syriens. „13 Jahre Krieg, Inflation und Armut haben das Land ausgemergelt", erklärt er. Die Fluchtbewegungen aus Städten wie Aleppo oder Hassakeh seien so stark, dass in einigen Jahren möglicherweise keine funktionsfähigen christlichen Gemeinden mehr existieren werden. Die Abwanderung hat bereits viele christliche Viertel entvölkert, und das kulturelle sowie religiöse Erbe droht, in Vergessenheit zu geraten.
Einschränkungen und Gefahren für Christen
Im Nordwesten Syriens, wo Idlib liegt, ist das Leben der Christen von starken Restriktionen geprägt. Öffentliche Glaubensbekenntnisse sind untersagt, ebenso das Aufstellen religiöser Symbole wie Kreuze oder Heiligenstatuen. Kirchliche Schulen dürfen offiziell nicht betrieben werden, was die Gläubigen zwingt, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten, um ihnen die Gefahren eines öffentlichen Schulbesuchs zu ersparen. „Die Eltern müssen für die Abschlussprüfungen ihrer Kinder in andere Provinzen reisen, was eine enorme finanzielle Belastung darstellt“, erklärt Jallouf.
Die Einschränkungen des täglichen Lebens spiegeln eine tief verwurzelte Angst vor Übergriffen wider. Die verbliebenen Christen haben gelernt, sich anzupassen und ihren Glauben im Verborgenen zu leben. Doch die Gefahr bleibt allgegenwärtig: 2014 wurde Jallouf selbst von der islamistischen Al-Nusra-Front gemeinsam mit einem Dorfpfarrer und 20 Gemeindemitgliedern entführt und fünf Tage lang gefangen gehalten. Diese Erfahrung hat ihn geprägt. „Wir Christen vergeben, aber wir vergessen nicht. Ich hoffe, dass sich die vergangenen Jahre nicht wiederholen werden", sagt er mit Blick auf die aktuellen Spannungen im Libanon und den gesamten Nahen Osten.
Ein Exodus ohne Wiederkehr?
Der Exodus der Christen aus Syrien hat sich seit Beginn des Bürgerkriegs dramatisch beschleunigt. Die Abwanderung aus Idlib ist dabei nur ein Beispiel für einen umfassenderen Trend, der sich auch in anderen Teilen des Landes zeigt. In Städten wie Aleppo, einst ein Zentrum der orientalischen Christenheit, schrumpfen die Gemeinden zusehends. Bischof Jallouf warnt davor, dass die jahrhundertealte christliche Präsenz in der Region bald Geschichte sein könnte. „Es ist möglich, dass es in einigen Jahren keine christlichen Gemeinden mehr geben wird, die ihren Glauben in der Öffentlichkeit praktizieren können", erklärt er.
Das Hilfswerk „Kirche in Not" schätzt, dass in ganz Syrien heute nur noch etwa 300.000 Christen leben, verglichen mit etwa 1,5 Millionen vor Beginn des Krieges. Die Gründe für den Exodus sind vielfältig: Neben der allgemeinen Unsicherheit und Gewalt haben viele Christen keine Perspektiven mehr in einem Land, das von wirtschaftlicher Not und politischer Instabilität geprägt ist.
Hoffnung auf eine friedliche Zukunft
Trotz der düsteren Situation klammert sich Bischof Jallouf an die Hoffnung auf Frieden und ein neues Zusammenleben der Religionen im Nahen Osten. „Ich bete darum, dass Syrien und der ganze Nahe Osten wieder ein Ort der friedlichen Koexistenz werden", sagt er. Doch die aktuellen Umstände stellen die Geduld und den Glauben der verbliebenen Christen auf eine harte Probe.
Die Situation in Idlib spiegelt die Herausforderungen wider, mit denen die Christen im Nahen Osten insgesamt konfrontiert sind. In einem Umfeld, das von religiösem Extremismus und politischer Instabilität geprägt ist, kämpfen die Gläubigen um ihr Überleben. Die Geschichte der Christen in Syrien ist eine von Verfolgung, Flucht und Hoffnung – eine Geschichte, die in den kommenden Jahren entscheiden wird, ob die christliche Präsenz in der Region fortbestehen kann oder nicht.
Die Rückkehr zu einem friedlichen und toleranten Zusammenleben im Nahen Osten bleibt ungewiss. Doch für Bischof Jallouf und die wenigen verbliebenen Christen in Idlib ist es eine Hoffnung, die sie nicht aufgeben wollen. „Wir werden weiter beten und uns bemühen, unseren Glauben trotz aller Widrigkeiten lebendig zu halten“, betont er. Die Zukunft der Christen in Syrien bleibt unsicher, aber die Hoffnung auf eine bessere Zeit stirbt zuletzt.
(pm - mg)
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