Bischof Glettler: Trösten kann man lernen
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Trost, Trösten und Getröstetsein haben eine seelische und spirituelle wie auch eine gesellschaftliche Ebene, zu diesem Schluss kommen der Bischof und der Mediziner in ihrem als Dialog aufgebautem Buch. Nach dem einleitenden Kapitel über „die Kunst des Tröstens“ kommt eine Bestandsaufnahme mit der Frage „Was macht uns trostlos?“ (Perfektionismus, Ohnmacht, Ungerechtigkeit, unter anderem).
Danach nehmen die beiden Autoren falsche Vertröstungen in den Blick (wie Besitz, Jugendwahn, Selbstmitleid, die Suche nach dem Schuldigen oder „Religion als Wunschkonzert“) und gehen schließlich der Frage nach, „was uns wirklich tröstet“: Genießen und verzichten können, der Mut zur Wahrheit, Vergebung und Versöhnung, für jemanden da sein. „Jenseits des Trostes", so heißt das letzte Kapitel, stehen Glaube, Hoffnung und Liebe.
„Ich glaube, dass man das Trösten lernen kann“, sagt Bischof Glettler in unserem Gespräch. „Das Trösten beginnt beim ganz entschlossenen Zuhören. In dem Sinn, dass man jemanden, der trostbedürftig ist, bei sich ankommen lässt und mit dieser Person die Trostlosigkeit aushält. Dieses Öffnen des Herzens, den inneren Resonanzraum weit machen, ist das Erste auf dem Weg zu einem Trost. Der Trost ist keine Rezeptur, die man verabreicht, oder eine Formel, die dann gilt, sondern der Trost reift im Menschen, der tröstungsbedürftig ist, langsam. Und es braucht jemanden, der mitgeht.“
Das Trösten sei eigentlich einfach, ist der Innsbrucker Bischof überzeugt, man dürfe es „nicht an Professionisten delegieren“ und jeder könne es lernen. „Trösten heißt sich auf jemanden einlassen, sich eher klein machen, um in eine Trostlosigkeit mit jemandem einzutauchen.“ Genau hier liege der Unterschied zwischen Trost und Vertröstung: Trost nimmt die Hilflosigkeit und die Trostlosigkeit ernst - die Vertröstung nicht. „Vertröstung ist ein schnelles Mittel, um eine Situation loszuwerden und sich darüber hinwegzuschwindeln. Trost ermutigt die Wahrheit einer Situation, die Wahrheit des eigenen Lebens anzunehmen. Also ein Plädoyer gegen die Illusion. Insofern ist der, der tröstet, auch herausgefordert, sich auf eine gute gemeinsame Ebene mit dem zu Tröstenden zu begeben. Eben nicht der zu sein, der souverän ein Gebot machen kann, sondern der mitgeht.“
Um andere zu trösten, braucht es Ehrlichkeit – und die am eigenen Leib gemachte Erfahrung mit fehlendem Trost, so Hermann Glettler weiter. „Empathisch kann der sein, der auch etwas durchlitten hat“.
Wichtig war dem Bischof und dem Psychiater bei ihrem Austausch eine gewisse überindividuelle Perspektive beim Trösten und Getröstetsein. Denn nicht erst im Corona-Jahr 2020 haben sich die globalen gesellschaftlichen Herausforderungen zu bedrohlichen Szenarien addiert. Gibt es etwas wie eine globale Trostlosigkeit?, wollen wir von Bischof Glettler wissen.
„Sagen wir, es gibt die vielen Verwundungen unserer Zeit, die man benennen kann mit Migration und Krisenherden auf der Welt, Ungleichheit, die zum Himmel schreit, die Hungerkatastrophe, die ökologische Katastrophe – da könnten wir einiges benennen. Wichtig war uns in diesem Buch, auch ein Verhältnis zu benennen von dem individuellen Trösten und Getröstetwerden zu diesen großen Fragen der Zeit, die man auch als Trostbedürftigkeit benennen kann. Denn wenn es im Trösten nur darum geht, dass der einzelne Mensch wieder eine Harmonie findet, aber der Kontext zur Welt oder zur Gesellschaft negiert wird, dann bekommt das einen Geschmack von Lüge.“
Natürlich ist es wichtig, dass der einzelne Mensch in die Ruhe kommt und durch Ausgeglichenheit und innere Freude zur Bejahung des Lebens: „Denn das heißt Getröstetwerden. Von Ungetrösteten geht sehr viel Aggression aus. Zugleich darf es nicht zu einem Sich-Abschotten werden, Hauptsache mir geht es gut, ich bin in einem Kokon von Wohlbefinden, und die Welt ist mir egal. Wir haben versucht in diesem Buch das immer wieder aufzumachen, dass man zumindest ausschnitthaft das geballte Ungetröstetsein in den Blick nimmt, hinschaut - und eben nicht wegschaut. Trösten ist ein anderes Wort für Nicht-Gleichgültigkeit.“
Glettler nennt die Papstenzyklika „Fratelli tutti“ und die von Franziskus vorgelegte Meditation über den barmherzigen Samariter: „Ich sehe, da liegt jemand am Straßenrand - warum ist er dorthin gelangt? Was passiert da? Und ich gehe nicht vorbei. Trösten ist die verlässliche Anteilnahme im engsten Lebensumfeld, aber auch in diesem größeren Zusammenhang, was unser Leben ausmacht.“
Trost wurzelt im Frieden, den Gott schenkt
Für Gläubige hat Trost eine transzendente Dimension, Trost wurzelt im Frieden, den Gott schenkt. „Jesus hat seine Jünger in diesem extrem verzagten Zustand nach der Hinrichtung überrascht und mit Frieden beschenkt. Das ist die Quelle!", betont der Bischof. „Wenn wir diesen inneren Frieden, diesen inneren Trost nicht haben, dann geht von uns auch kein positiver Impuls aus. Aber getröstete Menschen haben Kraft, Kreativität und auch die nötige Weltsicht und Weitsicht, um positive Prozesse anzustoßen und andere zu ermutigen, in Gemeinschaft zu leben und zu schauen, dass jeder mit seinen Charismen zum Einsatz kommen kann.“
„Trost. Wege aus der Verlorenheit“ von Hermann Glettler und Michael Lehofer ist im Verlag Styria erschienen und kostet 22 Euro.
(vatican news)
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