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Ein Wähler mit kleiner Europa-Flagge Ein Wähler mit kleiner Europa-Flagge  

D: Kirchliche Stimmen zur Europawahl

Die Ampelparteien mit Verlusten, die Union deutlich vorn und die AfD bei über 16 Prozent: Erste Ergebnisse der EU-Wahl liefern ein gemischtes Bild. Wir fassen einige kirchliche Stimmen zusammen.

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann zeigte sich gegenüber der KNA erschrocken über die Zustimmung junger Menschen zur AfD: „Ich sehe nicht, dass diese Partei eine echte Antwort gibt auf die Sorgen junger Menschen um unseren Planeten oder um ihre Perspektiven für Ausbildung, Studium und Arbeits- und Familienleben." Es müsse nun erfragt werden, was die Wahlentscheidung für die AfD ausgelöst habe und wie dem begegnet werden könne.

Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, zeigte sich bestürzt darüber, dass unter den Erstwählern in Deutschland 17 Prozent ihr Kreuz bei der AfD gemacht hätten. Daher müssten demokratische Bildung an den Schulen gestärkt und ein dauerhaftes „Netzwerk für Zivilcourage und gegen Rechtsextremismus" geknüpft werden.

Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa, zeigte sich nach den ersten Ergebnissen zur Europawahl in Deutschland zunächst erleichtert. „Die Feinde der Europäischen Union sind – allen erschreckenden Stimmenzuwächsen der Populisten zum Trotz – bei uns eine Minderheit geblieben“, sagte sie am Sonntagabend der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Europas Erbe schützen

In Deutschland habe die überwältigende Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der Politik den klaren Auftrag erteilt: „Haltet den Laden zusammen.“ Die politischen Verantwortlichen müssten diesen Auftrag nun entschlossen umsetzen, so die Präsidentin der katholischen Wohlfahrtsorganisation, die mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitenden der größte private Arbeitgeber in Deutschland ist.

„Es geht uns um ein Europa der offenen Grenzen und der offenen Herzen, ein Europa, das Begegnungen leicht macht und sozialen Ausgleich unterstützt, ein Europa, das digitale Teilhabe für alle sicher gewährleistet und die planetaren Grenzen in internationaler Verantwortung schützt“, so Welskop-Deffaa weiter. Das Europäische Sozialmodell biete Raum für ein menschenfreundliches Zusammenleben. „Europa braucht schnell eine Verständigung auf eine Kommissionspräsidentin, die dieses Erbe in die Zukunft trägt.“

Demokratie braucht engagiertes Bekenntnis

Der für EU-Themen zuständige Bischof Franz-Josef Overbeck sieht im Ergebnis der Europawahl in Deutschland insgesamt eine Stärkung der Europäischen Union. Gleichzeitig warnt auch er vor dem Erstarken rechtspopulistischer Kräfte.

„Die Europawahl zeigt – wenn wir auf das Ergebnis in Deutschland schauen –, dass die demokratischen und europaverlässlichen Kräfte als Gesamt gestärkt wurden“, sagte der Essener Bischof der Katholischen Nachrichten-Agentur am Sonntagabend. Er begrüßte zudem die „stabile Wahlbeteiligung“. Sie lag laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis bei 64,8 Prozent; das sind 3,4 Prozentpunkte mehr als bei der EU-Wahl 2019.

Overbeck warnte allerdings auch: „Das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte muss uns Mahnung sein: Wir müssen mit allen Kräften unsere Demokratie verteidigen. Demokratie ist nicht selbstverständlich, sondern braucht ein engagiertes Bekenntnis!“ Der Essener Bischof ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Europa der Deutschen Bischofskonferenz und Delegierter bei der EU-Bischofskommission COMECE.

Folgen der Hamas-Attacke vom 7. Oktober

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte, es müsse allen demokratischen Kräften zu denken geben, dass in Deutschland rechts- und linkspopulistische Parteien ein Fünftel der Wählerstimmen bekommen hätten. „Das ist kein Protest mehr."

Der Rechtsruck ist nach Worten des Präsidenten der orthodoxen Europäischen Rabbinerkonferenz (CER), Pinchas Goldschmidt, „auch eine politische Folge des 7. Oktober und seiner Nachwirkungen nach dem Angriff der terroristischen Hamas auf Israel". Die Mehrheit der politischen Führungspersönlichkeiten der Mitte habe sich lange neutral verhalten und nicht angemessen auf pro-islamistische und anti-israelische „Hassreden und Radikalisierungen" reagiert. Mit ihrem Verhalten hätten die Führungspersönlichkeiten „viele Wähler Europas in die Arme rechtspopulistischer Parteien getrieben".

Die EU und die europäischen Regierungen dürften nicht länger passiv zuschauen, sondern müssten eine umfassende Strategie entwickeln, „die Integrations- und Religionspolitik mit sicherheitspolitischen Handlungsfeldern kombiniert, religiösen und politischen Extremismus effektiver bekämpft und moderate Muslime in Europa besser unterstützt".

Selbstkritik notwendig

Der Anstieg rechter Kräfte bei der Europawahl sei keine Überraschung, dränge aber zum Nachdenken bei Kirche und Politik, sagte Stefan Lunte von Justitia et Pax Europa in einem Interview des Domradio Köln. Es stelle sich auch die Frage, inwieweit europäische Verantwortliche in den unterschiedlichen Institutionen in der Lage seien, eine wirkliche Selbstkritik anzugehen, so Lunte: „Eine ,Form von Gewissensforschung' könnte man im Theologischen sagen. Was ist alles in den letzten 25, 30 Jahren nicht auch an Versprechungen mit dem europäischen Projekt verbunden worden - mit guter Absicht, besten Intentionen, aber Versprechungen, die doch nicht gehalten werden konnten", gab er zu bedenken. 

„Der Anstieg der Rechtspopulisten hat sicher nicht nur mit Rassismus und Fremdenhass zu tun, sondern auch mit einem Gefühl von Ohnmacht und Entfremdung", so Lunte. „Ich glaube nach einem Wahltag wie diesem sollte man da auch noch mal den Fokus drauf richten."

In der Wahlbeteiligung sieht Lunte ein „Zeichen für die Demokratie". Die Tatsache, dass mehr Menschen zur Wahl gingen, „zeigt, dass die Menschen verstehen: Der europäische Einigungsprozess hat uns an einen Punkt gebracht, an dem wir nur durch gemeinsame Entscheidungen etwas bewegen oder nicht bewegen können. Das bleibt als Signal positiv." 

Abgesang auf eigene Werte

Als „bleibende Herausforderung“ bezeichnet der deutsche Jesuit Stefan Kiechle das Bemühen von Kirchen und Christen, in Europa rechten, nationalistischen und autokratischen Tendenzen die Stirn zu bieten. In einem Kommentar mit dem Titel „Kirchen müssen gegen rechte Kräfte in Europa angehen!“ warnt er davor, dass Europa untergehe, wenn es sich von diesem christlichen Erbe entferne. Es sei ein „Abgesang“ an die eigenen Werte, wenn Katholiken rechts, national oder sogar autokratisch wählten, heißt es in dem am Sonntag auf katholisch.de veröffentlichten Kommentar.

„Nach den Katastrophen der beiden Weltkriege bauten mutige Menschen ein neues, versöhntes Europa auf“, erinnert Kiechle. „Europa ist zu klein und zu zersplittert, um sich erlauben zu können, von internen Konflikten zerrieben zu werden. Daher ist die Versöhnung Europas und das friedliche Miteinander seiner Nationen und Kulturen unverzichtbar für das Überleben der Menschen in Europa und für das weltpolitische Gewicht eben dieser humanen und christlichen Werte Europas.“

Friedensprojekt EU in Gefahr

Der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, sieht nach den Europawahlen das europäische Friedensprojekt in Gefahr. Kramer macht sich Sorgen um die Zukunft der EU: „Die AfD und andere rechtspopulistische Kräfte haben im Europäischen Parlament Sitze hinzugewonnen. Damit sind Kräfte gestärkt worden, die die Europäische Union bekämpfen und abwickeln wollen“, teilte er am Montag in Erfurt mit. Ihn beunruhige diese Entwicklung. Die EU sei „ein Friedensprojekt“, erinnerte Kramer.

Populistische Einstellungen scheinen sich laut dem Bischof bei vielen Menschen verfestigt zu haben. „Wir müssen lernen, damit umzugehen.“ Er betonte weiter: „Die Kirchen stehen ein für den Grund, auf dem dieses Europa gebaut ist, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit und Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte.“ Diese Werte seien nicht verhandelbar.

 - Letztes Update: 15.00 Uhr -

(kna/katholisch.de – pr)
 

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10. Juni 2024, 08:07