Zyklon in Mayotte: „Apokalyptische Lage"
Alexandra Sirgant und Anne Preckel - Vatikanstadt
Am Montag war noch von 20 Toten auf Mayotte die Rede, doch die Zahl könnte nach Behördenangaben auf mehrere Hundert steigen. Rettungskräfte suchen auf der französischen Inselgruppe im Indischen Ozean weiter nach Überlebenden des Zyklons Chido und hoffen, unter den Trümmern Überlebende zu finden. Papst Franziskus hatte von Korsika aus am Sonntag zum Gebet für die Betroffenen aufgerufen.
Marc Bulteau ist Delegierter der katholischen Nothilfe auf dem Archipel. Derzeit sitzt der Caritas-Mitarbeiter auf Anjouan fest, einer komorischen Insel, die etwa 100 Kilometer von Mayotte entfernt liegt. Seit 48 Stunden tauscht er sich ständig mit seinen Teams vor Ort aus. Die französische Caritas hat vor Ort fünf Angestellte und etwa 80 Freiwillige. Sie überlebten, haben aber teils selbst kein Dach mehr über dem Kopf. Im Interview mit Radio Vatikan berichtet Bulteau vor einer „apokalyptischen“ Situation.
Alle ärmlichen Unterkünfte wurden zerstört
„Manche vergleichen die Lage hier mit bombardierten Städten. Wir hatten ungefähr 100.000 Menschen, die in prekären Behausungen, also Slums, lebten. Und alles wurde niedergerissen, es gibt nichts mehr, was noch steht. Das bedeutet, dass es heute mindestens 100.000 Menschen gibt, die obdachlos sind, und ein Großteil von ihnen sind Migranten mit ,irregulärem‘ Aufenthaltsstatus.“
Auf Mayotte leben gut 300.000 Menschen. Viele davon leben in Armut und Gebäuden, die in Leichtbauweise errichtet wurden. Alle ärmlichen Behausungen wurden laut offiziellen Angaben vollständig zerstört. Der Sturm habe aber auch Gebäude, die mit erdbebensicheren Standards gebaut wurden, erschüttert, schildert Bulteau die Wucht des Jahrhundertsturms. So sei etwa der lokale Fernsehsender „La Première“, dessen moderne Gebäude gerade erst eingeweiht wurden, schwer getroffen worden. Auch der Flughafen Mayotte-Dzaoudzi wurde beschädigt, so dass derzeit allein Militärflugzeuge landen könnten, was die Nothilfe erschwert.
Zahl der Toten ungewiss
Die Zahl der Toten könnte nach Behördenangaben noch massiv steigen. Wie viele starben, dürfte auch schwer herauszufinden sein, weil sich Migranten ohne Papiere nicht unbedingt an die Behörden wenden würden, so der Caritas-Helfer. Zudem würden im islamisch geprägten Mayotte Verstorbene traditionell innerhalb von 24 Stunden beerdigt:
„Wir sind also sehr auf Mund-zu-Mund-Propaganda angewiesen, um eine möglichst realitätsnahe Zahl zu erhalten, aber das wird in jedem Fall sehr schwierig werden“, urteilt Bulteau. „Seit diesem Montag können die Rettungskräfte die gesamte Insel erreichen, und es ist wahrscheinlich, dass wir unter den Trümmern die Zahl der Toten und Schwerverletzten entdecken werden. Es sind sehr viele, das Krankenhaus ist derzeit mit Menschen in der Notaufnahme überfüllt. Die Situation ist also wirklich apokalyptisch, mit Wasser- und Stromausfällen und Plünderungen.“
Rettungsarbeit unter widrigsten Umständen
Die Bedingungen der Rettungsarbeit seien aufgrund der Zerstörungen „wirklich kompliziert“, so der „Secours Catholique“- Vertreter weiter. Zudem sei die Personalausstattung im Bereich der öffentlichen Sicherheit auf der Inselgruppe allgemein „unzureichend“. Schiffe bräuchten Tage, um weitere Hilfen auf die Inseln zu bringen. In diesem Kontext leisteten die Einwohner selbst das Möglichste, um Menschen zu retten und humanitäre Hilfe zu leisten. „Wir müssen uns also wirklich auf das Engagement und die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung verlassen, denn wenn wir Leben retten wollen, dann nicht in drei Tagen, sondern jetzt.“
Es mangelt an sauberem Trinkwasser und Lebensmitteln
Sorge bereitet dem Helfer weiter der Zugang zu sauberem Wasser, der Mangel an Lebensmitteln und die Zerstörungen im landwirtschaftlichen Sektor. „Die Vorräte hier sind extrem gering. Die Flugzeuge werden Medikamente und andere wichtige Dinge transportieren, aber wir haben einen enormen Bedarf an Lebensmitteln, die nur mit Schiffen transportiert werden können. Die landwirtschaftliche Produktion wurde auf den Kopf gestellt, die gesamte Nahrungsmittelproduktion, alle Obstbäume sind zusammengebrochen. Es gibt nichts mehr! Es ist eine echte Katastrophe. Ich denke, wir werden ein Jahrzehnt brauchen, um uns von diesem größten Wirbelsturm seit mindestens 1934 zu erholen.“
Fast alle Menschen auf Mayotte gehören dem sunnitischen Islam an. Als die Komoren 1974 für ihre Unabhängigkeit stimmten, entschied sich Mayotte, weiterhin Teil Frankreichs zu bleiben. Gesprochen wird Französisch und Mahorisch, eine Variante des Swahili. Die Gesellschaft hat mit Armut, Arbeitslosigkeit und politischer Instabilität zu kämpfen und ist stark von französischer Finanzhilfe abhängig.
(vatican news – pr)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.