Christen und Juden: „Dialog ohne Vereinnahmung“
Das war der Tenor beim „Tag des Lernens“, zu dem der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit am Montag in die Israelitische Kultusgemeinde in Wien geladen hatte. Die evangelische Theologin Susanne Heine nahm dabei zum Dialog aus christlicher Sicht Stellung, Rabbiner Arie Folger vertrat die jüdische Seite.
Zwischen Judentum und Christentum gebe es unüberbrückbare theologische Differenzen, betonte Folger. So wie Christen keine Änderungen der jüdischen Lehre einfordern sollten, sei es auch umgekehrt. Eine Ausnahme sah Folger allerdings, wenn es darum geht, gegen religiöse antisemitische Elemente in der christlichen Lehre aufzutreten. Das gelte grundsätzlich auch umgekehrt, wenn es um Gewalt von Juden gegen Christen geht, so Folger in Anspielung auf aktuelle Vorkommnisse in Israel.
Gegen einen theologischen „Einheitsbrei“
Folger äußerte sich auch kritisch zu interreligiösen Gebeten. Jedenfalls verwehre er sich gegen einen theologischen „Einheitsbrei“. Eine Brücke zwischen Christen und Juden sah er hingegen beim gemeinsamen Bemühen, „das Gewissen der Gesellschaft zu bilden und zu kultivieren“. Wenn man diese Prinzipien beachte, schaffe dies Raum für Begegnungen, zeigte sich der Rabbiner überzeugt, der mehrmals von einem „Dialog auf Augenhöhe“ und ohne gegenseitige Vereinnahmungen sprach.
Folger stützte sich in seinen Ausführungen vor allem auch auf den US-Rabbiner Joseph Ber Soloveitchik (1903-1993), der diese Prinzipien im Rahmen der Diskussionen um die Erarbeitung der Konzilserklärung Nostra Aetate (1965) öffentlich einbrachte, mit der die katholische Kirche u.a. ihr Verhältnis zum Judentum grundlegend neu bestimmte.
„Zwischen Jerusalem und Rom“
Rabbiner Folger verwies u.a. aber auch ausführlich auf das Dokument „Zwischen Jerusalem und Rom“, das 2016/17 erschien. Dieses Papier ist eine erste offizielle Antwort von jüdischer Seite auf die Erklärung „Nostra Aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). In dem Schreiben würdigen die Vertreter des Judentums das Konzilsdokument über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen und erklären zu den Beziehungen mit der katholischen Kirche: Die Rabbiner wollten partnerschaftlich und solidarisch gemeinsam mit den Christen für Toleranz, für eine positive Einstellung zu anderen Religionen, gegen Hass und für den Frieden eintreten - trotz theologischer Differenzen.
Hinter dem Dokument „Zwischen Jerusalem und Rom“ standen Vertreter der europäischen Rabbinerkonferenz, des Oberrabbinats in Israel und der orthodoxen Rabbiner in den USA. Den Vorsitz der Autorenkommission hatte der damalige Wiener Oberrabbiner Arie Folger inne. Das Dokument wurde im September 2016 auch an Papst Franziskus überreicht. 2017 bekam es Kardinal Christoph Schönborn in Wien in offizieller deutscher Übersetzung überreicht.
Heine sprach in ihren Ausführungen vom „Sumpf des christlichen Antisemitismus“, der bis heute nicht ausgetrocknet sei. Immer wieder würden neue Moskitos herumschwirren und die Menschen mit Antisemitismus infizieren. Heine unternahm einen Streifzug durch die antisemitische Geschichte des Christentums, ausgehend von Bischöfen und Kirchenlehrern der ersten Jahrhunderte - über antisemitische Schriften Martin Luthers bis zum Anderl-von-Rinn-Kult, der trotz eines kirchlichen Verbots immer noch vorhanden sei.
Heine erläuterte auch die wesentlichen Punkte des Dokuments „Zeit zur Umkehr“, das die Generalsynode der Evangelischen Kirche A.u.H.B. in Österreich 1998 verabschiedete. Mit dem Dokument hatten sich die Lutherische und Reformierte Kirche verpflichtet, dem Antisemitismus in jeder Weise zu wehren. Es wurden das eigene schuldbehaftete Erbe benannt und die antisemitischen Schriften Luthers verworfen. Wörtlich heißt es in dem Text u.a.: „Mit Scham stellen wir fest, dass sich unsere Kirchen für das Schicksal der Juden und ungezählter anderer Verfolgter unempfindlich zeigten. Deshalb sind nicht nur einzelne Christinnen und Christen, sondern auch unsere Kirchen am Holocaust, an der Schoah mitschuldig geworden“. Aus diesem Wissen um die eigene Schuld und das eigene Versagen, wüssten sich die evangelischen Kirchen „verpflichtet, jeglichem gesellschaftlichen und persönlichen Antisemitismus zu wehren“. Zudem wendet sich das Dokument gegen jede Form der Judenmission.
Das Gespräch dient „nur“ dazu, sich besser kennenzulernen
Heine räumte ein, dass das Judentum als eigenständige Religion keinen Anlass habe, sich theologisch mit dem Christentum zu befassen, zugleich gebe es aber eine gemeinsame gesellschaftspolitische Verantwortung. Dieser Grundsatz schließe freilich das Gespräch über religiöse Fragen nicht aus. Dieses Gespräch diene allerdings „nur“ dazu, sich besser kennenzulernen und Vorurteile bzw. Stereotypen abzubauen.
Der „Tag des Judentums“ wird seit dem Jahr 2000 begangen. 2019 führte der Koordinierungsausschuss gemeinsam mit Partnern eine Dreiteilung ein; auf einen „Tag des Lernens“, einen „Tag des Gedenkens“ und einen „Tag des Feierns“ (am eigentlichen „Tag des Judentums“ am 17. Januar).
(kap – sk)
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