Papstreise nach Chile: „Kirche bemüht sich um neues Migrationsgesetz“
Gudrun Sailer – Vatikanstadt und Luca Collodi – Santiago de Chile
Die Kirche, die in den vergangenen Jahren durch die Säkularisierung und wiederholte Missbrauchsfälle durch Priester einen dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust hinnehmen musste, charakterisiert Kardinal Ezzati so:
„Ich will ganz neutral sagen, dass die Kirche in Chile eine lebendige, aufmerksame Kirche ist und eine, die den Bedürftigen viel Aufmerksamkeit schenkt. Wir sind sehr präsent in den dichtbevölkerten Stadtteilen Santiagos, mit vielen Herausforderungen durch die kulturellen Neuerungen. Die Kirche in Chile ist in einer ähnlichen Lage wie die Weltkirche auch. Es ist eine Kirche mit vielen engagierten Laien, eine Kirche mit ihren Gnaden und Segnungen, und auch mit den Schatten, die das menschliche Leben der Kirche immer begleiten.“
Starke Veränderungen in den vergangenen 30 Jahren
Ganz Chile hat sich in 30 Jahren stark verändert. Aus einer Diktatur, dem blutigen Militärregime von Augusto Pinochet, ist eine etablierte Demokratie geworden. Dem neuen kulturellen Klima, das der Kardinal soeben unter die Herausforderungen einsortierte, kann er auch viele positive Seiten abgewinnen: Chile hat eine immer besser ausgebildete Jugend und mit der Päpstlichen Katholischen Universität Chiles in Santiago auch ein akademisches Angebot allerersten Ranges; Franziskus wird dieser Universität einen Besuch abstatten.
Auch wirtschaftlich hat Chile große Fortschritte verzeichnet, sie gingen Hand in Hand mit einer starken Säkularisierung. „Wer Lateinamerika kennt, weiß, dass unser Land unter denen ist, die heute am stärksten säkularisiert sind“; bringt es der Kardinal auf den Punkt. „Das ist eine Herausforderung für die Evangelisierung.“ Alles in allem sei dieser Prozess sehr schnell gegangen und ohne die überlegte Gangart anderer Länder.
Wachsender Wohlstand zieht Menschen aus ärmeren Ländern an: ein Effekt, der sich überall auf der Welt beobachten lässt. Für Chile ist das Thema Immigration ein ganz großes und in der Form neues Thema. Ein Thema, für das sich der Papst außerordentlich hellhörig zeigt. „In Santiago gab es bisher nur Einwanderer aus Peru und Bolivien“, erzählt der Kardinal aus seiner Hauptstadt-Erzdiözese. „In den vergangenen Jahren sind dann massiv Menschen aus Kolumbien gekommen, und seit zwei Jahren gibt es eine starke Migrationswelle aus zwei Ländern: Venezuela und Haiti.“
In dieser Lage sei Chiles Kirche dem Papst überaus dankbar für seine Weltfriedensbotschaft von diesem Jahr, die ja zum ersten Mal dem Thema Flüchtlingen und Migranten gewidmet war, erklärt der Kardinal und erzählt, wie sein eigenes Bistum hilft:
„Die Kirche von Santiago bietet in 40 Pfarreien Spanischkurse für Menschen aus Haiti, denn eines der großen Probleme dieser Menschen ist, dass sie die Sprache nicht können und daher leicht getäuscht werden können. In Zusammenarbeit mit der Bischofskonferenz von Haiti haben wir einen Priester aus Haiti erhalten; wir wollten keine haitianische Pfarrei, so wie wir keine peruanische wollten, sondern wir bitten in den Herkunftsländern der Menschen um einen Priester oder einen ständigen Diakon, die uns hier in Chile dabei helfen sollen, eine aufnehmende Kirche zu sein: eine Kirche, die Migranten als Teil unseres Lebens sieht, als zu unseren Gemeinschaften gehörig. Integration ist eine große Anstrengung. Ich besuche drei, vier Pfarreien pro Wochen, und überall finde ich engagierte Laien, die sich für die Migranten einsetzen.“
Neues Einwanderungsgesetz erwünscht
Das Engagement der katholischen Kirche für die Neuankömmlinge geht aber noch weiter, hinein ins Politische, betont der Kardinal. Es brauche ein neues Einwanderungsgesetz in Chile, das heute gültige stammt nämlich noch aus der Zeit der Militärdiktatur. Die Kirche schickt ausgebildete Leute zu den staatlichen Stellen, um ein neues Einwanderungsgesetz zu fördern. „Das ist wirklich nötig, um die Menschen zu verteidigen“, sagt Kardinal Ezzati: „Wir müssen uns vor Augen führen: Wenn man Milliarden Dollar von einem Land ins andere überweist, dauert das Sekunden. Wenn Menschen von einem Land ins andere gehen müssen, dann dauert das Monate und kostet unermessliches menschliches Leid. Da braucht es neue Gesetze, damit die Migration menschlicher wird, gekennzeichnet von einer Haltung der Aufnahme, und dass sie auf soziale Gerechtigkeit zielt.“
Franziskus, der es sich bei keiner Reise nehmen lässt, Häftlinge zu besuchen, wird in Santiago ein Frauengefängnis aufsuchen. Kardinal Ezzati feiert in eben dieser Anstalt Jahr für Jahr mit den Frauen die Christmette. „Und das ist wirklich eindrucksvoll zu sehen, wie sie sich vorbereiten auf diesen Besuch, der für sie ein großes Geschenk ist.“ Im Patio Mandela, im Hof, wo die Frauen lernen, ihr zukünftiges Leben vorzubereiten mit beruflicher Ausbildung, aber auch mit der Arbeit an den menschlichen Qualitäten. Viele von ihnen sind junge Frauen und haben kleine Kinder bei sich. Ich glaube, die Menschen, die er dort im Gefängnis trifft, wollen ihm ihre tiefe Sehnsucht zeigen, aus dieser ganzen Lage herauszukommen.“
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