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Köln: Erstes Missbrauchsgutachten ist „skandalöse Chronik“

Lange und von Protest begleitet, hat das Erzbistum Köln ein erstes Gutachten zum Thema Missbrauch zurückgehalten. Seit Donnerstag ist die Arbeit der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker auf Anfrage einsehbar. Der Chefredakteur des Kölner Diözesansenders Domradio Ingo Brüggenjürgen konnte das Gutachten querlesen. Sein Eindruck: eine skandalöse Chronik.

Warum Kardinal Rainer Maria Woelki das erste, von ihm beauftragte Gutachten über Monate mit dem Verweis auf angebliche Mängel zurückhielt, ist für Brüggenjürgen nicht nachvollziehbar. Die Erhebung entlaste den Kardinal, methodische Mängel habe er in der Kürze der Zeit keine feststellen können, sagte der Chefredakteur seinem Sender. Brüggenjürgen hatte 90 Minuten Zeit, um das Gutachten mit seinen 510 Seiten zu überfliegen. Das zweite Kölner Missbrauchs-Gutachten aus der Kanzlei Gercke wurde vergangene Woche vorgestellt, es entlastete Kardinal Woelki, beschuldigte aber seine Vorgänger und weitere hochrangige Kleriker.

„Die Verbrechen wurden teilweise nicht aufgeklärt, wurden bis 2010 überhaupt nicht der Staatsanwaltschaft gemeldet.“

Brüggenjürgen: In der Kürze der Zeit konnte ich das feststellen, was wir schon beim Gercke-Gutachten gehört haben. Erschütternd insofern, dass Führungsverantwortliche, namentlich Kardinal Meisner und der Vorgänger Höffner, über Jahrzehnte - muss man ja sagen - versagt haben. Das ist eine skandalöse Chronik. Da sind wirklich viele Dinge passiert, die besser nicht passiert wären. Die Verbrechen wurden teilweise nicht aufgeklärt, wurden bis 2010 überhaupt nicht der Staatsanwaltschaft gemeldet. Ab da auch nur zögerlich, wie es in dem Gutachten heißt. Also doch eine ganze Reihe von Dingen, wo man sich verwundert die Augen reibt und denkt: Mein Gott, das darf doch alles nicht wahr sein.

„Mein Gott, das darf doch alles nicht wahr sein“

DOMRADIO.DE: Welche Unterschiede gibt es zum Gercke-Gutachten?

Brüggenjürgen: Ich habe ja auch versucht herauszufinden, warum man es vielleicht nicht veröffentlichen konnte - weil man als Journalist versucht, solche Punkte ausfindig zu machen. Mir ist das nicht so klar geworden. Bei methodischen, gutachterlichen und persönlichkeitsrechtlichen Dingen bin ich nicht der Experte. Als normaler Journalist, so wie ich dieses Gutachten quergelesen habe, verdient es eine Veröffentlichung. Da waren viele Dinge drin, die sicherlich bei der Aufarbeitung des Missbrauchs hilfreich sind, z.B. dass Frauen viel stärker in kirchlichen Leitungspositionen einbezogen werden müssen, um dieses männerbündnerische Machtgehabe einzugrenzen.

Der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki bei der Vorstellung des zweiten Missbrauchsgutachtens
Der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki bei der Vorstellung des zweiten Missbrauchsgutachtens

DOMRADIO.DE: Aber was hat den Kölner Kardinal an diesem Gutachten gestört?

Brüggenjürgen: Das weiß ich nicht. Das müssen wir den Kardinal fragen. Er hat ja gesagt, er hat selbst bis jetzt noch gar keinen Satz gelesen. Ich würde ihm dann einfach empfehlen, dieses Gutachten zu lesen. Da sind ganz wesentliche Punkte drin, und der Kölner Erzbischof wird auch entlastet. Da steht zum Beispiel drin, dass er anders als seine Vorgänger ein Signal gesetzt hat, indem er mit den Geschädigten - man spricht dort nicht von Opfern, sondern von Geschädigten - wirklich gesprochen hat, wenn die das gewünscht haben.

„Und er hat immer gesagt, dass da nichts dran sei. Bei uns gibt es das nicht.“

DOMRADIO.DE: Was ist für dich jetzt die größte Erkenntnis nach diesen 90 Minuten Lektüre?

Brüggenjürgen: Ich arbeite ja nun auch schon über 30 Jahre im Bistum. Ich kenne teilweise die Verantwortungsträger. Ich habe eng mit Kardinal Meisner zusammengearbeitet. Der war für mich immer ein bisschen eine Vaterfigur. Das ist schon erschreckend, wenn man das sieht. Und ich habe ihn ja selbst mehrfach, auch als diese Fälle dann Anfang 2000 bis 2010 auftauchten, öfter in Gesprächen gefragt. Und er hat immer gesagt, dass da nichts dran sei. Bei uns gibt es das nicht. Und jetzt kann man sich in den Akten genau vom Gegenteil überzeugen. Das ist nicht so einfach.

Das Gespräch führte Dagmar Peters.

(domradio.de – gs)

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26. März 2021, 11:25