Österreich: Verfassungsgericht erlaubt Beihilfe zum Suizid
Der Straftatbestand der „Hilfeleistung zum Selbstmord" verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung, argumentierten die Richter in Wien. Ihrer Einschätzung nach widerspricht es der österreichischen Verfassung, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Die Aufhebung des Verbots der Beihilfe zum Selbstmord tritt mit 1. Jänner 2022 in Kraft. Bis dahin muss eine neue gesetzliche Regelung vorliegen.
Dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) zufolge ist es gleich anzusehen, ob ein Patient im Rahmen einer medizinischen Behandlung oder einer Patientenverfügung lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizidwilliger mit Hilfe eines Dritten sein Leben beenden will. In jedem der beiden Fälle sei vielmehr entscheidend, dass der oder die Kranke die jeweilige Entscheidung frei und selbstbestimmt treffe.
Wie VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter bei der Urteilsverkündung betonte, sei sich der Gerichtshof darüber im Klaren, dass soziale und wirtschaftliche Gegebenheiten die freie Selbstbestimmung kranker Menschen beeinflussen könnten. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, durch entsprechende Maßnahmen Missbrauch vorzubeugen, insbesondere die Entscheidung der betroffenen Person unter dem Einfluss Dritter.
Recht auf Selbstbestimmung
Für die Aufhebung des Suizidbeihilfe-Verbots maßgeblich war laut Grabenwarter das aus der Verfassung abgeleitete Recht auf Selbstbestimmung. Dieses umfasse „sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben". Die Entscheidung des Einzelnen, ob und aus welchen Gründen er sein Leben in Würde beenden wolle, hänge von seinen Überzeugungen und Vorstellungen ab und liege in seiner Autonomie. Auch das Recht, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen, gehöre zu dieser Selbstbestimmung.
Bischöfe bestürzt über Sterbehilfe-Urteil
Für die katholische Bischofskonferenz ist das Sterbehilfe-Urteil des Verfassungsgerichtshofes ein Kulturbruch mit dem bisherigen bedingungslosen Schutz des Menschen am Lebensende. „Jeder Mensch in Österreich konnte bisher davon ausgehen, dass sein Leben als bedingungslos wertvoll erachtet wird - bis zu seinem natürlichen Tod“, reagierte der Salzburger Erzbischof Franz Lackner als Vorsitzender der Bischofskonferenz auf die Entscheidung. Diesem Konsens habe das Verfassungsgericht „mit seiner Entscheidung eine wesentliche Grundlage entzogen", sagte Lackner, der das Urteil „mit Bestürzung" aufnahm.
Die „selbstverständliche Solidarität mit Hilfesuchenden in unserer Gesellschaft wird durch dieses Urteil grundlegend verändert", hielt der Erzbischof weiter fest. Wörtlich sprach Lackner von einem „Dammbruch" und warnte davor, dass mit der erlaubten Beihilfe zum Suizid der Druck auf kranke und alte Menschen steigen werde, davon Gebrauch zu machen.
Als einen „schweren Rückschritt“ bezeichnet auch die Wiener Ethikerin Susanne Kummer die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, Suizidbeihilfe zu erlauben. „Dass Menschen mitten in der Pandemie, wo Angststörungen, Depressionen und Suizide stark zunehmen, nun erfahren, dass der Staat gutheißt, wenn andere ihnen bei der Selbsttötung ‚helfen‘, ist alles andere als eine Erleichterung sogenannter Selbstbestimmung“, betont Kummer, Geschäftsführerin des katholischen Ethikinstituts IMABE.
Bundesärztekammer: „Diese Entscheidung ist bedauerlich“
Auch die österreichische Bundesärztekammer brachte Kritik an dem Urteil vor. „Diese Entscheidung ist bedauerlich“, hielt der Präsident der Interessensvertretung, Thomas Szekeres, in einer Aussendung fest. Die Ärztekammer habe sich stets klar gegen aktive Sterbehilfe gestellt. Nun drohten ältere und kranke Menschen vermehrt unter Druck zu geraten, ihre Daseinsberechtigung und ihren Lebenswillen rechtfertigen zu müssen. „Zum anderen ist nicht auszuschließen, dass, wie in Deutschland und der Schweiz, private Unternehmen die Sterbehilfe als Geschäftsmodell entdecken. Die geschäftsorientierte Sterbehilfe ist aus medizin-ethischen Gründen kategorisch abzulehnen“, so Szekeres. Vor allem dürfe keine Ärtzin und kein Arzt „dazu gezwungen werden, gegen ihr oder sein Gewissen zu handeln und zur Tötung eines Menschen beizutragen“.
Die Vorsitzende des Dachverbandes Hospiz Österreich, Waltraut Klasnic, reagierte auf die Aufhebung des Verbots des assistierten Suizids in Österreich durch den Verfassungsgerichtshof ebenfalls mit Bestürzung. Sie forderte als Gegenmaßnahme den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. Als Grundvoraussetzungen dafür nannte Klasnic eine „flächendeckende, wohnortnahe und leistbare Versorgung". So wie Menschen zu Beginn des Lebens von anderen Menschen betreut und begleitet würden, brauche es auch am Lebensende eine bestmögliche Begleitung, mahnte Klasnic.
(kap/pm – gs)
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