Irak: „Geschwisterlichkeit braucht gegenseitigen Respekt“
Christine Seuss und Fabio Colagrande - Vatikanstadt
Schon jetzt gelten der Besuch des Papstes in Mossul und in Karakosch in der Ninive-Ebene mit als bedeutsamste Momente während der Reise des Kirchenoberhauptes in den Irak. Am 7. März wird die Bevölkerung dieser Gegend, in der besonders viele Christen leben, den Papst aus ganzem Herzen willkommen heißen. Doch gerade weil die Region bekanntermaßen christlich geprägt ist, musste ihre Bevölkerung unter dem selbst ernannten Islamischen Staat besonders leiden: Orte wie Mossul und Erbil gelangten als Hauptquartiere der Terroristen auch im Westen zu trauriger Berühmtheit.
Ständige Gewalt und großes Leid
Von 2014 bis 2016 litten die Menschen unter der Besatzung durch die skrupellosen Terroristen, wer konnte, floh. Nur schleppend kehren die angestammten (oft christlichen) Familien zurück in ihre Heimat. Doch trotz der Befreiung Mossuls und der anderen besetzten Gemeinden und der Hilfen durch die internationale Gemeinschaft ist deren Verbleib im Irak heute alles andere als gesichert, berichtet im Interview mit uns der syrisch-katholische Priester Benham Benoka:
„Da es sich um den ersten Besuch eines Papstes im Irak handelt, in der gesamten Kirchengeschichte, ist es wirklich ein historisches Ereignis. Wir wissen nicht, ob wir nochmals eine derartige Gelegenheit haben werden. Deshalb ist es sicherlich ein sehr bemerkenswertes Ereignis, auch weil es mit der außergewöhnlichen, sehr schwierigen, Situation zusammenfällt, die unser Land derzeit lebt: ständige Gewalt und großes Leid vor allem für uns Christen. Deshalb würde ich sagen, dass dieser Besuch verzweifelt von allen Katholiken ersehnt wird, aber auch von allen Christen.“
Die Christen im Irak: Ein Mosaik
Das Mosaik der christlichen Glaubensgemeinschaften im Irak ist bunt, es gibt neben einer Handvoll lateinischer Katholiken auch die syrisch-katholische, chaldäische, assyrische, melkitische und viele andere christliche Gemeinschaften. Nicht zu vergessen: Die Christen stellen im Irak eine kleine Minderheit dar. „Leider leidet das Land sehr; es ist sehr gespalten. Es kommt ständig zu Zusammenstößen zwischen den Fraktionen, die den Irak führen und jede Miliz hat ihr Territorium, das sie auf eigene Faust verwaltet, während die Regierung komplett machtlos erscheint. Und vor allem in der christlichen Region des Irak, der Ninive-Ebene, der letzten christlichen Bastion, wo wir noch eine Mehrheit stellen, leiden wir unendlich“, zeichnet der Priester ein düsteres Bild von der Lage.
Daran habe auch entgegen aller Hoffnung die Befreiung von Daesh, wie der selbst ernannte Islamische Staat in der Region genannt wird, und die Rückkehr in die angestammten Städte nichts geändert. Es gehe vielen sogar schlechter als zuvor: „Es ist so, die Kräfte, die heute unsere Gebiete kontrollieren, wollen sich sozusagen zu Herrschern aufspielen, sie wollen uns rausschmeißen und sich unsere Ländereien einverleiben. Wenn das geschieht, wenn niemand uns hilft, werden in wenigen Jahren keine Christen in der Ninive-Ebene mehr zu finden sein,“ zeigt der syro-katholische Priester sich besorgt. Viele Hoffnungen richteten sich deshalb auf die Reise des Kirchenoberhauptes und die Aufmerksamkeit, die seine Region damit erhalten wird, gibt der Priester unumwunden zu.
Gelenkte Zuwanderung von Nicht-Christen
Denn selbst wenn christliche Häuser und Kirchen quasi wie durch ein Wunder intakt und ungeplündert die Besetzung durch die Terrormilizen überstanden hätten, sei es in vielen Fällen vorgekommen, dass sie erst nach der Befreiung völlig dem Erdboden gleich gemacht worden waren. „Und dann war - und ist es immer noch - für ein Familienoberhaupt sehr schwierig, Arbeit zu finden. Der Grund dafür ist, dass ein großangelegter Plan für einen demographischen Wandel in unseren christlichen Städten umgesetzt wird. Nach Bartella, also der Stadt, in der ich mich befinde, sind von anderen Orten etwa fünfzehntausend Familien der Shabak-Ethnie, also schiitische Muslime, geholt worden, um hier in diesem Sub-Distrikt der Ninive-Ebene zu leben. Dieser demographische Wandel wurde von einigen Fraktionen eingeleitet, um uns klar zu machen, dass dieser Ort nun nicht mehr christlich, sondern schiitisch ist. Wir leiden also unter einer wahren ,ethnischen und religiösen Säuberung' und einer ihrer Aspekte ist eben dieser aufgezwungene demographische Wandel“, macht der Priester seiner Sorge Luft.
Doch es gebe noch andere Schwierigkeiten, wie beispielsweise einen Boykott der Muslime gegen christliche Geschäfte in der Stadt, zu dem niemand anders als lokale muslimische Gemeinschaften aufriefen, oder die Errichtung von schiitischen Monumenten und Bauwerken genau bei christlichen archäologischen Stätten, „um die Botschaft zu senden, dass die Stadt kein christliches Gesicht mehr hat“: „Für diese Menschen muss die Stadt ,schiitisch‘, muslimisch, werden, alle Fahnen sind schwarz und niemand, nicht einmal die irakische Regierung, traut sich, sie zu entfernen. Außerdem haben sie angefangen, die Straßen der Stadt nach ihren Märtyrern zu benennen, die aber niemals ihr Blut vergossen haben, um diese Stadt zu verteidigen.“
Papst Franzwiskus will Frieden
Doch wie fügt sich in diese Gemengelage das Motto der Papstreise, „Ihr alle aber seid Brüder“ aus dem Matthäusevangelium; gleichzeitig Wunsch und Aufforderung nach einer größeren, auch religionsübergreifenden Geschwisterlichkeit? Und welche Rolle spielt das Treffen des Papstes mit dem schiitischen Religionsführer al-Sistani? „Das Projekt des Papstes, das Projekt der Geschwisterlichkeit, ist im Ursinn christlich. Wir sind alle Geschwister, das ist wahr. Aber wir sind alle Geschwister, wenn gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Rechte herrscht und jeder die eigenen Pflichten dem anderen gegenüber kennt, wenn es Gerechtigkeit auf allen Ebenen gibt“, gibt der Priester aus Bartella zu bedenken.
„Wenn jemand uns Land, Haus und Arbeit rauben will, Sicherheit und Frieden, wie kann man da ein Zusammenleben verwirklichen? Es muss jemanden geben, der die Kraft hat, den Frieden durchzusetzen. Wir alle wissen, dass diese Schwierigkeiten nicht von den einfachen Leuten geschaffen werden, sondern von den Autoritäten, von denen, die militärische Macht haben oder die Fähigkeit, eine bestimmte Ideologie aufzuzwingen, um die eigenen Pläne zu verwirklichen. Das Zusammenleben und die Geschwisterlichkeit unter den Menschen sind sehr sehr wichtig, ohne die Geschwisterlichkeit werden wir immer ein gespaltenes Land haben. Aber um diese Geschwisterlichkeit unter allen Religionen zu haben, braucht es auch Gerechtigkeit, Gerechtigkeit neben der Liebe.“
Zwar habe er sich bei seinen Erzählungen auf Episoden aus der Stadt konzentriert, in der er selbst lebe, doch sei dieses Leiden dem gesamten Land gemein, präzisiert der Priester noch. „Alle leiden unter derselben Gewalt, weil einige weder Frieden, noch Sicherheit, noch Geschwisterlichkeit oder Liebe wollen. Diese Situation, die den gesamten Irak kennzeichnet, lässt uns wirklich auf den Besuch des Papstes schauen wie auf den Besuch von jemanden, der kommt, um uns begreifen zu lassen, was die wirkliche Liebe und die wirkliche Geschwisterlichkeit unter allen sind. Wir hoffen wirklich, dass der Papst diese seine Mission weiterbringen kann, die ohne Zweifel sehr anstrengend ist, aber durch unsere Gebete begleitet wird.“
(vatican news)
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