Generalaudienz: Die Katechese im Wortlaut
Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!
Paulus war verliebt in Jesus Christus und hatte verstanden, was Erlösung bedeutet. Er lehrt uns, dass die „Kinder der Verheißung“ (Gal 4,28) - also wir alle, die wir durch Jesus Christus gerechtfertigt sind - nicht mehr unter dem Joch des Gesetzes stehen, sondern gerufen sind, ein Leben zu führen, das sich der Freiheit des Evangeliums verantwortlich weiß. Das Gesetz aber gibt es, wenn auch auf eine andere Weise - das Gesetz, die Zehn Gebote, aber auf eine andere Weise, denn aus sich selbst heraus kann es nicht rechtfertigen, nachdem unser Herr Jesus gekommen ist. Und deshalb fragen wir uns in der heutigen Katechese: Was ist dem Galaterbrief zufolge die Rolle des Gesetzes? In dem Abschnitt, den wir eben gehört haben, sagt Paulus, dass das Gesetz wie ein „Pädagoge“, ein Erzieher, gewesen sei: ein schönes Bild, das des Pädagogen, über das wir letzte Woche gesprochen haben; ein Bild das es verdient, in seiner richtigen Bedeutung verstanden zu werden.
Der Apostel scheint die Christen darauf hinzuweisen, dass es in der Heilsgeschichte – und auch in seiner eigenen persönlichen Geschichte – zwei Phasen gibt: bevor sie Gläubige in Jesus Christus geworden sind und nachdem sie den Glauben erhalten haben. Im Mittelpunkt steht das Ereignis des Todes und der Auferstehung Jesu, das Paulus verkündet hat, um den Glauben an den Sohn Gottes, die Quelle des Heils, zu wecken; in Jesus Christus sind wir gerechtfertigt. Deshalb gibt es, ausgehend vom Glauben an Christus, im Bezug auf das Gesetz ein „Vorher“ und ein „Nachher“; das Gesetz gibt es, es gibt die 10 Gebote, aber da ist eine Haltung vor dem Kommen Christi, und eine andere danach. Die frühere Geschichte wird dadurch bestimmt, dass man „unter dem Gesetz“ stand, die spätere Geschichte - nach dem Kommen Jesu - soll unter der Leitung des Heiligen Geistes gelebt werden (vgl. Gal 5,25).
Es ist das erste Mal, dass Paulus diesen Ausdruck gebraucht: „unter dem Gesetz“ stehen. Ein Begriff, der die negative Vorstellung einer Knechtschaft impliziert, wie sie für Sklaven typisch ist. Der Apostel macht dies deutlich, indem er sagt, dass man, wenn man „unter dem Gesetz“ steht, vom Gesetz „behütet“, „verwahrt“ wird – sich also in einer Art „Schutzhaft“ befindet. Diese Zeit, sagt Paulus, hat lange gedauert - von Mose bis zum Kommen Jesu - und geht weiter, solange man in der Sünde lebt.
Die Beziehung zwischen dem Gesetz und der Sünde wird der Apostel in seinem Brief an die Römer, der einige Jahre nach dem Brief an die Galater entstand, systematischer erklären. Das Gesetz bewirkt also, dass Übertretungen definiert und die Menschen auf ihre Sünde aufmerksam gemacht werden. „Du hast dieses oder jenes getan: und deshalb sagt das Gesetz - die 10 Gebote -: du lebst in Sünde." Wie die allgemeine Erfahrung lehrt, kann das Gesetz Übertretungen aber auch hervorrufen. So schreibt Paulus im Brief an die Römer: „Denn als wir noch dem Fleisch verfallen waren, wirkten sich die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz hervorgerufen wurden, so in unseren Gliedern aus, dass wir dem Tod Frucht brachten. Jetzt aber sind wir frei geworden vom Gesetz, dem gestorben, woran wir gebunden waren, sodass wir in der neuen Wirklichkeit des Geistes dienen, nicht mehr in der alten Wirklichkeit des Buchstabens“ (7,5-6). Warum ist die Rechtfertigung Jesu Christi gekommen? Paulus bringt seine Sicht des Gesetzes wie folgt auf den Punkt: „Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde ist das Gesetz“ (1Kor 15,56). Ein Dialog: du stehst unter dem Gesetz, mit der Tür, die offen ist für die Sünde.
In diesem Zusammenhang macht der Verweis auf die erzieherische Rolle des Gesetzes durchaus Sinn. Das Gesetz ist der Pädagoge, der dich wohin führt? Zu Jesus. Im Schulsystem der Antike hatte der Pädagoge nämlich nicht die Funktion, die er heute hat, also die Erziehung eines Jungen oder Mädchens zu begleiten. Damals war der Pädagoge ein Sklave, dessen Aufgabe es war, den Sohn seines Herrn zu seinem Lehrmeister zu begleiten und ihn wieder nach Hause zu bringen. Er musste ihn also vor Gefahren schützen, auf ihn aufpassen und darauf achten, dass er sich nicht schlecht benahm. Seine Funktion war eher disziplinarischer Art. Wenn der Knabe dann erwachsen wurde, war die Aufgabe des Pädagogen beendet. Der Pädagoge, auf den sich Paulus bezieht, war also kein Lehrer: er war derjenige, der den ihm anvertrauten Knaben zur Schule begleitet und ihn wieder nach Hause gebracht hat.
Indem Paulus das Gesetz also mit diesen Bildern beschreibt, kann er dessen Funktion in der Geschichte Israels verdeutlichen. Die Tora - das Gesetz - war eine Geste der Großzügigkeit Gottes gegenüber seinem Volk. Nach der Erwählung des Abraham war der andere große Akt das Gesetz, das den Weg abgesteckt hat, um voranzukommen. Sicherlich hatte es eine normative Funktion, aber gleichzeitig hat es das Volk auch geschützt, es unterwiesen, diszipliniert und in seiner Schwachheit gestärkt. Es war vor allem ein Schutz gegen das Heidentum, das damals weit verbreitet war. Die Tora besagt: „Es gibt nur einen Gott und er hat uns auf den Weg gebracht.“ Eine Geste der Großzügigkeit des Herrn. Und so definiert der Apostel die Phase der Unmündigkeit später ja auch wie folgt: „Solange der Erbe unmündig ist, unterscheidet er sich in keiner Hinsicht von einem Sklaven, obwohl er Herr ist über alles; er steht unter Vormundschaft und sein Erbe wird verwaltet bis zu der Zeit, die sein Vater festgesetzt hat. So waren auch wir, solange wir unmündig waren, Sklaven der Elementarmächte dieser Welt“ (Gal 4,1-3).
Zusammenfassend kann man also sagen, dass der Apostel davon überzeugt ist, dass das Gesetz zwar eine positive Funktion hat - die des Pädagogen, der vorankommen lässt -, aber diese Funktion ist zeitlich begrenzt, weil sie an den Reifeprozess des Einzelnen und seine Entscheidung für die Freiheit gebunden ist. Wenn man den Glauben erlangt, hat das Gesetz seinen erzieherischen Wert verloren und muss einer anderen Autorität Platz machen. Was bedeutet das? Dass wir, wenn das Gesetz vorbei ist, sagen können: Wir glauben an Jesus Christus und tun, was wir wollen? Nein! Die Gebote sind da, aber sie rechtfertigen uns nicht. Was uns rechtfertigt, ist Jesus Christus. Die Gebote müssen eingehalten werden, aber sie geben uns keine Gerechtigkeit. Die Unentgeltlichkeit Jesu Christi, die Begegnung mit Jesus Christus ist es, die uns unentgeltlich rechtfertigt. Das Verdienst des Glaubens besteht darin, Jesus anzunehmen. Das einzige Verdienst ist es, das Herz zu öffnen. Und was machen wir mit den Geboten? Wir müssen sie beachten, aber als Hilfe für die Begegnung mit Jesus Christus.
Diese Lehre über den Wert des Gesetzes ist sehr wichtig und verdient es, genauer in den Blick genommen zu werden, damit man keinen Missverständnissen erliegt und falsche Schritte ergreift. Auch uns tut es gut, uns zu fragen, ob wir uns noch in der Phase befinden, in der wir das Gesetz noch brauchen oder ob wir uns bewusst sind, dass wir die Gnade empfangen haben, Kinder Gottes zu werden, um in der Liebe zu leben. Wie lebe ich? In der Angst, dass ich in die Hölle komme, wenn ich dieses oder jenes nicht tue? Oder lebe ich auch mit dieser Hoffnung, mit dieser Freude über die Unentgeltlichkeit der Erlösung in Jesus Christus? Das ist eine schöne Frage. Und auch diese zweite Frage: Missachte ich die Gebote? Nein, das tue ich nicht. Ich halte mich an sie, aber nicht als etwas Absolutes, denn ich weiß, dass das, was mich rechtfertigt, Jesus Christus ist.
(vaticannews -skr)
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