Bei den Verhandlungen zum Abkommen gegen Plastikmüll in Busan (25.11.-1.12.2024 in Busan/Südkorea) Bei den Verhandlungen zum Abkommen gegen Plastikmüll in Busan (25.11.-1.12.2024 in Busan/Südkorea)  (IISD/ENB - Kiara Worth)

UN-Plastikabkommen vertagt: Chance für historischen Vertrag 2025

Auch wenn sich die UNO-Staaten nach einer Woche intensiver Verhandlungen im südkoreanischen Busan nicht auf einen verbindlichen Vertrag zur Vermeidung von Plastikmüll geeinigt haben, ist nicht alles verloren. Vielmehr bietet die Verlängerung der Diskussionen bis zu einem erneuten Treffen 2025 die Chance, ein „historisches Abkommen“ abzuschließen. Davon zeigt sich die NGO OceanCare, die einen UN-Sonderberaterstatus in Meeresfragen hat und an dem Treffen in Südkorea teilgenommen hat, überzeugt.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Eigentlich war die nun in Südkorea zu Ende gegangene 5. Verhandlungsrunde auch die letzte, an deren Ende das UN-Abkommen zur Vermeidung von Plastikmüll und der Reglementierung für den gesamten Lebenszyklus von Plastik stehen sollte. Dabei handelt es sich um einen rechtlich verbindlichen Vertrag für alle UNO-Staaten, die diesen anschließend ratifizieren – auch deshalb ist es erklärtes Ziel der Verhandlungsführung, diesen einstimmig zu beschließen. Die in der Schweiz ansässige Nichtregierungsorganisation OceanCare ist offizieller Beobachter bei mehreren UN-Konventionen; auch nach Busan hat sie eine Delegation entsandt. Wie Geschäftsführerin Fabienne McLellan im Gespräch mit Radio Vatikan hervorhebt, handele es sich bei dem angestrebten Vertragswerk um „ein sehr griffiges, weil rechtlich verbindliches Instrument“, bei dem viel auf dem Spiel stehe:

„Und deshalb ist das vom Niveau und von den damit gelieferten Instrumenten her – auch innerhalb der UNO - wirklich eine Art Königsklasse und deshalb eben auch sehr, sehr schwierig zu erreichen. Es steht sehr viel auf dem Spiel, und deshalb braucht es da viel Verhandlungsgeschick und eben auch politischen Willen, damit man ein solches Instrument überhaupt erreichen kann.“

Plastik in allen Phasen reduzieren

Während der Beratungen
Während der Beratungen

Schon die Ausgangslage habe sich als herausfordernd dargestellt, sei doch der Vertragsentwurf gespickt mit noch zu diskutierenden Elementen gewesen, während wichtige Vertragsbestandteile wie eine Reglementierung von Fischerei- und Aquakulturgeräten wie beispielsweise Fangnetzen – eine der tödlichsten Formen von Plastikverschmutzung in den Meeren - gar nicht erst im Entwurf aufgetaucht waren. Erschwert wurden die Arbeiten durch eine „offensichtliche Verzögerungstaktik“ einer Handvoll ölfördernder Länder, berichtet McLellan, die bei den Diskussionen anwesend war:

„Die UNO-Umweltversammlung hat das Mandat erteilt, dass dieses Plastikabkommen den ganzen Lebenszyklus betreffen soll, also dass der gesamte Lebenszyklus von Kunststoffen reguliert werden muss. Es geht hier nicht nur um das Management und das Recycling von Plastikmüll, sondern es geht um den gesamten Lebenszyklus beginnend mit der Plastikproduktion.“

Bekanntermaßen besteht Plastik zu 99 Prozent aus fossilen Brennstoffen, also aus Öl und Gas. Aus diesem Grund sei es ein besonders wichtiges Ziel der Verhandlungen, bereits die Neuplastikproduktion signifikant zu verringern, erinnert die OceanCare-Expertin mit Blick auf Statistiken, die hingegen eine Verdreifachung der Plastik-Produktion bis 2060 prognostizieren.

Druck der Ölstaaten

„Und da gehen die Meinungen der UNO-Mitgliedsländer eben sehr stark auseinander, weil gerade die ölproduzierenden Staaten ein vitales Interesse haben, dass es eben nicht zu einer solchen Beschränkung kommt bei der Neuplastikproduktion. Für diese Ölstaaten ist die Plastikindustrie letztlich der Plan B nach dem Pariser Abkommen, bei dem eine Abwendung von fossilen Brennstoffen eingeleitet wurde. Diese Ölstaaten haben nun ein vitales Interesse, eben diese Nachfrage nach Öl und Gas zu konsolidieren, welche für die Plastikproduktion nötig sind. Und das ist der springende Punkt, weshalb es eben auch nicht zu dieser Einigung kam in Busan, weil diese Handvoll von ölfördernden Staaten hier so massiv Druck gemacht haben und sich zwar für das Management von Plastikmüll und Recycling einsetzen wollten, aber eben kein solch ambitioniertes Ziel wie eine Einschränkung der Plastikproduktion mittragen wollten.“

Das Team von OceanCare bei den Beratungen in Busan (Prof. Rebecca Helm, Dr. Ewoud Lauwerier und Fabienne McLellan)
Das Team von OceanCare bei den Beratungen in Busan (Prof. Rebecca Helm, Dr. Ewoud Lauwerier und Fabienne McLellan)

Über die gesamten Verhandlungen hinweg sei es „wirklich evident“ gewesen, dass insbesondere die Staaten, die ein Interesse an der Vermarktung und Verwendung ihrer fossilen Brennstoffe hatten, eine klare „Verzögerungstaktik“ angewandt hatten, so McLellan. Dies dank ihrer langen und redundanten Statements, die letztlich die Zeit dafür geraubt hatten, gegen Ende der Beratungen zu einem konkreten Ergebnis zu kommen. „Die Tatsache, dass diese Staaten so viel gesprochen haben, gab dann irgendwie auch das Gefühl, dass sie großen Rückhalt haben. Aber dem ist nicht so, denn auch wenn man viel spricht, dann heißt das noch nicht, dass das auch die Mehrheit der Staaten sind.“ Genau das Gegenteil habe sich gezeigt, mehr als 100 der 178 vertretenen Länder hätten sich klar für eine Reduktion der Plastikproduktion eingesetzt, so dass man sich nicht von einer „Tyrannei der Minorität“ beeindrucken lassen dürfe, meint Fabienne McLellan:

„Und das Positive, was wir hier wirklich gesehen haben und was ich unterstreichen möchte, ist, dass diese fünfte Verhandlungsrunde zu einer Vereinigung der ambitionierten Länder geführt hat, die in den letzten paar Verhandlungsrunden leider nicht mehr so deutlich sichtbar waren“, betont die OceanCare-Verantwortliche.

Plastikmüll betrifft vor allem arme Menschen
Plastikmüll betrifft vor allem arme Menschen

Die Koalition ambitionierter Mitgliedsländer - ein gewohntes Vorgehen auf UN-Konferenzen – habe sich gerade in dieser Verhandlungsrunde wieder stärker zu Wort gemeldet und mit Pressekonferenzen und anderen Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam gemacht: „Und zwar mit Ländern aus allen Regionen, aus Lateinamerika, aus Afrika, die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer. Das war wirklich eine starke Performance. Sie haben sich hingestellt und gesagt, Nein, es braucht einen ambitionierten Vertrag zur Reduktion der Plastikproduktion, inklusive einer Reduktion der schädlichen Chemikalien, die dabei verwendet werden, ebenso wie dafür nötige Implementierungsmaßnahmen, also die finanziellen Mittel, um das Ganze dann auch umzusetzen.“

Koalition ambitionierter Staaten

Dies habe die laute Minorität deutlich in ihre Schranken gewiesen und auch isoliert – eine viel versprechende Ausgangslage für die abschließenden Verhandlungen, die nun auf 2025 vertagt worden sind. Ein Problem stelle in diesem Zusammenhang die Tatsache dar, dass UNO-Beschlüsse dieser Tragweite einheitlich gefasst werden sollten.

„Aber Konsens bedeutet dann eben schlussendlich auch der kleinste gemeinsame Nenner. Das heißt dann, dass jede Seite so viel aufgeben muss, um zu diesem kleinen gemeinsamen Nenner zu finden. Und da sehen wir bereits das Problem. Das lehren uns auch die Klimaverhandlungen, wo genau dieses gleiche Problem besteht, dass man eben nicht abstimmen kann“, erläutert McLellan das Konsens-Prinzip, das den UNO-Verhandlungen zugrunde liegt. Doch gerade angesichts von offenen Verhinderungstaktikten einiger weniger Staaten sollte es möglich werden, auch verbindliche Mehrheitsentscheidungen zu treffen, so die Forderung der ambitionierten Staaten. Einige Meilensteine wurden jedenfalls schon erreicht, auch wenn eine endgültige Entscheidung noch aussteht. So wurden beispielsweise die zuvor gestrichenen Bestimmungen zur Vermeidung von Verschmutzung durch Fischerei- und Aquakulturgeräte, einschließlich der jahrelang im Meer umhertreibenden verlorenen Geisternetze, wieder in den Vertragsentwurf aufgenommen.

Wichtige Stimme der Kirche

Dass sich Papst Franziskus immer wieder in die Debatte einschalte und auf die Verantwortung für das gemeinsame Haus und die Ärmsten hinweise, sei „sehr wichtig“, bekräftigt McLellan. „Jedes Zeichen ist wichtig und gerade solche Statements, damit es im Bewusstsein der Menschen ankommt und damit eben auch bei diesen Entscheidungsträgern und EntscheidungsträgerInnen. Ein solcher Appell, die Instrumente zu nutzen, die ihnen mittels der Verhandlungen eines solchen Abkommens zur Hand gegeben wurden, ist ganz wichtig.“

Schließlich seien die Appelle des Papstes evidenzbasiert und auf wissenschaftlicher Grundlage formuliert. Insbesondere Plastik – auch das zeigten neueste Studien – stelle mittlerweile ein gravierendes Umweltproblem dar, nicht nur, was die Verschmutzung des Lebensraums von Mensch und Tier betreffen, sondern auch die Gesundheit des Menschen, der mit den Meeresbewohnern auch Mikropartikel von Plastik in seinen Organismus aufnehme. „Und am meisten betroffen sind die Ärmsten der Armen, wirklich bereits vulnerable Bevölkerungsgruppen. Und deshalb geht es hier eben auch ganz stark um Gerechtigkeit und um Fürsorge für jene, die diesen Chemikalien und dieser Plastiklawine ausgesetzt sind. Deshalb ist es wichtig, jetzt ein wirklich greifbares, ambitioniertes Plastikabkommen zu erreichen.“

Zentral sei es nun für das neue Treffen 2025, dass die Lehren aus den gescheiterten Verhandlungen gezogen würden, eventuell sogar eine Mehrheitsentscheidung möglich gemacht werden und auch die Zivilgesellschaft den ihr zustehenden Platz als Beobachter und Begleiter bei den Diskussionen wahrnehmen könne. „Aber ich bin sehr optimistisch wegen dieses Geistes, durch dieses Zusammenstehen von ambitionierten Ländern, von UNO-Mitgliedsländern gemeinsam mit der Zivilbevölkerung, dass man diesen Schritt schafft. Es braucht jetzt noch ein bisschen Zeit, aber ich bin sehr guter Dinge“, zeigt sich McLellan zuversichtlich.

(vatican news)

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02. Dezember 2024, 11:55