D/A/CH: Wo Theologinnen in der Kirche wirken – heute schon
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Jenbach ist eine Gemeinde mit 7.500 Einwohnern in Tirol, am Fuß des Karwendelgebirges. In der katholischen Pfarrkirche St. Wolfgang und St. Leonhard, einem gotischen Bau am Tiroler Abschnitt des Jakobswegs, fällt weich die Vormittagssonne durch die hohen, bunten Glasfenster. Drinnen ist Kindermesse. Eine junge Frau in weißer Albe erklärt zu Beginn, welcher Freudentag heute ist, der Pfarrvikar aus Indien zelebriert die Eucharistie. Ein Hauch Ausgelassenheit liegt in der Luft, die Jungen und Mädchen - und manche Eltern - singen aus vollen Kehlen. Es ist ein Fest.
In ihrem kernigen Tiroler Dialekt hält Sabine Meraner, die Frau in der Albe, eine Predigt, sie schaut und spricht die 8-Jährigen direkt an, sie schildert ihnen, wie es ist, Jesus im Sakrament zu begegnen. Danach tritt jedes Kind einzeln vor an die Stufe zum Altarraum und erhält sein Kommunionkleid überreicht, das es bald bei der Erstkommunion tragen wird. Als Eliah es mit beiden Händen entgegennimmt, lächelt seine große Schwester – die Ministrantin an der Seite der Frau in der Albe - ein breites Lächeln. „Die strahlen so, die Kinder“, sagt Sabine Meraner hinterher in unserem Gespräch. „Wenn man sie bei der Tauferinnerung fragen kann: Willst du diese Freundschaft mit Jesus? Und sie schauen einen an und sagen froh: Ja, ich will. Ich bin da ein kleines Puzzleteil in ihrem Leben, dass ich ihnen von Jesus erzählen kann.“
Seelsorgerin sein: fordernd und vielfältig
Schön sei das, sagt Sabine Meraner. Sie verbreitet eine Begeisterung für ihren Dienst, die sich unmittelbar überträgt. Dabei sind ihre Aufgaben in der Gemeinde fordernd und vielfältig. Wenn jemand sie als Seelsorgerin braucht, ist sie zur Stelle, auch an ihrem freien Tag oder nachts, „weil ich glaube, genau darum geht es. Wenn man die Sorge für eine Pfarrgemeinde übernimmt, dann sind das die Menschen und nicht das Gebäude.“
Als Pfarrkuratorin – so heißt in ihrem Bistum Innsbruck die Gemeindeleitung durch Laien – trägt sie in ihrer Pfarrei Sorge für alle pastoralen und organisatorischen Belange. „Wenn jemand stirbt, mache ich das Trauergespräch mit den Angehörigen und die Beerdigung, gemeinsam mit dem Priester oder auch allein. Ich segne die Kinder zu Beginn des Schuljahres, feiere Weihnachten, Ostern und die größeren Feste mit ihnen in der Kirche. Ich habe meine Verantwortung in der Liturgie, bin also eingeteilt für Predigtdienste, auch die großen Gottesdienste bereite ich vor und spreche das mit dem Vikar ab, der meistens priesterlich bei uns zur Verfügung steht.“
Entscheidungen werden im Team getroffen, zusammen mit dem Pfarrer, dem Vikar, dem Diakon, den Hauptamtlichen. Darauf legt Sabine Meraner als Theologin Wert. „Ich muss Gottseidank nicht alles allein machen, das könnte ich nicht. Aber ich habe die Letztverantwortung.“
Sabine Meraner ist angestellt bei der Diözese Innsbruck. Sie bezieht ein Gehalt, hat Urlaub und erwirbt Rentenansprüche. So wie sie wirken Hunderte weitere Frauen mit Theologiestudium in Diözesen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz in kirchlichen Positionen, auch solchen mit Leitungsfunktion. Religionslehrerinnen leisten nach wie vor wertvolle Dienste, doch vorbei sind die Zeiten, in denen Theologinnen de facto ausschließlich im Schuldienst und – viel seltener – als Universitätsprofessorin wirken konnten. Schon vor Jahren erstellte die Theologin Daniela Engelhard, damals Leiterin des Seelsorgeamtes im Bistum Osnabrück, eine gut 50 Positionen lange Liste der Ämter und Dienste, die Laien und damit Frauen in der katholischen Kirche zugänglich sind: von der Ministrantin über die Krankenseelsorgerin und die Wortgottesdienst-Leiterin bis zur Diözesanrichterin.
Kein Bistum kann mehr auf diese Frauen verzichten
Das Gros der katholischen Theologinnen im kirchlichen Dienst arbeitet heute in den Pfarreien und damit unmittelbar in der Seelsorge als Pastoral- oder Gemeindereferentinnen. Kein Bistum deutscher Sprache kann heute mehr auf diese Frauen verzichten, sagt Stephanie Feder vom Hildegardis-Verein, einer fast 120 Jahre alten katholischen Organisation in Deutschland, die Frauenstudien fördert und mit einem viel beachteten Mentoring-Programm die Zahl von Frauen in anspruchsvollen kirchlichen Diensten erhöhen will.
Auf Widerstände stoßen die Theologinnen in der Seelsorge nicht mehr, heißt es unisono aus den drei Ländern. „Ich bin jetzt 15 Jahre in der Schweiz und mir ist gegen Frauen in verantwortlichen Positionen in der Seelsorge nichts mehr bekannt“, erklärt Arnd Bünker, Leiter des Schweizer Pastoralsoziologischen Instituts St. Gallen. „Also da, wo das Modell etabliert ist, da funktioniert es auch.“ In der Schweiz wirken schon recht lange Theologinnen und Theologen in der Gemeindeleitung, in einigen Fällen sogar verheiratete Theologenpaare, die sich die Stelle teilen. Unterstützt werden sie dabei von einem Priester, wie es das Kirchenrecht vorschreibt.
Doppelspitzen
Und noch einiges mehr hat sich in den vergangenen Jahren in Sachen gemeinschaftlicher Leitung in der Kirche entwickelt. Im Ordinariat des Erzbistums München-Freising, einem der größten Bistümer im deutschen Sprachraum, ist unter Kardinal Reinhard Marx eine Doppelspitze aus dem Generalvikar und einer weiblichen Amtschefin am Werk (die allerdings Juristin ist). Eine ähnliche Doppelspitze aus einem Regens – also Priester – und einer patenten jungen Theologin leitet das Priesterseminar der Diözese Innsbruck.
Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz ist die Theologin Beate Gilles. Sowohl die Caritas Deutschland als auch die Caritas Österreich haben erstmals Frauen an der Spitze. In beiden Ländern haben sich die Bischofskonferenzen dazu verpflichtet, mehr qualifizierte Frauen in kirchliche Führungspositionen zu bringen. In Österreich gibt es „von der Bischofskonferenz einen Beschluss, dass bis 2027 mindestens ein Drittel der Leitungspositionen von Frauen ausgeführt werden sollen. An dem arbeiten wir und das schaut gut aus“, sagt Gabriele Eder-Cakl, Direktorin des Österreichischen Pastoralinstituts der Bischofskonferenz in Wien.
Wie weit hinein in den seelsorgerlichen Alltag und wie nah heran an Altar und Ambo es für Laien und damit Frauen geht, ist im deutschen Sprachraum von Bistum zu Bistum verschieden. In einigen Diözesen ist mit der Gemeindeleitung eine Predigt-Beauftragung verknüpft, in anderen erteilt der Bischof diese im Einzelfall. In der als innovativ bekannten Diözese Linz rief der Abt des Stifts Sankt Florian beim großen Gottesdienst am 4. Mai 2022 zur Feier des Bistumspatrons, des heiligen Florian, eine Theologin zum Predigen. Im selben Jahr erteilte in Deutschland der erste Bischof – Franz-Josef Overbeck von Essen – einem Schwung Theologinnen im pastoralen Dienst die Befähigung, Kindern die Taufe zu spenden, damit Familien nicht zu lange auf die Verfügbarkeit eines Priesters oder Diakons warten müssen.
Warum Frauen? Gründe gibt es viele
Was ist der Grund dafür, dass Theologinnen heute mehr und mehr in den Diensten der Kirche sichtbar werden? Viele Entwicklungen spielen dabei eine Rolle. Die pastorale Lücke durch den Priestermangel ist zu nennen, aber auch der relative Reichtum der Ortskirchen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Wir sind eines der wenigen Gebiete auf der Erde, wo die Kirche über die Mittel verfügt, viel sogenanntes Laienpersonal anzustellen, denn die Gehälter müssen in dem Fall so hoch sein, dass man auch eine Familie ernähren kann“, erklärt Arnd Bünker. In den meisten anderen Ländern können Bistümer sich die Anstellung von Laientheologen und Theologinnen nicht leisten, selbst wenn sie offen wären für die damit einhergehenden erneuerten Formen von Seelsorge. Deshalb entscheiden sich dort nur selten junge Frauen für ein Theologiestudium: Sie könnten davon nicht leben. So aber riskiert die Theologie, eine Art Geheimwissenschaft zu bleiben, allein für Priester relevant und zugänglich.
Wahr ist auch, dass das Theologiestudium Laien offenbar selbstbewusst macht, und das hat Folgen auf die Debattenfreudigkeit innerhalb der Kirche, wie im deutschen Sprachraum erkennbar ist. In dieser Hinsicht ortet Stephanie Feder Unterschiede zum kirchlichen Alltag anderswo. „Ich war viel im weltkirchlichen Kontext unterwegs, beispielsweise in Afrika. Dass überhaupt eine Frau Theologie studiert, war dort schon befremdlich. Und dass ich irgendwie andere Positionen geteilt habe als vielleicht der Bischof vor Ort, hat für Irritationen gesorgt. Es war nicht selbstverständlich, dass vor allen Dingen Frauen ihre Stimme erheben, um sich irgendwie kritisch zu äußern.“
Immer weniger Theologinnen in Ausbildung
Dass immer weniger junge Menschen katholische Theologie studieren, macht indessen auch der Kirche in den Ländern deutscher Sprache zu schaffen. Mehr als die Hälfte der Theologie-Studierenden in Deutschland und Österreich sind Frauen, doch bei Männern wie Frauen sinkt das Interesse für dieses Fach von Jahr zu Jahr. An den Berufsaussichten liegt es nicht, sie sind hervorragend: „Die Kirche wirbt um die Absolventinnen, noch ehe sie ihr Studium abgeschlossen haben, entweder für den Religionsunterricht oder für die Pfarrei oder für spezielle Seelsorgebereiche“, beobachtet Gabriele Eder-Cakl. Sie hält das Theologiestudium für nach wie vor hoch attraktiv, weil es fundiertes Glaubenswissen lehrt und obendrein Unterscheidungsvermögen. Hier zeige sich aber auch, fügt Eder-Cakl hinzu, die Unzufriedenheit junger Katholikinnen darüber, dass ihre Kirche sie vom eigentlichen sakramentalen Dienst – dem priesterlichen Dienst – ausschließt.
Sabine Meraner in Jenbach fühlt keine Berufung zur Priesterin. Wenn jemand sie im Scherz als „Frau Pfarrer“ anspricht, ist das wertschätzend gemeint, aber sie mag es trotzdem nicht, bekennt sie. „Ich stelle dann klar: Priestertum ist eine eigene Berufung. Ich bin Pfarrkuratorin. Das ist nicht ,Halbpriester´, sondern ein eigener Dienst mit einer eigenen Berufung.“ Das sollen die Jugendlichen, für die sie so gern da ist, merken. Sie will da Vorbild sein, ihre Freude und Begeisterung für diesen Dienst spürbar werden lassen.
„Mein Beruf hat Sinn“
„Ich kann mit Stolz sagen: Mein Beruf hat Sinn“, sagt Sabine Meraner. „Das Unterwegssein mit Menschen, und da auch viel zu lernen, das ist so ein sinnvoller Beruf, was gibt’s Schöneres als wenn ich weiß, mit der Zeit, die ich beruflich aufbringe, kann ich Gutes tun. Das Gefühl hab ich tatsächlich, dass ich ganz viel Gutes tun kann. Egal ob Kinder- und Jugendarbeit oder Trauerpastoral. Und vieles geht dann in der Liturgie zusammen. In den Gottesdiensten in der Pfarrgemeinde, wo man gemeinsam auf dem Weg ist.“
Auch wenn der Mangel nicht nur an Priestern, sondern auch an Laien immer mehr spürbar wird? „Da gilt es halt nicht verzweifeln und sich zu beschweren. Überall da, wo man Gas geben kann, kann man etwas Positives bei Jugendlichen bewirken. Dann gibt kleine Pflanzen, die aufblühen, und auf die darf man hoffen.“
Dieser Beitrag erschien in leicht gekürzter Form zuerst in „Donne Chiesa Mondo“, der Frauenbeilage der Vatikanzeitung L´Osservatore Romano.
(vatican news – gs)
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