Papst antwortet auf Fragen von Jugendlichen
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Die erste Frage an den Papst stellte eine junge Frau aus Nigeria, die vor vier Jahren als Opfer von Menschenhandel nach Italien gekommen war. Sie berichtete von einer „dramatischen Erfahrung“ als Zwangsprostituierte, von einer „völlig vernichteten Würde“. In einer Gemeinschaft von Schwestern habe sie eine Art „Auferstehung“ erfahren.
„Wie kann man jungen Menschen helfen, sich bewusst zu werden, dass Zwangsprostitution ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist?“ Viele der Kunden von Prostituierten seien Katholiken. „Ist die Kirche, die noch zu macho-orientiert ist, in der Lage, sich dieses Problems anzunehmen?“
„Eine Frage ohne Betäubung“, sagte der Papst dazu. „Aber das ist die Realität. Ich war letztes Jahr zu Besuch in einem Heim von Ex-Zwangsprostituierten. Da hörte ich Berichte, die kaum zu fassen sind… von Schlägen, von Folter, von Misshandlungen... Diese Frauen haben nur überlebt, weil sie ihr Herz verhärtet und die Dinge nicht völlig an sich herangelassen haben. Einigen gelang es zu fliehen, sie wurden aber von der Zuhältermafia teilweise wieder gefangen… Und wenn sie befreit werden, trauen sie sich nicht, in ihr Land zurückzukehren oder ihre Geschichte zu erzählen.“
Das sei eine „Sklaverei unserer Zeit“, so Franziskus. Und dabei gehe er davon aus, dass der überwältigende Teil der Freier, die in Italien zu Zwangsprostituierten gingen, getauft seien. Man könne sich kaum vorstellen, welche „ekelhaften Dinge“ diese Männer von den Frauen verlangten. Immerhin gebe es viele kirchliche Initiativen, um Zwangsprostituierte aus ihrem Netz zu befreien und ihnen zu helfen, sich ein neues Leben aufzubauen.
„Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit! Und es kommt aus einer kranken Mentalität: Frauen ausnutzen. Bis heute ist es dem Feminismus nicht gelungen, das aus der kollektiven Vorstellungskraft zu verbannen: die Ausbeutung der Frauen. Eine Krankheit der Menschlichkeit… Den Zwangsprostituierten können am besten Frauen helfen. Ordensfrauen zum Beispiel. Aber manchmal sind es auch Frauen, die andere Frauen verkaufen…“
Er setze darauf, „dass die Jugendlichen da den Kampf aufnehmen“. „Das ist ein Kampf, um den ich euch bitte, dass ihr ihn führt: um die Würde der Frau! Einige Regierungen setzen darauf, die Freier zu bestrafen; aber soweit ich sehe, hat das nicht soviel Erfolg… Aber das Problem ist schwerwiegend – Jugendliche, nehmt da den Kampf auf!“
Freier seien „Verbrecher“, sagte Franziskus unter dem Beifall der Jugendlichen. „Wer das tut, ist ein Verbrecher! – Aber Pater, kann man nicht mal mit einer Frau schlafen? – Aber das ist etwas anderes als ‚fare l’amore‘, das ist das Foltern einer Frau. Das ist verbrecherisch! Bringen wir die Begriffe nicht durcheinander.“
Ein Jura-Student aus Paris stellte die zweite Frage. Er sei „nicht getauft und nicht katholisch“, stellte er sich vor, um dann von einem Gefühl der Leere zu sprechen. „Ich fühle mich wie vor einer Mauer, wenn ich nach dem tiefen Sinn meines Lebens suche.“
„Die Gefahr bestünde darin, diese Fragen gar nicht erst hochkommen zu lassen“, antwortete ihm der Papst. „Aber du hast schon richtig angefangen, weil du diese Fragen zulässt. Unsere großen Fragen lassen sich betäuben… Doch man muss den Mut haben, die Wahrheit so roh zu sagen, wie sie ist – und die Fragen auch. So roh, wie sie sind.“ Die Synode solle dabei helfen, Wege zur inneren Unterscheidung zu finden und den Jugendlichen von heute anzubieten.
„Im Leben ist es immer wichtig, dass man den Mut hat, offen zu reden. Man kann zwar nicht mit allen über alles reden – aber dann such dir eben jemanden, ob alt oder jung, der weise ist und mit dem du reden kannst. Der vor nichts erschrickt und zuzuhören weiß…“ Ein junger Mensch, der nicht zu wichtigen Entscheidungen über seinen Weg finde, trage mit der Zeit eine Art Tumor in sich, das gehe immer übel aus. Man müsse seine Fragen und Gefühle zulassen; im übrigen sei „Unterscheidung“ (eines der Themen der bevorstehenden Bischofssynode) ein Weg, der das ganze Leben dauere.
Eine argentinische Studentin stellte eine etwas komplizierte Frage zum Thema Bildung und Erziehung: Bei den heutigen Bildungskonzepten bleibe doch die Öffnung zur Transzendenz und auch das Zulassen von Zweifeln zu oft auf der Strecke. Aber Franziskus, ein früherer Lehrer an Jesuitenschulen in Argentinien und Chile, wusste den Ball aufzufangen. Es sei wichtig, dass Schulen und Bildungsstätten nicht nur Wissen vermittelten, sondern auch „die Fähigkeit zum Staunen“.
„Um eine umfassende Erziehung zu gewährleisten, muss man drei Sprachen lehren: die Sprache des Kopfes, also lernen zu denken. Zweitens: die Sprache des Herzens: richtig fühlen. Heute gibt es viele Mobbing-Probleme in Schulen – die gehören in diesen Bereich. Und drittens die Sprache der Hände: das Machen. Von hier kommen die Kunst, das Ingenieurwesen, die Fähigkeit zum Aufbauen. Und diese drei Sprachen müssen untereinander harmonisiert werden: Denken, wie man fühlt, und handeln, wie man denkt und fühlt. Das In-Einklang-Bringen dieser drei Sprachen.“
Die virtuelle Welt habe „ihre Gefahren“, fuhr Franziskus dann fort. Man dürfe sich von ihr „nicht aufsaugen“ lassen. „Zum Beispiel beim Abendessen: Die Eltern sehen fern, die Kinder schicken sich Textnachrichten. Da wird die Welt nicht nur flüssig, wie (der verstorbene Denker) Zygmunt Bauman sagte, sondern sogar mit Kohlensäure! Wir müssen lernen, uns ihrer zu bedienen, statt uns von ihr versklaven zu lassen.“ Das Virtuelle müsse „im Konkreten verankert“ werden, dann sei „alles in Ordnung“.
„Wie soll ein junger Seelsorger auf die komplexen Facetten unserer heutigen Kultur reagieren?“, fragte danach ein Priesteramtskandidat aus der Ukraine. Wie weit sollte sich jemand wie er, der Gott als Priester dienen will, auf die heutige Welt und speziell auf die Jugendkultur einlassen? Er nannte Tatoos als Beispiele.
„Ein Kollege!“, scherzte Franziskus. Dann wurde er ernsthaft. Ja, Priester müssten darauf achten, dass sie Teil einer konkreten Gemeinschaft seien – nur insofern seien sie wirklich „Zeugen Christi“. Priester, die allein seien mit ihrer Zeugenschaft für Christus, seien „lediglich funktional“. „Wie ist deine Gemeinschaft? Ist sie Zeugin Christi? Sonst muss da der Bischof eingreifen, denn diese Gemeinschaft wird den Priester fertigmachen… Die großen Heiligen, etwa Ignatius von Loyola, haben sich sofort Gefährten gesucht.“
Einmal mehr nannte der Papst Schwätzen eine Art „Terrorismus“ und Klerikalismus „eine schwere Krankheit“. „Ich bin besorgt darüber, denn da wird die väterliche Rolle des Priesters reduziert, er wird zu einem Chef, zu einem Boss. Mich machen auch nicht-väterliche, nicht-brüderliche Haltungen bei Priestern besorgt. Auch übertriebener Spiritualismus – die entsprechenden Priester sind unfähig, zu verstehen. Zu denen kannst du nicht kommen, wenn du mal ausgerutscht bist im Leben, die machen dir ja Angst. Und am schlimmsten ist ein verweltlichter Priester!“
Zur Frage zurückkehrend sagte Franziskus, vor Tatoos brauche man „keine Angst zu haben“, man dürfe nur „nicht übertreiben“. „Tatoos bedeuten Zugehörigkeit.“ Man könne also Jugendliche darauf ansprechen, warum sie dieses oder jenes Tatoo hätten, und erführe dann, wo sie sich zugehörig fühlten. „Habt keine Angst davor, mit jungen Leuten zu reden!“
Die letzte Frage an Papst Franziskus kam von einer chinesischen Schwester, die in Rom studiert (und die dem Papst eine rote Stola schenkte). Sie zielte in eine ähnliche Richtung wie die des ukrainischen Seminaristen: „Wie sollen wir darauf reagieren, dass einige Kulturen heute keinen Platz lassen für Gott und dass die Gesellschaft die Vorherrschaft der Materie anbetet?“
Der Papst betonte in seiner Antwort, dass eine rein geistliche Ausbildung für Priester oder Ordensleute nicht hinreichend sei. Dazu müssten eine intellektuelle, eine gemeinschaftliche und eine missionarische Ausbildung treten. Man dürfe Menschen, die zu geistlichen Berufen ausgebildet werden, „nicht vor der Welt behüten“, denn das bedeute nahezu, sie zu „kastrieren“.
„Eine Mamma, die ihr Kind zu sehr behütet, annulliert es. Sie lässt es nicht wachsen… Mir ist lieber, dass jemand seine Berufung wieder aufgibt, als dass er eine kranke Persönlichkeit wird! Reden wir doch mal Klartext: Wie viele kirchliche Missbrauchstäter enden so, weil man sie nicht affektiv hat reifen lassen! Aber was ich hier von Priestern und Ordensleuten sage, gilt natürlich auch für die Laien. Nicht über-behüten!“ Tomaten, die man im Gewächshaus vor der Kälte behüte, hätten hinterher „keinen Geschmack“.
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