Österreich: Dialogforum zu Sterbehilfe beendet Beratungen
Christine Seuss - Vatikanstadt
Die gesetzliche Neuregelung ist nötig, weil ähnlich wie in Deutschland der österreichische Verfassungsgerichtshof unter Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht im vergangenen Dezember den Straftatbestand der Suizidbeihilfe gekippt hat. Bis Ende des Jahres muss der Gesetzgeber nun ein neues Gesetz vorlegen, damit kein gesetzliches Vakuum entsteht.
„Das Verfassungsgericht geht in seiner Erkenntnis aber selbst davon aus, dass die Beihilfe nur dann straffrei sein soll oder, andersherum formuliert, ihr Verbot verfassungswidrig ist, wenn der Suizidwillige aufgrund eines informierten, aufgeklärten, ernsthaften, dauerhaften und freien Willensentschlusses handelt. Es geht um die Autonomie, die aber gewissen Kriterien genügen muss,“ erläutert Stephanie Merckens.
„Der Gesetzgeber ist jetzt aufgerufen, Regelungen zu veranlassen, die diese Voraussetzungen absichern und das ist natürlich überhaupt nicht leicht. Das Justizministerium hat daher meiner Ansicht nach in sehr großer Verantwortung etwa 30 Experten aus verschiedenen Bereichen zusammengerufen, um genau auszuarbeiten, was eigentlich die wesentlichen Fragen sind, um diese freie und selbstbestimmte Entscheidung abzusichern, und was der Meinungsstand zur Lösung dieser Fragen ist.“
Die Protokolle, die die Frucht dieser Beratungen darstellen, sollten anschließend der Ministerin und der Regierung vorgelegt werden und somit als Basis für die politische Meinungsbildung und die darauffolgende Ausarbeitung des Gesetzesentwurfes dienen, betont Merckens. Die Teilnehmer am Dialogforum seien sich zumindest alle darüber einig, dass bezüglich des Ausbaus der Palliativ- und Hospizversorgung noch „großer Bedarf“ bestehe:
„Also, da kann man sagen, dass man eigentlich noch auf halbem Weg stecken geblieben ist und zwar sowohl im stationären als auch im mobilen Bereich, aber es geht auch um eine Querschnittsmaterie. Das heißt, dass es ein Basiswissen über palliativmedizinische Kenntnisse bei jedem Mediziner geben sollte, auch bei niedergelassenen Ärzten. Das ist auch innerhalb der universitären Ausbildung noch viel stärker einzubeziehen. Palliativmedizin müsste auch als Querschnittsmaterie gelehrt und gelernt werden.“
Einigkeit von Religionsvertretern und Experten
Einigkeit bestehe auch darin, dass Suizidprävention weiterhin ein wichtiges Ziel sei und in diesem Zusammenhang Palliativ- und Hospizversorgung eine wesentliche Säule darstellten. Doch darüber hinaus brauche es auch den Ausbau der psychosozialen Betreuung in Krisensituationen.
„In einigen Bereichen braucht es eine viel deutlichere finanzielle Absicherung bis hin zu einem Rechtsanspruch auf Betreuung“, betont die Expertin. Auch mit den Vertretern der anderen Religionsgemeinschaften bestehe große Übereinstimmung bei den zentralen diskutierten Fragen, berichtet die Entsandte der katholischen Bischofskonferenz von den Beratungen:
„Dass wir eingeladen sind und dass wir ernstgenommen werden, das ist meiner Ansicht nach schon ein sehr begrüßenswerter Umstand. Was aber besonders interessant für mich war, ist, dass wir Religionsvertreter uns sehr einig waren. Ob das nun die evangelische Kirche ist, ob das die Israelitische Kultusgemeinde ist, ob das die Buddhisten sind – da sind wir eigentlich sehr auf einer Linie - mit Blick auf die Bedenken, Ausführungen und Anliegen, wie was abgesichert werden müsste, auch mit allen Praktikern, die mit Menschen zu tun haben, die in Krisensituationen stehen und/oder im Sterben liegen. Da sind wir uns über sehr weite Strecken sehr einig.“
Großer Erfahrungsschatz der Kirche bei Begleitung in Krisensituationen
Klarerweise könne die katholische Kirche niemals einem Gesetz zustimmen, das die Beihilfe zu Suizid erlaubt, räumt Stephanie Merckens ein. Aber der große Erfahrungsschatz der Kirche in der Begleitung von Menschen in Krisensituationen und von sterbenden Menschen werde durchaus wahrgenommen und als Ressource erkannt.
„Und von daher sehen wir es auch als unsere Verantwortung, uns in diesen demokratiepolitischen Prozess einzubringen. Allen Beteiligten ist klar, dass es im Wesentlichen um Autonomie und den freien Willen geht. Es ist ja sowohl aus theologischer als auch aus verfassungsrechtlicher Sicht klar, dass es den freien Willen geben und dass dieser abgesichert werden muss. Aber die große Frage ist eben, wann liegt denn so ein freier Wille tatsächlich vor oder geht es bei dem Suizidwunsch nicht viel mehr oder sehr oft um einen Hilferuf nach besserer Begleitung und Betreuung? Und da gilt es eben genau hinzuschauen, welche Regelungen jetzt hier eingesetzt werden, um hier nicht vorschnell eine freie Entscheidung anzunehmen.“
Suizidbeihilfe darf keine ärztliche Leistung sein
Eine zentrale Forderung der Juristin und Expertin für Biopolitik: Es müsse unbedingt vermieden werden, ein „lebenswertes Leben“ nach bestimmten Kriterien zu bewerten. Denn genau vor diesem Risiko befinde man sich just in diesem Moment einmal mehr:
„Ganz klar für uns ist, dass die erste Aufgabe in diesen Fragen für den Staat sein sollte, Suiziden vorzubeugen. Also erste Aufgabe des Staates ist die Suizidprävention und die Begleitung Sterbender. Und von daher sind diese Säulen für die Suizidprävention unter anderem Hospizbetreuung, Palliativversorgung über soziale Begleitung, flächendeckender Ausbau leistbarer Angebote und auch dementsprechende Ausbildung.“
Unbedingt müsse in diesem Zusammenhang auch das Vertrauen in die Gesundheits- und Pflegeberufe abgesichert werden, betont Merckens. Weder Tötung auf Verlangen – die zum Glück derzeit nicht zur Debatte stünde – noch Suizidbeihilfe dürften als ärztliche oder gesundheitliche Leistung anerkannt werden:
„Das ist nicht vereinbar mit dem Berufsbild und mit den Aufgabenstellungen eines ärztlichen Berufes oder eines Gesundheits- oder Pflegeberufes.“ Ähnlich hatte sich angesichts der diesbezüglichen Debatte in Deutschland der erst kürzlich für zwei weitere Jahre in seinem Amt bestätigte Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, geäußert.
Ein weiterer wichtiger Punkt: die Absicherung des freien Willens, von dem man nicht vorschnell ausgehen dürfe – ein schwieriges Terrain.
„Sogar der Verfassungsgerichtshof spricht davon, dass es unzweifelhaft feststehen muss, dass es eine freie und selbstbestimmte Entscheidung ist. Und da gilt es aus der Erfahrung der Psychiatrie, Psychologie, und Psychotherapie ganz genau hinzuschauen und längere Gespräche zu führen. Da darf man wirklich nicht glauben, dass das in 20 Tagen erkannt werden kann. Und zuallerletzt, was besonders wichtig ist, um den Geist der Palliativmedizin und Hospizversorgung aufrechtzuerhalten: Niemand darf zu einer Mitwirkung gedrängt werden, weder indirekt noch direkt und damit meine ich keine Individuen aber auch keine organisatorische Einheit wie ein Träger eines Hospizes oder eines Pflegeheimes oder Krankenhauses.“
An diesem Freitag endeten die Beratungen des Dialogforums, die in Form von sorgfältig aufbereiteten Protokollen den Entscheidungsträgern in der Politik übermittelt werden sollen. Doch auch diejenigen Individuen oder Institutionen, die nicht explizit zu einer Teilnahme an dem Forum eingeladen waren, haben die Möglichkeit dem Justizministerium noch bis zum 5. Mai Stellungnahmen in der Angelegenheit zukommen zu lassen, betont die Expertin. Ob ein Gesetzesentwurf – wie angekündigt – bereits bis zum Sommer vorliegen werde, sei allerdings zweifehlhaft. Fest steht: Ohne ein neues Gesetz würde in Fragen der Suizidbeihilfe ab 1.1.2022 ein rechtliches Vakuum herrschen.
Hintergrund
Bereits vor dem VfGH-Spruch hatten Vertreter von Religionsgemeinschaften, etwa die katholische Bischofskonferenz, vor einem „Dammbruch“ im Fall einer Lockerung der Gesetzeslage gewarnt. Befürchtet wird u.a., dass dadurch Druck auf unheilbar kranke oder pflegebedürftige Menschen sowie auf bestimmte Berufsgruppen entsteht oder Suizidprävention abgeschwächt wird. Man werde ein Gesetz, das Hilfe zum Suizid unterstützt, nie gutheißen, stellte der in der Bischofskonferenz für den Bereich zuständige Innsbrucker Bischof Hermann Glettler klar. Die Kirche beteilige sich dennoch am Dialogforum, da man verhindern wolle, dass es bei einer neuen Gesetzeslage zu Missbrauch kommen könnte.
(vatican news - cs)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.