Serbien: „Kirche in Europa muss zurück zum Geist des Dienens“, sagt neuer Kardinal
Frage: Erzbischof Nemet, Papst Franziskus wird Sie am 7. Dezember ins Kardinalskollegium aufnehmen. Und er hat Ihnen wie auch den anderen 20 neuen Kardinälen einen Brief geschrieben, in dem unter anderem steht, er bete dafür, dass das Wort „Diener", also Diakon, das Wort „Eminenz" – die korrekte Ansprache für Kardinäle – langsam überschreiben möge. Was bedeutet das für Sie?
Ladislav Nemet: Dass ich mehr den Akzent auf den Diener legen und ganz einfach weiterhin Mensch bleiben soll. Natürlich, die erste Ebene ist die mit dem Heiligen Vater. Es bedeutet, ihm zu dienen. Und dann natürlich auch meiner Lokalkirche. Das ist eine größere Freude. Mit dem Papst zu arbeiten, ist eine Ehre. Aber die Freude ist bei den Menschen! Für mich war es immer irrsinnig wichtig, mit Menschen zusammen zu sein. Deswegen wollte ich auch Priester werden und Missionar. Ganz einfach, um die Botschaft Christi weiterzugeben.
Frage: Dass Sie überrascht waren von dieser Ankündigung der Ernennung ins Kardinalat, davon gehen wir aus…
Ladislav Nemet: Ja, das ist wahr…
Frage: …denn die neuen Kardinäle von Papst Franziskus werden fast alle überrascht von ihrer Ernennung. Das ist doch tatsächlich etwas Besonderes: Ihre Ortskirche ist eine sehr kleine. Was treibt Ihre Gläubigen um?
Ladislav Nemet: Zurück zu dieser Überraschung. Ich glaube, dass Papst Franziskus so eine Atmosphäre in der Kirche geschaffen hat, dass niemand sicher ist, dass er zum Kardinal ernannt wird. Früher war es so: Kardinalsitze waren klar definiert, diese Stadt und jene Stadt. Aber heute ist es total anders. Früher war es auch Tradition, dass der neue Kardinal (vorher) angerufen wurde. Heute geschieht das nicht. Ich habe von meiner Ernennung gehört, weil meine Freunde mich angerufen haben. Meine lokale Kirche in Belgrad ist sehr froh, die meisten Menschen natürlich. Für Serbien war es auch ein positiver Schock. Der Präsident, der Premier, der (serbisch-orthodoxe) Patriarch und viele andere Freunde, auch außerhalb der Kirche in Serbien, haben mir gratuliert. Was die verschiedenen Interpretationen (der Ernennung) anlangt, das läuft auf Hochtouren in Serbien, Ungarn, Kroatien. Aber das interessiert mich nicht (lacht).
Frage: Diese 20.000 Gläubigen, die Sie im Erzbistum haben – wie würden Sie denn Ihre Kirche beschreiben? Was sind die Anliegen, die Sie als Erzbischof von Belgrad bei der Synode, an der sie teilnehmen, in die Weltkirche einbringen?
Ladislav Nemet: Die Erfahrung, klein zu sein und doch in einer Weltkirche zu leben, das ist sehr wichtig. Die Angst, dass wir verschwinden, ist stark. Es ist wichtig, mit meinen Gläubigen zu reden und das anzusprechen. Es geht nicht darum, dass wir verschwinden, denn Katholiken werden schon auch bleiben. Aber wenn die Zahl höher ist, fühlt man sich sicherer! Ich möchte aber das folgende Thema wachhalten: Es geht nicht um die Zahl, sondern die Qualität unserer Gemeinschaften. Und hier muss ich sagen, dass die Erzdiözese Belgrad als Gemeinschaftskirche viel stärker ausgeprägt ist als meine frühere Diözese Zrenjanin. Dort habe ich 16 Jahre gearbeitet habe, und gab es viele Gemeinden. Hier in Belgrad habe ich nur fünf Gemeinden und zwölf außerhalb der Hauptstadt, und alle sind viel besser miteinander vernetzt. Wenn etwas passiert, sind in einer halben Stunde alle informiert. Ein weiteres Element: Die meisten Katholiken in Belgrad gehören zu einer akademischen Schicht. Es sind Menschen, die nach Serbien für eine bestimmte Arbeit gekommen sind. In meiner früheren Diözese hatte ich alle möglichen Berufe, viele Bauern, aber hier in der Erzdiözese Belgrad leben viele Akademiker, die oft nicht auf dem Land arbeiten. In Belgrad gibt es mehr Industrie und Technologie.
Frage: Sie sprachen von der „Angst, zu verschwinden“. Meinen Sie damit, Ihre akademisch geprägte Gemeinde neigt mehr zur Säkularisierung? Ist der Glaube dort nicht mehr so wichtig?
Ladislav Nemet: Nein, mit akademisch meine ich, dass sie offen für verschiedene Themen sind und man mehr darüber diskutieren kann. Es gibt einen Dialog zwischen den Menschen. Sie respektieren den Priester oder mich als Erzbischof, aber sie sind viel kritischer und haben den Mut, Fragen zu stellen, was in unseren Kreisen nicht immer der Fall ist. Ein anderes Thema ist, warum wir kleiner werden. Zwischen den beiden Weltkriegen hatte die Erzdiözese mehr als 90.000 Katholiken. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele Kroaten und Ausländer weggegangen, die bei uns gearbeitet haben – Franzosen, Polen usw., weil sie Katholiken waren, und im Kommunismus war es nicht einfach, in Serbien als Katholik zu bleiben. Nach dem Zerfall Jugoslawiens kam es zu einem Exodus, viele Kroaten und Ungarn sind weggegangen. Und jetzt gehen alle, die eine Doppelstaatsbürgerschaft haben, die Polen, Slowaken, Tschechen, weil sie ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglichen möchten.
Frage: Ihre Gläubigen haben aufgrund ihrer Bildung den Mut, Fragen zu stellen in der katholischen Kirche. Was wollen die denn wissen? Wo sind ihre Kritikpunkte?
Ladislav Nemet: Eines muss ich gleich sagen: Die Rolle und Stellung der Frau in der Kirche ist keine Frage bei uns. Das kommt in der Erzdiözese nicht vor, was sehr interessant ist. Es liegt wahrscheinlich daran, dass wir in einer orthodoxen Welt leben. In der orthodoxen Kirche ist das kein Thema, und deswegen betrifft es auch uns nicht. Es geht mehr um Einheit (mit den Orthodoxen), um Transparenz und um Präsenz bei den Menschen. Die Priester in den kleinen Pfarreien außerhalb Belgrads sind während der Woche fast unbeschäftigt, sie müssen kein Büro führen, sie leben dort, aber sie sind pastoral nicht so aktiv. Die Frage ist oft: Wie können wir präsenter sein, nicht nur am Wochenende? Am Wochenende ist es okay, wir kommen zusammen, und was mir besonders gefällt, ist, dass wir nach der Messe zusammenbleiben. Die Menschen kommen, bringen etwas mit, es gibt Kaffee und Kuchen. Es wird gefeiert, nicht nur die Messe, sondern auch die Gemeinschaft.
Frage: Sie haben erwähnt, dass der serbisch-orthodoxe Patriarch Porfirije einer der ersten war, der Ihnen gratuliert hat. Wie ist der Stand der Ökumene in Serbien?
Ladislav Nemet: Seit ich 2008 in Serbien Bischof bin, vermeide ich das Wort „Ökumene". Es ist historisch belastet. Ich spreche lieber von Einheit und Zusammenarbeit. Ökumene ist ein Begriff, den nicht einmal die russisch-orthodoxe Kirche verwendet. Es ist Dialog. Es geht um die Einheit. Ich freue mich sehr, dass Papst Franziskus jüngst beim ökumenischen Gebet nicht über Ökumene gesprochen hat, sondern davon, dass man gemeinsam auf ein Ziel zu geht. Beschrieben hat er das Ziel nicht, aber wir haben ein Ziel, das ist die Einheit, und wir wissen, wie die aussehen wird: Ökumene bedeutet ein Haus. In einem Haus hast du immer Probleme, wer kriegt dieses Zimmer und wer das andere, aber einfach zu sagen: Es geht um die Einheit, und es ist wichtig, dass wir einander menschlich annehmen. In Serbien ist das sehr wichtig, wir leben in einem Milieu, in dem Gastfreundschaft das Gebot Nummer eins ist. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig besuchen und an Feierlichkeiten teilnehmen, auch wenn wir nicht gemeinsam beten. Aber unsere Anwesenheit ist immer sichtbar. Der Patriarch ist immer in der ersten Reihe bei unseren Veranstaltungen, und ich bin bei seinen in der ersten Reihe. Das ist eine Form der Anerkennung.
Frage: Hat sich seit 2008 am Stand der Einheit etwas verbessert?
Ladislav Nemet: Sicherlich. Das Alltagsleben funktioniert gut, es gibt viele gemischte Familien. Das Problem liegt oft auf der Ebene der Bischöfe, da nicht jeder Bischof froh über die Idee der Einheit ist. Wir Katholiken werden oft immer noch als Häretiker betrachtet. Aber seit 2008 sind 16 Jahre vergangen. Der Herrgott hat eine bestimmte Zeit für jeden von uns bestimmt, dann treten sie ab und andere kommen, die vielleicht offener für die Frage sind. Und das spüre ich jetzt: Viele neuen Gesichter sind bei uns in der katholischen und auch in der orthodoxen Kirche, und wir haben nun eine glückliche Zeit mit einem neuen Patriarchen, der sehr offen ist. Er hat zehn Jahre in Zagreb und Ljubljana gelebt und weiß, was es bedeutet, in der Minderheit zu sein.
Frage: Sie sind der erste Bischof in Serbien, der in den Kardinalstand erhoben wird. Sie gehören dem Orden der Steyler Missionare an, sind ungarischer Muttersprache, aber serbischer Erzbischof von Belgrad. Sogar Ihr Name hat verschiedene Aussprachen und Schreibweisen. Sie sind quasi in sich interkulturell. Inwiefern könnte das ein Vorbild für die Realitäten der katholischen Kirche in Europa sein?
Ladislav Nemet: Ja, ich bin in einer Region geboren, die mehrsprachig und multikulturell ist. Mutter und Vater haben immer gesagt, in meiner Heimat hat man drei Sprachen gesprochen: Serbisch, Ungarisch und Deutsch. Was Europa betrifft: Ich denke, es ist heute eine gute Zeit, sich den Realitäten der Migration zu öffnen, ich meine weniger Flüchtlingsmigration, sondern Arbeitsmigration. Wenn sie die Augen öffnen für diese Realitäten und den Menschen die Chance geben, sich nicht gleich hundertprozentig integrieren zu müssen, sondern sich zu verbinden mit der Lokalkirche. In Städten wie Wien ist die „Kirche am Hof“ am Sonntag dreimal voll mit Getauften verschiedener Länder, da sind Tausende. Diese Menschen sofort zu integrieren, geht nicht, aber wir müssen mit ihnen gemeinsam vorangehen. Da sind die griechisch-katholischen Ukrainer und so viele andere. Es ist ein großes Potenzial, aber wir müssen sie annehmen. Und noch eine zweite Sache…
Frage: …die wäre?
Ladislav Nemet: Wir müssen menschlicher mit Menschen arbeiten – wir Priester, meine ich. Dass wir offen sind, dass wir nicht mehr darauf pochen, dass jetzt aber keine Bürozeit ist, wenn jemand etwas braucht. Gestern habe ich etwas Schockierendes gehört: von einer Kathedrale, in der nur fünf Mal pro Jahr getauft wird. Da sind die Eltern nach Rom gekommen und haben hier das Kind getauft, am Samstag. Das sind wir Priester, die irrsinnig klerikal geworden sind und nicht für die Menschen da. Genau das bedeutet für mich dienen: Sei da! Was ist das Problem, du wirst sowieso bezahlt (lacht). Arbeite! Das meine ich: Europas Kirche könnte eine breitere, schönere Zukunft haben, wenn wir zu diesem Geist des Dienens zurückkehren.“
Die Fragen stellte Gudrun Sailer.
(vatican news – gs)
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