Betende Muslime in einer indonesischen Moschee Betende Muslime in einer indonesischen Moschee  (ANSA)

D: Mehr liberaler Islam - weniger konservative Verbände?

Auf dem Wunschzettel nicht weniger politischer Akteure steht, dass der liberale Islam in Deutschland und Europa an Bedeutung gewinnen möge. Liberale Musliminnen und Muslime gelten geradezu als Garanten eines friedlichen Zusammenlebens. Konservative Muslime dagegen geraten, vor allem nach dem 7. Oktober, schnell in den Verdacht, Spaltung und Konflikte in die Gesellschaft zu tragen.

Doch was ist das eigentlich: der liberale Islam? Eine Tagung in der Katholischen Akademie Stuttgart beschäftigte sich jetzt mit dem schillernden Begriff.

Von Michael C. Hermann, Stuttgart

Der Begriff ist in aller Munde – doch niemand weiß so ganz genau, was damit gemeint ist. Leyla Jagiella vom Liberal-islamischen Bund scherzt: Sie habe auch schon gehört, der liberale Islam bezeichne die Muslime in der FDP. Sie sagt: „Es ist ein geradezu inflationär gebrauchter Begriff. Der liberale Islam. Mehr liberaler Islam.“ Die Aktivistin, die sich unter anderem für die Rechte von trans- und homosexuellen Muslimen einsetzt, erklärt, dass sich außerhalb des deutschsprachigen Raums der Begriff „liberal“ nicht durchgesetzt habe: „International finden wir, dass ähnliche Organisationen mit ähnlichen Konzeptionen eher von progressiv oder fortschrittlich sprechen oder von inclusive… oder sich gar nicht spezifisch labeln. Dieses ‚liberal‘ kennt man ansonsten kaum im globalen Kontext.“

Zum Nachhören - was Muslime und Juden dazu sagen

„Ein bisschen ein Gschmäckle“

Ein bisschen abgeschaut habe man sich den Begriff bei den liberalen Juden. Aber auch dort ist er nicht unumstritten, erläutert Susanne Jakubowski, eine Vertreterin des liberalen Judentums in Stuttgart: „Wir haben anfangs auch gewisse Anfeindungen gehabt bezüglich dieses Wörtchens, besonders in unserer orthodoxen Community, in der wir uns als eigene Gruppe gegründet haben. Wir sind ausgewichen auf den Begriff egalitär. Das ist das, was für uns wichtig war: Liberal im Sinne von ‚frei für Männern und Frauen‘. Und ‚egalitär‘ sagt es für uns besser, weil es von Gleichberechtigung von Männern und Frauen spricht - im Gottesdienst und in der Ausübung dieser Religion.“

„Wir erleben das sehr oft, dass als Forderung der Mehrheitsgesellschaft an uns herangetragen wird: Ihr müsst aber liberaler sein, ihr seid nicht liberal genug, ihr seid eine Bedrohung für die liberale, offene Gesellschaft“, berichtet Leyla Jagiella. „Das sind ja so Untertöne, die immer wieder transportiert werden. Und das führt leider dazu, dass das Wort ‚liberal‘ unter Muslimen verständlicherweise auch ein bisschen ein Gschmäckle hat.“

Druck durch hohe Erwartungen aus der Politik

Die Erwartungen der Politik an liberale Muslime sind enorm hoch, bestätigt auch der für die Diözese Rottenburg-Stuttgart tätige Islamexperte Hussein Hamdan: „Die liberalen Muslime, die organisiert sind, sind eine überschaubare Gruppe.“ Und er höre häufig: „Ich lebe hier in Deutschland, ich arbeite, ich habe mein Familienleben. Und wenn ich Religion brauche, dann lebe ich sie alleine und möchte nicht, dass mir Druck gemacht wird, dass ich mich irgendwie organisieren muss und dass ich mich zu Dingen äußere, von denen ich vielleicht gar keine große Kenntnis habe, zu denen ich gar nicht so viel sagen kann oder sagen möchte...“

Diesen Druck verspürt auch Annika Mehmeti, die sich ebenfalls im Liberal-islamischen Bund engagiert: „Das stimmt auf jeden Fall. Das wird auch immer verstärkt, dass man auch ein bisschen stilisiert wird: Ihr seid die Muslime, die wir wollen. Und geht es aber vor allem darum, Basisarbeit zu machen; dass wir Angebote für Liberale oder solche, die sich so nennen, machen. In erster Linie geht es um die Religionspflege.“

Verhältnis zu großen Dachverbänden entwickelt sich positiv

Hussein Hamdan, der Islamexperte der katholischen Kirche in Stuttgart, stört sich daran, wie das Attribut „liberal“ von manchen Muslimen genutzt wird, die gar nicht wirklich liberal sind. „Das heißt, dass man in öffentlichen Debatten über Menschen als liberale Muslime spricht, die vielleicht gar nicht so einen liberalen Islam vertreten. Das ist eine Erfahrung, die wir in den letzten Monaten, in letzter Zeit generell machen. Und ich habe das Gefühl, dass das immer wieder auch gerne genutzt wird, um in der öffentlichen Debatte sozusagen ein Gleichgewicht zu den konservativen Verbänden, die man nicht so gerne hat, zu schaffen.“

Das Verhältnis der liberalen Muslime zu den großen Dachverbänden wie DITIB oder VIKZ oder IGMG ist ein schwieriges Thema. Aber es wird besser, berichtet Annika Mehmeti: „Es hat sich doch sehr positiv entwickelt. Dass man eine Akzeptanz, eine Toleranz hat, dass man als Mitgesprächspartner akzeptiert wurde und dass man nebeneinander her muslimisch leben kann.“

(vatican news - mh)
 

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10. Februar 2024, 11:18