Rom/Washington: Anima-Rektor Max bittet neuerlich um Vergebung
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Bischof Hudal versteckte während des Zweiten Weltkriegs in Rom Juden im Priesterkolleg von Santa Maria dell’Anima und rettete sie so vor den nationalsozialistischen Besatzern. Andererseits verhalf er nach dem Krieg bekannten Nazi-Größen über die sogenannte „Rattenlinie“ zur Flucht nach Argentinien. Dokumente über beide Aktionen liegen im Archiv von Santa Maria dell’Anima.
Der heutige Rektor der deutschsprachigen Institution, der so wie Hudal aus Österreich stammende Michael Max, vereinbarte vor drei Jahren eine Zusammenarbeit mit dem Holocaust Memorial Museum in Washington zur Digitalisierung der Bestände: eine Arbeit, die inzwischen abgeschlossen ist. Im Oktober 2023 empfing der Rektor die Delegation der Gedenkstätte bei sich in der „Anima“. Dabei bat er für das zwiespältige Agieren Hudals um Vergebung, was bei den Gästen starke Emotionen auslöste, wie Max in unserem Interview sagte. Sein Gegenbesuch vergangene Woche in Washington habe unter dem Zeichen des Dankes und des inzwischen gewachsenen Vertrauens gestanden.
Abendessen mit herausragenden Gästen
„Was mich etwas überrascht und auch sehr beeindruckt hat, ist auf der einen Seite, wie großartig die Arbeit vom United States Holocaust Memorial Museum ist - und wie groß sie diese Einladung an mich vor Ort aufgezogen haben. Bei diesem Abendessen, das sie zu meinen Ehren gegeben haben, war der ehemalige US-Botschafter bei der EU mit dabei, Stuart E. Eizenstat, der ein leitendes Mitglied im Holocaust Memorial Museum ist; der Apostolische Nuntius in Washington, Kardinal Christophe Pierre, und andere Vertreter aus dem Direktorium aus Washington. Es war ein Essen, wo man einfach sagte: Wir wollen Danke sagen. Wir wollen Ihnen zeigen, wie wichtig das ist, was Sie gemacht haben und dass es nicht selbstverständlich ist, dass eine Zusammenarbeit so gut funktioniert.“
Er selbst habe bei dem Festessen seinerseits gedankt für die Zusammenarbeit, nicht nur auf einer technischen Ebene. Er habe seine Freude darüber bekundet, so Max, „dass eine Freundschaft daraus entstanden ist; dass wir angefangen haben, mit einem gemeinsamen Essen Kultur zu teilen, Zeit zu teilen, Einschätzungen zu teilen; dass wir gelernt haben, einander zu vertrauen, einen Blick auf die Vergangenheit miteinander haben zu können - und nicht unbedingt den gleichen haben zu müssen. Unsere Voraussetzungen, unsere Betroffenheiten sind andere. Und das soll auch so bleiben und unangetastet bleiben. Aber wir trauen uns gegenseitig den Blick miteinander auf die Vergangenheit zu.“
Das habe sich bei dem Abend im Washington exemplarisch gezeigt, weil beide Seiten gleichsam die Position der jeweils anderen eingenommen hätten, so Max weiter. Anatol Steck vom Holocaust Memorial Museum habe erklärt, „wie differenziert die Persönlichkeit Alois Hudals zu sehen ist, dass er auch geflüchteten Kriegsgefangenen der Alliierten geholfen hat, sie in der Anima versteckt hat, dass er dem Aufruf von Pius XII. gefolgt ist, auch jüdische Bevölkerung zu unterstützen, Hilfestellungen zu leisten, mitzuhelfen, dass sie vor Verfolgung und Verschleppung bewahrt bleiben. Das sagt der Vertreter des Holocaust Memorial Museums.“
Hudal entwürdigte Opfer und Überlebende ein zweites Mal
Er selbst habe in Washington noch einmal wiederholt, was er bereits in Rom gesagt habe: „mein Bedauern als Rektor der Anima, mein mich auch dafür entschuldigen, dass Hudal vor allem nach dem Krieg die völlig falschen Schlüsse gezogen hat und falsch gehandelt hat, indem er eben nicht dazu beigetragen hat, dass Gerechtigkeit geschieht, dass Täter benannt werden, dass Untaten auch bestraft werden, sondern er den Verbrechern geholfen hat. Und da gehören die schlimmsten Verbrecher im Holocaust mit dazu.“ Indem Hudal die Nazi-Verbrecher auf der sogenannten „Rattenlinie“ nach Argentinien schleuste, habe er „ein zweites Mal den Opfern und auch den Überlebenden Unrecht getan, sie noch einmal entwürdigt und dazu beigetragen, dass das, was vorher unmenschlich, schlecht und verachtenswert war, nicht aufgearbeitet werden kann.“
Max betonte, wie wichtig das Wachsen gegenseitigen Vertrauens zwischen der christlich-römischen und der jüdisch-amerikanischen Seite sei. Aus seiner Sicht ist hier etwas möglich geworden, das auch beim wechselseitigen Verständnis in Zukunft hilft.
„Vor 20 Jahren hätte man im Holocaust Memorial Museum vielleicht noch gesagt: ,Aber Hudal hat doch den Verbrechern geholfen‘. Und von unserer Seite hätte man gesagt: ,Ja, das hat er. Aber er hat doch auch versucht, Gutes zu tun und wo es ging zu helfen.‘ Dass jetzt die Perspektive genau umgekehrt eingenommen wird und auch so ausgedrückt wird, heißt für mich: Wir haben gelernt, einander zu vertrauen, einen gemeinsamen Blick auf die Vergangenheit zu haben. Warum ist das wichtig? Nicht um die Geschichte Geschichte sein zu lassen. Sondern um gemeinsam in die Zukunft schauen zu können. Weil die Alternative dazu wäre, dass die Schatten aus der Vergangenheit wieder hervorkommen.“
Die nun wiederholte Vergebungsbitte für das Verhalten Bischof Hudals war aus Sicht von Michael Max bedeutsam, weil sie diese Entwicklung ins Rollen brachte.
„Hier in Rom beim ersten Mal waren die Reaktionen sehr überwältigend. Die Leute hatten zum Teil Tränen in den Augen, sind aufgestanden und haben applaudiert. Die Direktorin des Holocaust Memorial Museums in Washington hat ihr Redemanuskript zur Seite gelegt, hat mich in die Arme genommen, hat gesagt, Rektor Max, was Sie getan haben, das hat so noch nie jemand getan. Ich habe das fast nicht glauben können, aber sie hat das so vehement gesagt, dass es wohl so ist. Und das war mit auch ein Grund, warum ich das nicht nur hier in Rom gesagt haben wollte. Ich hatte den ganzen Tag Gelegenheit, mit einer sehr, sehr fachkundigen Führung aus dem Holocaust Memorial Museum mir die Ausstellung anzusehen dort, auch die aktuellen, die laufenden Ausstellungen dort anzusehen. Unter diesem Eindruck war mir völlig klar, das gehört auch in Washington gesagt.“
Die Digitalisierung der Hudal-Bestände an der Anima ist abgeschlossen. Der Rektor wünscht sich intensive Forschung dazu. „Die ist, glaube ich, noch lange nicht abgeschlossen, auch in den verschiedenen Zusammenhängen, die sich auftun dadurch, dass in Washington viele verschiedene Archive nebeneinander zur Verfügung stehen und man nicht um die halbe Welt reisen muss, um Archivbestände zu sichten.“ Im Oktober ist überdies der nächste Gegenbesuch einer Delegation des Holocaust Memorial Museum in Rom geplant, bei dem Direktoriumsmitglieder, Förderer und Freunde des Memorial Museums wieder an die Anima kommen wollen. „Ich hoffe, dass wir auf diesem Weg gut weiterkommen und vor allem diese Freundschaft vertiefen und gut pflegen können.“
(vatican news – gs)
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