Äbtissin Drouvé über Synodalität: „Entscheidungen tragfähiger“
Schwester Katharina Drouvé ist seit wenigen Tagen die neue Äbtissin der deutschen Benediktinerinnenabtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen und damit die 41. Nachfolgerin der heiligen Hildegard von Bingen (1098-1179). Gegenüber Radio Vatikan äußerte sich die 61-jährige Benediktinerin zu den Themen Synodalität, Zukunft der Kirche, Berufung und zum Vermächtnis der heiligen Hildegard von Bingen.
Schritte zu einem neuen Miteinander
Radio Vatikan: Was ist Ihr besonderes Anliegen dabei, heute als Nachfolgerin der heiligen Hildegard von Bingen zu wirken?
Äbtissin Drouvé: Es ist für unsere Gemeinschaft und für mich ein Anliegen und eine große Herausforderung, das Vermächtnis der heiligen Hildegard zu pflegen und zu bewahren und aus ihm heraus die Gegenwart und die Zukunft zu gestalten. Hildegard war eine prophetische Gestalt und hat durch 900 Jahre hindurch unzählige Menschen inspiriert. Das gilt es fruchtbar zu machen für unsere Zeit.
Radio Vatikan: Papst Franziskus möchte im weltweiten Synodalen Prozess ein neues kirchliches Miteinander einüben. Wie nehmen Sie dieses Projekt wahr? Das Ordensleben hat ja eine lange Geschichte der Synodalität, und auch Hildegard von Bingen hat Synodalität, so könnte man sagen, gefördert?
Äbtissin Drouvé: Ich halte den weltweiten Synodalen Prozess und auch den Synodalen Weg in Deutschland für wichtige Schritte hin zu einem neuen Miteinander in unserer Kirche und sehe darin eine große Chance für eine Erneuerung und geistliche Rückbesinnung auf den Kern der Botschaft Jesu. Sie haben recht: Synodale Elemente gehören in unseren benediktinischen Klöstern von Beginn an dazu. Wir können von der Erfahrung berichten, dass Entscheidungen, denen eine synodale Beratungen vorausgeht, tragfähiger sind. Alle sind einbezogen und jede Meinung wird gehört. Da die heilige Hildegard Benediktinerin war und nach derselben Benediktsregel gelebt hat wie wir heute, dürfte sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben, auch wenn natürlich vor 900 Jahren die Leitungsämter ganz anders wahrgenommen und ausgeübt wurden als heute. Das kann man schwer vergleichen.
Veränderungen bringen Ängste mit sich
Radio Vatikan: Was Synodalität in Deutschland betrifft, hat der Papst einige Bedenken, etwa, dass der Prozess nicht genug vom Volk Gottes ausgeht.
Äbtissin Drouvé: Das kann ich schwer beurteilen. Soweit ich es sehe, sind hierzulande Frauen und Männer, Bischöfe, Priester und Ordensleute, Junge und Alte, Theologinnen, Theologen, Nicht-Theologinnen und Nicht-Theologen gemeinsam auf dem Weg. Sie alle eint im Blick auf die großen Krisen und den Vertrauensverlust durch sexuellen und geistlichen Missbrauch der letzten Jahre die Sorge um die Zukunft von Glaube und Kirche. Das sind schwierige Prozesse, weil Veränderungen immer mit Ängsten und Emotionen besetzt sind. Ich würde mir wünschen, dass man gut miteinander kommuniziert und gemeinsam nach Wegen sucht.
Radio Vatikan: Hildegard von Bingen ist die erste Kirchenlehrerin deutscher Sprache (amtlich erhoben von Benedikt XVI. am 7.10.2012) und war eine „Meisterin der Theologie“, wie der damalige deutsche Papst hervorhob. Aber sie wurde ja recht spät erst als Theologin entdeckt und gewürdigt. Warum eigentlich?
Äbtissin Drouvé: Ich denke, das hat mehrere Gründe. Zum einen waren die Schriften der heiligen Hildegard lange Zeit nur teilweise zugänglich. Erst 2011 war die Edition aller Werke und auch deren Übersetzung ins Deutsche abgeschlossen. In unserer Abtei gab es in allen Generationen Mitschwestern, die sich mit Hildegards Leben und Werk wissenschaftlich befasst haben. Aber in der breiten Öffentlichkeit wurde sie lange vor allem als Heil- und Naturkundige und als Komponistin wahrgenommen. Der verstorbene Papst em. Benedikt XVI. war ein großer Kenner Hildegards und wusste, dass sie eine universalgelehrte Theologin von zeitloser Aktualität war. So liefen wir bei ihm auch offene Türen ein, als wir Ende 2010 um die Kanonisation Hildegards und ihre Erhebung zur Kirchenlehrerin baten.
Der eigenen Berufung folgen
Radio Vatikan: Was möchten Sie jungen Ordensfrauen und allgemein den Frauen sagen und mitgeben, die sich in der katholischen Kirche heute engagieren?
Äbtissin Drouvé: Zunächst einmal, dass es sich immer lohnt, ganz auf die Karte Gottes zu setzen. Dass es sich lohnt, der eigenen Berufung zu folgen. Dass es sich lohnt, ein klösterliches Leben der Gottsuche in Gemeinschaft zu wagen. Dass es sich lohnt, sich mit aller Kraft für eine Erneuerung der Kirche einzusetzen. Und dass es dabei ganz wichtig ist, auf die Kraft des Heiligen Geistes und das Gebet zu vertrauen.
Die Fragen stellte Anne Preckel. Das Interview wurde auf Wunsch von Äbtissin Drouvé schriftlich geführt.
In der Nachfolge der heiligen Hildegard
Die Neuwahl einer Äbtissin durch den Konvent der Abtei war notwendig geworden, weil die bisherige Amtsinhaberin Dorothea Flandera die Altersgrenze von 70 Jahren erreicht hatte und ihr Amt zur Verfügung gestellt hatte. Drouve war bisher Priorin (Vorsteherin) des Klosters, ihre Wahl erfolgte am 24. Januar 2023.
Das Kloster St. Hildegard steht in der Nachfolge des 1150 von Hildegard von Bingen gegründeten Klosters Rupertsberg. Die Ur-Anlage an der Nahe-Mündung in Bingen wurde im Dreißigjährigen Krieg 1632 zerstört und nicht wieder aufgebaut. Die Abtei in Rüdesheim entstand ab 1904.
CD zum Werk der Kirchenlehrerin
Hildegard von Bingen ist eine von vier Kirchenlehrerinnen der katholischen Kirche und gilt als eine der bedeutendsten Mystikerinnen des christlichen Mittelalters. Das Werk der rheinischen Prophetin hat eine zeitlose Kraft. Radio Vatikan hat Hildegard von Bingen als Theologin in einer Sendereihe beleuchtet, die Sie kostenlos bestellen können (wir freuen uns lediglich über eine Spende als Unkostenbeitrag). Schreiben Sie dafür an cd@radiovatikan.de
(vatican news – pr)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.