Papst Franziskus besucht Auschwitz-Überlebende Edith Bruck
Der Papst war von dem Interview beeindruckt, in dem die Schriftstellerin von den Schrecken berichtet, die sie und ihre Familien während der Verfolgung durch die Nazis durchmachen mussten. So bat er darum, sie kennenlernen zu dürfen – ein Wunsch, dem die betagte Dame gerne nachgab. Es war dem Papst ein Anliegen, dass das Treffen sich nicht in den formalen Räumlichkeiten des Vatikans abspielen sollte. So begab er selbst sich an diesem Samstagnachmittag ins römische Zentrum, wo die ungarische Schriftstellerin mit jüdischen Wurzeln schon seit langem lebt. Dort dankte er ihr für ihr Zeugnis. Nur einer durfte mit: Andrea Monda, der Direktor der Vatikanzeitung, der das berührende Interview am vergangenen 26. Januar aus Anlass des Holocaust-Gedenktages veröffentlichen ließ.
Ein Versprechen
Edith Bruck, nur ein Kind während ihrer Gefangenschaft in Auschwitz und in anderen Konzentrationslagern, hat es sich zum Lebenszweck gemacht, das zu bezeugen, was ihr und anderen widerfahren ist. Darum hatten sie ihr zwei unbekannte Schicksalsgefährten gebeten, im Konzentrationslager Bergen-Belsen: „Erzähl es, sie werden dir nicht glauben, aber wenn du überlebst, erzähl, auch für uns!“ Dieses Versprechen hat sie zeitlebens gehalten, bis zum jüngsten Interview, das auch Papst Franziskus berührt hat.
Denn es gelingt Edith Bruck, auch in der Erzählung von unbeschreiblichem Leid und Elend, das ihr praktisch die gesamte Familie geraubt hat, kleine, fast unscheinbar wirkende Details vor das Auge des Lesers zu tragen. Diese zeugen von unerwarteten Gesten der Menschlichkeit, die es ihr möglich gemacht haben, trotz der sie umgebenden Gräuel zu hoffen und zu überleben.
Die Demokratie im Ghetto
So beschreibt sie ihr karges Leben im Ghetto, in das sie gemeinsam mit ihrer gesamten Familie aus ihrem kleinen ungarischen Heimatdorf verfrachtet wurde, doch sie versäumt es nicht, auch auf positive Seiten hinzuweisen, wie beispielsweise eine Art von „Demokratie“, die sie im Ghetto erlebte und die es vorher so nicht gab: „Zum ersten Mal spielte ich mit dem Sohn des Arztes“, erinnert sie sich, und auch, dass ihr Vater, der im Leben nicht viel hatte, dank der Großzügigkeit eines Bekannten zu einiger Berühmtheit gelangte: Ein Freund der Familie, der selbst nicht jüdisch war, schenkte dem Vater einen Wagen voller Lebensmittel – den dieser dann an andere Notleidende weiter verteilte.
Auch ins KZ Dachau geriet Edith auf ihrer Odyssee. Dort, so erzählt sie im Osservatore-Interview, musste sie Schützengräben ausheben. Während dieser Zeit geschah es, dass ein deutscher Soldat ihr seinen Essens-Napf zum Auswaschen zuwarf, „aber auf dem Boden hatte er ein wenig Marmelade für mich übrig gelassen“.
Ein weiteres Aufscheinen von Menschlichkeit in einer unmenschlichen Umgebung widerfuhr ihr in der Küche eines Schlosses in der Nähe des Lagers Dachau, wo sie und ihre Schwester Dienst leisten mussten – oder durften, denn hier konnten sie wenigstens hin und wieder einen heimlichen Bissen in den Mund stecken… Der Koch, dem sie unterstanden, fragte sie eines Tages nach ihrem Namen. Und als sie mit zitternder Stimme und ihrem Namen antwortete, überreichte er ihr mit den Worten „Ich habe eine Tochter in deinem Alter“ einen Kamm, mit dem sie die nach dem Scheren eben wieder nachwachsenden Haare kämmen konnte.
„Ich hatte das Gefühl, mich nach langer Zeit wieder einem menschlichen Wesen gegenüber zu sehen. Mich rührte diese Geste, die Leben und Hoffnung bedeutete,“ beschreibt Edith Bruck in dem Interview die Gefühle, die sie damals durchströmten. „Es genügen wenige Gesten, um die Welt zu retten“, schließt die Holocaust-Überlebende, die an diesem Samstag den Bischof von Rom in ihrer Wohnung empfangen hat.
Während des Gesprächs sagte Franziskus wörtlich: „Ich bin hier zu Ihnen gekommen, um Ihnen für Ihr Zeugnis zu danken und dem Volk die Ehre zu erweisen, das zu Märtyrern des Wahnsinns des nationalsozialistischen Populismus geworden ist. Und mit Aufrichtigkeit wiederhole ich Ihnen die Worte, die ich aus tiefstem Herzen in Yad Vashem ausgesprochen habe und die ich vor jeder Person wiederhole, die wie Sie deswegen gelitten hat: Vergebung, Herr, im Namen der Menschheit.“
(vatican news - cs)
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