Vor einem Jahr: Der Coup von Abu Dhabi

Es war so geheim, dass auch im Vatikan viele nichts davon wussten. Eine Presseerklärung, die die Sache kurz vorher ausplauderte, wurde schnell zurückgezogen, fast niemand hatte etwas gemerkt. Und darum war es eine Sensation, dass der Papst und der islamische Großscheich al-Tayyeb vor einem Jahr in Abu Dhabi eine lange gemeinsame Erklärung unterzeichneten.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Als wäre nicht schon die bloße Tatsache eines Papstbesuchs auf der arabischen Halbinsel aufsehenerregend genug gewesen: Immerhin war Franziskus der erste Pontifex der Geschichte, der seinen Fuß auf die Ursprungserde des Islam setzte. Die Emirate hatten den Bischof von Rom eingeladen, weil ihnen das machtpolitisch in den Kram passte; so konnten sie sich, und sicher nicht zu Unrecht, als das tolerantere Gegenstück zum Nachbarn Saudi-Arabien präsentieren.

Am 4. Februar abends also setzten der Papst und der Großimam der al-Azhar-Universität von Kairo, Ahmed al-Tayyeb, ihren Namenszug unter ein Papier mit dem etwas sperrigen Titel „Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“. Der Rahmen – eine Gedenkstätte für den Staatsgründer, mit Lichtshow – war etwas kitschig, doch der Text hatte es tatsächlich in sich. Noch nie hatten die führenden Vertreter von zwei Weltreligionen, die gemeinhin als antagonistisch wahrgenommen werden, Sätze wie die folgenden proklamiert:

„Gott, der Allmächtige, hat es nicht nötig, von jemandem verteidigt zu werden“

„Wir erklären mit Festigkeit, dass die Religionen niemals zum Krieg aufwiegeln und keine Gefühle des Hasses, der Feindseligkeit, des Extremismus wecken und auch nicht zur Gewalt oder zum Blutvergießen auffordern… Gott, der Allmächtige, hat es nicht nötig, von jemandem verteidigt zu werden; und er will auch nicht, dass sein Name benutzt wird, um die Menschen zu terrorisieren.“

„Die Freiheit ist ein Recht jedes Menschen“, erklärte der Text an anderer Stelle; „ein jeder genießt Bekenntnis-, Gedanken-, Meinungs- und Handlungsfreiheit.“ „Tempel, Kirchen und Moscheen“ müssten geschützt, Frauen „von allen historischen und sozialen Zwängen“ befreit werden.

Text wurde auch Buddhisten überreicht

Nicht nur Muslime mussten in diesem Dokument einige Kröten schlucken; auch manche Katholiken hatten (und haben) Schwierigkeiten mit dem Hinweis: „Der Pluralismus und die Verschiedenheit in Bezug auf Religion … entsprechen einem weisen göttlichen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat.“ Wurden damit denn nicht alle Religionen sozusagen auf eine Stufe gestellt und relativiert? Der Papst sollte sich später mit dem Hinweis verteidigen, dass das Dokument dem „Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils“ entspreche.

Selten hat eine Papstreise ein so konkretes Ergebnis gezeitigt, wie es Franziskus von Arabien aus Abu Dhabi mit nach Rom nehmen konnte. Der Papst spricht bei jeder sich bietenden Gelegenheit von dem Dokument; er hat es bei seiner jüngsten Asienreise auch führenden Buddhisten überreicht. Christen, Juden und Muslime haben im vergangenen August in Abu Dhabi ein gemeinsames Komitee für die Umsetzung des Textes gebildet.

Zum Nachhören

Christen und Muslime haben jetzt ihre eigene Menschenrechts-Charta

Wunder sollte man sich von diesem Komitee zwar nicht erwarten; doch Ideen sind subversiv, sie haben ihre eigene Wirkungsgeschichte, die oft erst auf der Langstrecke sichtbar wird. Jedenfalls haben jetzt Christentum und Islam erstmals ihre eigene Menschenrechts-Charta.

Der UNO haben Franziskus und al-Tayyeb übrigens vorgeschlagen, den 4. Februar zu einem „Welttag der Geschwisterlichkeit“ zu erklären. Und die Scheichs in Abu Dhabi zeigen in diesen Tagen mit einem Kongress, dass sie am Thema Toleranz und Zusammenarbeit dranbleiben wollen.

(vatican news)
 

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03. Februar 2020, 11:19