Japan-Ghana und zurück: Gespräch mit dem künftigen Kardinal von Tokio

Jahrgang 1958, Steyler Missionar, Erzbischof von Tokio, Vorsitzender der japanischen Bischofskonferenz, Präsident von Caritas Internationalis: Das ist Tarcisio Isao Kikuchi.

Der Japaner ist einer der 21 Kirchenleute, die der Papst Anfang Dezember zu Kardinälen erheben wird. Dabei gehört er schon seit geraumer Zeit als Leiter des weltweiten Caritasverbands zu Franziskus‘ Beratern, wie Kikuchi im Interview mit Radio Vatikan verriet. Im Mai 2023 war er von den 400 versammelten Caritas-Mitgliedern für eine Amtszeit von vier Jahren zum Präsidenten des weltweiten Verbands gewählt worden. 

„Ich habe den Heiligen Vater schon einige Male getroffen. Natürlich spreche ich kein Italienisch. Ich spreche auch kein Spanisch. Deshalb bringe ich immer jemanden von der Caritas mit, der für mich übersetzt. Aber ich habe ihm bereits Bericht erstattet, also werde ich so weitermachen wie bisher…“

Kikuchi mit dem Papst
Kikuchi mit dem Papst

„Komplizierte Spiritualität“

Der künftige Kardinal hat, wie er es selbst formuliert, eine „komplizierte Spiritualität“, in der sich westliche und östliche Elemente mischen.

„Ich wurde als Sohn eines Katecheten im nördlichen Teil Japans geboren und lebte in der Pfarrei. Ich wohnte beim Pfarrer der Gemeinde, der ein Schweizer Missionar war. Er war derjenige, der mich aufzog. Er hat mir beigebracht, wie man betet und wie man Messdiener wird. Schon als kleiner Junge wollte ich Missionar werden.“

Radio Vatikan: Ein Interview mit Erzbischof Kikuchi von Tokio, einem künftigen Kardinal

Beziehungen zu Schweiz und Deutschland

Aber nicht nur zur Schweiz hat Kikuchi deswegen eine innere Beziehung, sondern auch zu Deutschland. Denn in seiner Nachbarpräfektur wirkten Steyler Missionare. In ihr sogenanntes Kleines Seminar trat Kikuchi ein; er sei dort, sagt er, „als Missionar erzogen“ worden. „Daher basiert meine Spiritualität, mein Glaube, wirklich auf dieser Begegnung mit einem ausländischen Missionar. Als ich Priester wurde, wollte ich deshalb unbedingt Missionar werden, und so ging ich nach Afrika.“

Das war 1986; gleich nach seiner Weihe packte Kikuchi die Koffer und nahm einen Flug nach Ghana. Fast ein Jahrzehnt verbrachte er dort als Missionar – die Erfüllung seines Kindheitstraums.

Auf einer Missionsstation ohne Wasser und Strom

„Ich wurde in eine Missionsstation geschickt, wo es keinen Strom und kein Wasser gab, aber die Menschen waren trotzdem sehr glücklich. Dort traf ich so viele glückliche Menschen, obwohl es so viele Schwierigkeiten gibt. Ich habe mich darum gefragt, warum die Menschen dort so glücklich sind. Krankheit, Armut, alle Arten von Schwierigkeiten, aber die Menschen sind glücklich. Dann habe ich herausgefunden, warum. Sie sagten, dass sie glücklich sind, weil sie wissen, dass, wenn es Schwierigkeiten gibt, jemand kommen wird, um ihnen zu helfen. Du wirst nie verlassen werden. Du wirst nie vergessen werden.“

Diese Erfahrung hat ihn, wie er berichtet, zutiefst geprägt. Für seine tatsächlich etwas komplexe Spiritualität bedeutete sie einen neuen Baustein. „Von da an – seit ich, seit vielen Jahren schon, für die Caritas arbeite – ist das mein Hauptkonzept, wenn ich andere unterstütze: Ich vergesse dich nicht! Ich werde dich nicht vergessen. Ich werde dich immer unterstützen.“

Straßenszene in Tokio
Straßenszene in Tokio

Schwerpunkt in der Weltkirche verlagert sich

Und noch etwas hat Kikuchi aus seiner Zeit in Ghana mitgenommen: die Überzeugung, dass sich das Zentrum der Kirche vom Westen in den so genannten globalen Süden verlagert hat. Bei der derzeitigen Vollversammlung der Weltsynode im Vatikan ist diese Schwerpunktverlagerung eines der immer wiederkehrenden Leitmotive.

„Asien ist eine Kirche des globalen Südens. Weil die Kirche in Asien jetzt so viele Berufungen hervorbringt, wachsen die Kirchen, und die Spiritualität vertieft sich. Deshalb ist es jetzt unsere Pflicht, einen Beitrag zur Weltkirche zu leisten. Jetzt ist es an der Zeit, dass Asien seinen Beitrag zur Mission der Kirche leistet.“

2004 machte Johannes Paul II. ihn zum Bischof des japanischen Bistums Niigata, 2017 holte ihn Franziskus als Erzbischof in die Hauptstadt Tokio. Im Vatikan gehört Kikuchi zu den Mitgliedern im Evangelisierungs-Dikasterium, dessen Präfekt der Papst selbst ist.

Auf der Synode
Auf der Synode

Kein Mann der synodalen Lyrik

Kennzeichnend für Kikuchi ist eine gewisse Nüchternheit. Synodale Lyrik, wie viele Kirchenleute sie derzeit anstimmen, wird man von ihm nicht hören. Etwa, wenn es um das Gebet für Frieden geht, zu dem der Papst in diesen Tagen und Wochen besonders aufruft.

„Heutzutage ist es sehr schwierig, über den Frieden zu sprechen. Die Menschen sind, vor allem nach der Covid-Pandemie, sehr egozentrisch geworden und denken nur an sich selbst. Von Japan ist der Nahe Osten oder das Heilige Land weit entfernt. Folglich ist es für die Menschen sehr schwierig zu verstehen, dass das wirklich unser Problem ist.“

Die Migranten ordentlich integrieren

Die Kirche dürfe da eben nicht lockerlassen und müsse immer wieder darauf hinweisen, dass die Menschen alle „als eine einzige Familie auf demselben Planeten leben“, sagt der künftige Kardinal. „Das ist der Grundgedanke. Ich denke, die Kirche muss weiterhin mit den Menschen über die Tatsache sprechen, dass wir als eine Familie leben.“

Als eines der wichtigsten „Probleme“, das die Weltkirche derzeit anzugehen hat, identifiziert Kikuchi Migration und Flucht. Er tut dies auch von einer dezidiert japanischen Warte aus.

„In Japan oder Korea ist es so, dass die Gesellschaft altert und wir nicht viele Kinder haben. Die Geburtenrate ist rückläufig. Um die Gesellschaft zu stützen oder zu erhalten, ist der Zustrom von Migranten unumgänglich. Aber natürlich gibt es eine Tendenz, dass man diese Migranten nicht in die Gesellschaft integrieren will. Es gibt immer eine Art harsche Meinung gegen die Migranten. Dabei können wir ohne Migranten nicht überleben. Es ist also ein Widerspruch.“

Man solle sich die Frage nicht leichtmachen, wie man mit Migranten umgehe und wie man sie in die Gesellschaft integrieren könne. „Für die katholische Kirche ist das ein wichtiges Thema, denn viele von ihnen sind Katholiken beziehungsweise Christen. Wenn man heutzutage in die Pfarreien in Japan geht, sieht man viele, viele katholische Migranten. Angesichts dessen ist die Integration dieser Migranten in die Gesellschaft das Hauptproblem, das wir wirklich angehen müssen.“

(vatican news – sk)
 

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10. Oktober 2024, 10:34