Syrien: Die Angst vor dem Winter
Das berichtet der syrische melkitische Priester Hanna Ghoneim, der in Wien lebt und mit seinem Hilfswerk „Korbgemeinschaft“ in Syrien aktiv ist. „Die Eskalation des Krieges im Libanon drückt sehr schwer auch auf die Menschen in Syrien“, so Ghoneim.
Für die syrische Bevölkerung sei die prekäre Lage in der unmittelbaren Nachbarschaft der nächste Rückschlag, der die Hoffnungen auf wirtschaftliche Erholung in noch weitere Ferne rücken lasse. „Immer mehr Flüchtlinge kommen in panischer Angst aus dem Libanon. Viele dieser verzweifelten Menschen werden ohne Hilfe von außen nicht überleben“, so Ghoneim, der mehrmals im Jahr in Syrien unterwegs ist.
Wiederholte Vertreibungen
Unter den Flüchtlingen, die aus dem Libanon kommen, seien auch viele syrische Kriegsflüchtlinge, die nun in großer Angst nach Syrien zurück flüchten würden. Die wiederholten Vertreibungen seien für die Betroffenen mehr als traumatisierend und würden in Syrien zudem die Preise für Energie, Lebensmittel und Mieten weiter in die Höhe treiben. Viele der einst verlassenen Häuser und Wohnungen seien immer noch in einem desolaten Zustand. Zum Wiederaufbau fehlten die Mittel.
Die humanitäre Lage in Syrien sei sehr bedrückend: „Zahlreiche Familien leben in furchtbarer Armut. Ihre Kinder sind unter- und mangelernährt. Immer mehr Kinder verlassen die Schule, um zu arbeiten und irgendwie zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen.“
Die Menschen hätten berechtigte Angst vor dem Winter, so Ghoneim: „Es gibt wenig Heizöl auf dem Markt. Jede Familie erhält vom Staat maximal 50 Liter Heizöl für derzeit 5.000 Syrische Lira pro Liter. Das entspricht 30 Cent, wobei der Literpreis vor zwei Wochen noch bei 2.000 Syrischen Lira lag.“ Auf dem Schwarzmarkt koste ein Liter heute mehr als 17.000 Syrische Lira. Ein Haushalt brauche über den Winter mindestens 200 Liter, um in den sanierungsbedürftigen Gebäuden nicht jämmerlich zu frieren. An behagliche Wärme sei ohnehin nicht zu denken.
„Zahlreiche arme Familien konnten auch die Erdbebenschäden vom letzten Jahr nicht reparieren, geschweige denn die massiven immer noch bestehenden Kriegsschäden“, berichtet Ghoneim weiter. Ältere Menschen bräuchten zunehmend Pflege, und die Kosten für Medizin und für Operationen seien stark angestiegen. Auch Hilfswerke würden in der Regel nur einen Teil der Kosten übernehmen. „Die Krebskranken leiden enorm und mit ihnen alle Angehörigen. Oft wird das allerletzte Hab und Gut verkauft, um Medikamente zu finanzieren.“
Ohne Hilfe von außen kein Überleben möglich
Viele Familien wollten ihre Kinder nicht aus den Privatschulen nehmen, „denn das Bildungsniveau in den staatlichen Schulen ist dramatisch zurückgegangen“. Das Schulgeld habe sich im Vergleich zum letzten Jahr aber verdoppelt. „Bei unserem Besuch haben wir gemerkt, dass der Zustand einiger Schulen auf dem Lande nicht mehr zum Unterrichten geeignet ist.“ Die Schulen würden keine Unterstützung mehr für Wartungen und Reparaturen bekommen. „Es gibt auch kaum Heizmaterial für den Winter.“
Viele der Jugendlichen würden den einzigen Ausweg darin sehen, das Land zu verlassen, obwohl die Sicherheitslage vergleichsweise ruhig geworden sei, berichtet Ghoneim. Die Menschen suchten in ihrer Not „alle möglichen Wege, irgendwie zu überleben. In dieser Situation lauern auch Gefahren und Verführungen fragwürdiger und krimineller Art“. Die Armen in Syrien könnten heute ohne Hilfe von außen nicht überleben.
(kap – sk)
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